Mit wasserdichten Jacken und Gummistiefeln besuchten sie am Dientag einen deutschen Wald: Luxemburger Gemeindevertreter, Förster, Umweltschützer und Gewerkschaftler. Eingeladen hatten der Mouvement écologique und die Natur- a Vulleschutzliga zu dieser Exkursion in die Eifelgemeinde mit dem prosaischen Namen Speicher. Speicher, 8 200 Einwohner, hat seine 1 310 Hektar Gemeindewald dem Forest Stewardship Council (FSC), einer internationalen Organisation mit Sitz in Mexico-City, unterstellt.
FSC hatte seinen Ursprung beim Welt-Gipfel von Rio de Janeiro 1992 und wurde ein Jahr später aktiv. In seinem Regelwerk taucht oft das schöne Wort Nachhaltigkeit auf. Wälder sollen erhalten und nicht nur als Holzproduzenten, sondern in stärkerem Maße als Lebensraum, als Erholungsorte und als zur Luftverbesserung beitragend verstanden werden. Wer den Regeln gerecht wird, erhält ein Gütesiegel. Mouvement écologique und Vogelschutzliga wäre es am liebsten, wenn möglichst alle Luxemburger Gemeinden sich diesem System anschlössen. Der Staat mit seinen Wäldern natürlich auch. Und die Kirchenfabriken. Und möglichst viele der 13 000 Privatleute, die mit 54 Prozent das Gros des Luxemburger Waldbestandes besitzen.
FSC ist mehr als zu einer Institution geronnene grüne Romantik. Weltweit gehören ihm derzeit 20 Millionen Hektar Waldfläche an (das 225-fache der hiesigen Gesamt-Waldfläche). In 34 Ländern gibt es nationale FSC-Standards - in Frankreich und den USA zum Beispiel, aber auch in Bolivien, Indonesien oder Sambia. Von Anfang an saß die Wirtschaft mit im Boot: Großkonzerne, denen im waldreichen Schweden der Großteil der Forsten gehört, trieben die Ausarbeitung von FSC wesentlich voran, nachdem an sie der Vorwurf laut geworden war, sie würden Wälder zerstören. Außerdem steigt die Nachfrage für zertifiziertes Holz. Demnächst will Ikea ausschließlich aus FSC-Holz gefertigte Möbel anbieten, die deutschen Großversandhäuser Otto und Neckermann ebenso. Der Bundesverband Deutscher Zeitschriftenverleger forcierte maßgeblich die Ausarbeitung deutscher FSC-Standards. Nicht aus Liebe zum Walde, sondern weil dem 300 Verleger mit 4 000 Zeitschriften repräsentierenden Verband das Image, von ökologisch korrekt aufgezogenen Bäumen stammendes Papier zu verwenden, teuer ist.
Schon ist die Rede davon, dass in absehbarer Zeit nicht zertifiziertes Holz sich nicht mehr absetzen lassen wird. Dieses Szenario muss auch Luxemburg interessieren: Für die Privatwälder liegen zwar keine Daten vor, die Gemeindewälder der sechs Forstkantone jedoch führten zwischen 1999 und Mitte 2001 drei Viertel ihrer Produktion aus. Mit 56 Prozent sind belgische Händler und Sägewerke Hauptabnehmer. Weitaus weniger nehmen - auf Rang zwei - niederländische Händler mit vier Prozent ab; immerhin aber wird in den Niederlanden momentan darüber nachgedacht, nicht zertifiziertes Holz generell zu boykottieren.
Doch es muss ja nicht unbedingt FSC sein. Europäische private Waldbesitzer waren es, die vor zwei Jahren das Pan-European Forest Certificate (PEFC) ins Leben riefen. Dass FSC, seit acht Jahren bestehend, momentan weltweit 20 Millionen Hektar Wald auf sich vereint, PEFC es innerhalb von nur zwei Jahren auf die doppelte Fläche brachte, hat Gründe: Seine Regeln sind weniger strikt.
Wo etwa FSC vorschreibt, auf jegliche chemische Spritzmittel zu verzichten, lässt PEFC sie im Rahmen des "unbedingt Nötigen" zu. Kontrollen erfolgen nicht wie bei FSC in jedem Betrieb jährlich, sondern nur in Stichproben und garantiert alle fünf Jahre einmal pro Betrieb. Vor allem aber setzt ein FSC-Zertifizierungskomitte sich zusammen aus drei so genannten Kammern. Kammer eins unfasst die Wirtschaftsakteure: die Waldbesitzer, die Händler, Verarbeitungsbetriebe. In Kammer zwei sitzen Vertreter mit sozialem Interesse, wie Gewerkschaften oder Konsumentenschutzverbände, in Kammer drei Umwelt- und Naturschützer. Vorschrift ist, dass Entscheidungen im Konsens getroffen werden. Gewerkschaftler oder Naturfreunde haben damit ein Vetorecht gegenüber dem Waldeigentümer. Erwartungsgemäß müssen beim PEFC in den leitenden Gremien die Waldbesitzer in der Mehrheit sein und Entscheidungen nach dem Mehrheitsverfahren getroffen werden.
FSC bedeute "Fremdbestimmung des Eigentums", sagte Jos Crochet, Präsident des Groupement sylviculteur, auf der Generalversammlung der Vereinigung am 27. Mai. Die Vereinigung der 1 300 größten Privatwaldbesitzer hatte sich schon im Mai 1999 mit Landwirtschafts- und Handelskammer, mit dem Landwirtschaftsministerium sowie Verbänden vom Konsumentenschutz bis hin zu Natura, dem Dachverband der Umwelt- und Naturschutzorganisationen, zusammengesetzt und in einer Arbeitsgruppe luxemburgische PEFC-Standards ausarbeiten lassen.
Auch in der Fortverwaltung werden FSC unter den Privatwaldbesitzern wenig Chancen prophezeit. Aus ideologischen, aber auch aus pragmatischen Gründen. Verfügen doch 93 Prozent der Privatbesitzer über Betriebe von nicht mehr als zehn Hektar Größe. Ein solcher Betrieb aber ist ein so genannter "aussetzender Betrieb", in dem nicht in jedem Jahr Holz geschlagen werden kann, weil nicht genug nachwächst. Nur in einem Viertel der Privatwälder finden nach Einschätzungen der Forstverwaltung überhaupt Arbeiten statt. Und selbst die großen Besitzer, die im Groupement sylviculteur regruppiert sind, finden sich schwer zusammen, um gemeinsam Projekte anzugehen. FSC aber schreibt vor, dass die Betriebe in Gruppen zertifiziert werden müssen.
Auch ohne den Zertifizierungsstreit müssen die Forstaktivitäten in Luxemburg belebt werden. Mit einem Anteil von 34 Prozent am Gesamtterritorium ist Luxemburg waldreich. Die Wälder aber werden immer dichter, mehr als die Hälfte sind "zu dicht" nach Einschätzungen der Forstverwaltung. 650 000 Kubikmeter Baumholz wachsen Jahr für Jahr nach, aber nur 400 000 Kubikmeter werden geschlagen. Auch die Europäische Kommission hat Luxemburg dafür schon gerügt. Zwar sind die genauen Zusammenhänge unbekannt, und es ist nicht klar, wie sich die zu große Dichte auf Privatwälder und solche in öffentlichem Besitz verteilt: Erst Ende des Jahres wird das erste nationale Forstinventar vorliegen - auf EU-Druck hin. Dass Privatbesitzer in der Hoffnung auf irgendwann bessere Holzpreise mit dem Einschlag zögern, ist auch beim Groupement sylviculteur bekannt. Die Gemeinden leiden ebenfalls darunter, dass der europäische Holzpreis noch immer vom plötzlichen Überangebot nach den Stürmen im Winter 1999 gedrückt wird. Dass Marktforschungsanalysen vorhersagen, zertifizierte Waldwirtschaft könne um zwischen fünf bis 15 Prozent verbesserte Verkaufspreise am Markt ermöglichen, könne womöglich für Entlastung sorgen, hofft die Forstverwaltung vor allem mit Blick auf die Privatbesitzer.
Und mit welchem Label? - Weil sie selbst Verwalterin von Wäldern ist, könne sie aber nicht von oben herab ein System einführen, ließ die Forstverwaltung schon zur ersten Parlamentsdebatte über Nachhaltigkeit im letzten Jahr wissen. Diskriminierung eines Besitzers komme allerdings nicht in Frage. Die Regierung aber müsse eine Entscheidung über
eine Zertifizierung der Staatswälder (elf Prozent Anteil) treffen.
Diese Entscheidung fehlt noch. Ein Druck seitens der Abnehmer Luxemburger Holzes scheint nicht zu bestehen: Weder die Forstverwaltung noch die sechs Forstkantone sind mit solchen Nachfragen bisher konfrontiert worden, und auch der Forstberater des Groupement sylviculteur wurde in den letzten zwei Jahren nur einmal gefragt, wer denn zertifiziertes Holz anbiete. Das Landwirtschaftsministerium, zuständig für den ökonomischen Aspekt der Forstaktivitäten, hat gleichwohl aktiv an der Ausarbeitung der PEFC-Standards mitgewirkt.
Das Umweltministerium dagegen tritt nach der vom Mouvement écologique im Dezember 2000 gestarteten Kampagne für FSC ein: auch, da die Umweltschützer es verstanden haben, Charles Goerens (DP), den Umwelt- und Kooperationsminister, mit dem entwicklungspolitischen Aspekt von FSC zu packen. Dass daraus eine Selbstblockade der Regierung entstanden ist, nimmt das Groupement sylviculteur dem Méco noch heute übel.
Durchaus denkbar, dass am Ende beide Zertifizierungssysteme zum Einsatz kommen. In anderen Ländern ist das auch so. In der Zwischenzeit möchte der Mouvement écologique möglichst viele Gemeinden für FSC gewinnen. Denn das Gemeindesyndikat Syvicol will die Entscheidung der Regierung abwarten, das hat es seinen Mitgliedern per Brief mitgeteilt.
Bisher hat nur Bettemburg sich FSC angeschlossen; die Abstimmung im Gemeinderat fiel im März einstimmig aus.
Forstökonomische Erwägungen aber spielten dabei nicht die Hauptrolle: In erster Linie wird der Wald als Erholungsraum gesehen. Und während eine Gemeinde wie Speicher in der Eifel froh ist, dass der rheinland-pfälzische Gemeinde- und Städtetag die Zertifizierungsgebühren übernimmt, gibt es in Bettemburg nicht einmal eine Kostenkalkulation für den FSC-Beitritt. Seit Jahren schon schieße man zwischen ein und anderthalb Millionen Franken für den Wald zu, da würden Zertifizierungsgebühren nicht ins Gewicht fallen.
Mag Bettemburg dabei von seinen gesunden Gemeindefinanzen profitieren, ist die Frage, was rote Zahlen der Forsten denn sind, eine weitere, die über den Label-Streit hinausreicht. Europaweit sollen dem Wald künftig auch Funktionen wie Erholungswert oder Arterhaltung positiv in Rechnung gestellt werden. Die Mitgliedsländer sollen sich nationale Strategien
geben, aus denen hervorgeht, was sie mit ihren Wäldern in den nächsten zehn bis 20 Jahren anfangen wollen. Luxemburg hat den Plan forestier national für 2003 versprochen. Liegt er nicht vor, droht der Entzug von Beihilfen. Noch haben die Arbeiten für diesen Plan nicht begonnen.