Warnungen können teuer werden. Wer in Deutschland erwischt wird, andere Fahrer auf Polizeikontrollen hinzuweisen, etwa per Lichthupe oder andere Ablenkungsmanöver, kann mit einem Bußgeld von zehn Euro rechnen. Man darf sich auch nicht warnen lassen: Wird an Bord ein betriebsbereites Gerät gefunden, das Radarfallen anzeigt, gilt das als Ordnungswidrigkeit und kostet 75 Euro. Dazu kommen vier Punkte im Verkehrszentralregister in Flensburg; bei 18 Strafpunkten wird der Führerschein eingezogen.
Etwas ganz anderes ist es, wenn Fahrzeuge sich gegenseitig auf Hindernisse oder Staus aufmerksam machen. Das nennt sich dann Car-to-X-Kommunikation und ist ein Anliegen der deutschen Autohersteller. Seit 2006 arbeitet das Forschungsprojekt Sichere intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland (SimTD) daran, Vehikel elektronisch miteinander und mit der Infrastruktur zu vernetzen. Von den Kosten von 69 Millionen Euro zahlt die Bundesregierung 38 Millionen, das Land Hessen acht Millionen. Beide hoffen, dass das „den Innovationsvorsprung der deutschen Automobilindustrie sichert“.
„Bisher haben wir nur auf das Auto selbst als abgeschlossenes System geachtet“, erläutert Christian Weifl von Daimler, der Projektkoordinator. „Jetzt ist der nächste Schritt, dass die Fahrzeuge miteinander sprechen und kooperieren.“ Die schnelle und kontinuierliche Übermittlung von Verkehrsdaten und Gefahrenhinweisen soll die Sicherheit erhöhen, Staus vermeiden, Treibstoffverbrauch und CO2-Ausstoß verringern. Schließlich gehen die Planer davon aus, dass auf den deutschen Straßen der Güterverkehr bis 2015 um 64 Prozent, der Personenverkehr um 20 Prozent zunehmen wird.
Die einheitlichen Standards, die von Daimler, Volkswagen, Audi, BMW und Opel, den Zulieferern Continental und Bosch sowie der Deutschen Telekom gemeinsam erarbeitet werden, damit sich ihre Fahrzeuge und Signalanlagen verstehen, könnten nebenbei auch eine gewisse Barriere gegen ausländische Konkurrenten sein, besonders wenn sie auch als europäische Normen durchgesetzt werden. Das wird allerdings in der Öffentlichkeitsarbeit so nicht gesagt.
Einzelne Komponenten von SimTD wurden bereits früher entwickelt, vor allem in dem von MAN-Nutzfahrzeuge koordinierten Projekt Adaptive und kooperative Technologien für den intelligenten Verkehr. Von 2006 bis 2010 wurden dort für 60 Millionen Euro zum Beispiel Baustellen-Lotsen konstruiert, besonders aber Sender und Empfänger, die in Fahrzeugen, Ampeln und am Straßenrand installiert werden können. Die Daten, die ein Auto heute schon erfasst, etwa Geschwindigkeit, Bremshäufigkeit oder Wetterbedingungen, sollen in Zukunft an interessierte Fahrzeuge der Umgebung und an Verkehrszentralen weitergegeben werden: Jeder bekommt dann seinen eigenen Verkehrsfunk, flächendeckend und in Echtzeit. Dank „elektronischen Bremslichtern“ erfährt man zum Beispiel, was die Autos vor dem Lieferwagen machen, der einem gerade die Sicht versperrt.
Bei SimTD geht es darum, die verschiedenen Telematik-Anwendun-gen zu einem System zu integrieren. Als Testgelände dienen die Ray Barracks im hessischen Friedberg, die bislang nur bekannt sind, weil dort Elvis Presley einmal als Soldat stationiert war. Auf dem ehemaligen Kasernengelände wird nun erprobt, ob zum Beispiel die Nachricht „Stau-Ende hinter der Kurve“ oder „Glatteis auf der nächsten Brücke“ tatsächlich umgehend alle erreicht, die sie angeht. Kann der Verkehr automatisch angehalten werden, wenn Einsatzfahrzeuge kreuzen? Soll die Parkhausfunktion dem Fahrer nicht nur Öffnungszeiten und Belegung mitteilen, sondern auch Veranstaltungshinweise – oder wird das vielleicht doch zu viel?
Die technischen Herausforderungen sind enorm. Da ein Tempolimit auf Autobahnen für die deutsche Industrie undenkbar ist, werden die SimTD-Anlagen für 200 Stundenkilometer ausgelegt. Wenn sich zwei Fahrzeuge mit dieser Geschwindigkeit begegnen, bleibt für den Verbindungsaufbau und den Austausch von Daten gerade einmal eine halbe Sekunde. In weniger schnellen Ländern ließen sich wahrscheinlich zumindest Stauwarnungen einfacher und billiger realisieren, etwa indem genug Autofahrer bei „Google Maps für Handys“ mitmachen und die Funktion „My location“ aktivieren.
Allein auf den UMTS-Standard der Mobiltelefonie wollen sich die deutschen Techniker jedenfalls nicht verlassen. Außerdem sollen ja nicht Hacker von ihrem Laptop aus den Vorbeifahrenden nach Belieben Aquaplaning auf der Strecke vorgaukeln können. Für den fahrenden Betrieb wurde daher der eigene WLAN-Standard 802.11.p entwickelt, für den auch schon eine EU-Frequenz freigegeben wurde. Die passenden Road Side Units müssten noch überall an die Straßenränder gestellt werden, was den Herstellern aber nicht unlieb wäre.
Im April beginnt im Großraum Frankfurt am Main der nach Angaben von SimTD „weltweit größte Feldversuch“ zur Car-to-X-Kommunikation. Auf der Autobahn A5, beim Frankfurter Flughafen und anderen Verkehrsknotenpunkten soll dieses Jahr eine Testflotte von 120 Fahrzeugen herausfinden, ob Sicherheit und Verkehrseffizienz wirklich gesteigert werden. Psychologen der Universität Würzburg untersuchen die Akzeptanz der verschiedenen Angebote. Ernsthaft gezweifelt wird daran aber wohl nicht, denn die Technische Universität Berlin ist schon beauftragt, sich Gedanken zu Betreibermodellen und Einführungsstrategien zu machen. Voraussichtlich ab 2015 könnten die ersten Autos auf den Markt kommen, die elektronisch um die Ecke schauen, mit anderen Fahrzeugen kommunizieren und zum Beispiel von selbst bremsen, wenn ein Krankenwagen heranbraust.
SimTD verspricht, dass die Fahrer nicht ständig mit klingelnden oder piepsenden Signaltönen genervt werden, sondern ausschließlich die für sie „relevanten Informationen“ erhalten. Es würden auch alle Daten nur anonymisiert erfasst. Trotzdem wird es in Zukunft wohl nicht mehr nötig sein, entgegenkommende Fahrer vor Radarfallen zu warnen: Die Polizei hat dann ja die aktuelle Verkehrslage und alle Geschwindigkeiten sowieso schon bei sich auf dem Bildschirm.