Am konsequenten Leichtbau führt in der Autoproduktion kein Weg mehr vorbei – Kohlefaser statt leichter Stähle

Diät, die im Magen liegt?

d'Lëtzebuerger Land vom 27.01.2012

Abnehmen ist in. Nicht nur zu Beginn eines neuen Jahres, wenn mal wieder jede Menge an guten Vorsätzen gefasst werden, sondern auch bei den Fahrzeugen. Seit Schlagworte wie Senkung des Kraftstoffverbrauches, Minimierung des Schadstoffausstoßes und das Installieren zusätzlicher Assistenzsysteme im Lastenheft der Fahrzeugentwickler stehen, ist Diät beim automobilen Skelett angesagt. Inzwischen fördert sogar die Europäische Union das Projekt Super Light Car. Ein solches Auto soll bis zu 30 Prozent leichter sein als derzeit noch üblich.

Eigentlich ist der Zielkonflikt vorgegeben. Die vielen kleinen elektronischen „Heinzelmännchen“ an Bord eines Fahrzeugs dienen der Sicherheit und dem Komfort der Insassen. Sie bringen jedoch zusätzliches Gewicht, das bewegt werden will, auf die Waage. Also gehört das Thema Leichtbauweise neben Downsizing, Hybridantrieben und E-Mobilität inzwischen zum Stammvokabular bei der Produktion neuer, zukunftsorientierter Fahrzeuge.

Indes: Die Vorgabe „Runter mit den Pfunden“ ist nicht so einfach zu erfüllen. Zumal Autos, die auf dem Markt Verkaufschancen haben sollen, nicht nur leichter sein, sondern auch noch möglichst schick aussehen und ein ausgewogenes Preis-Leistungs-Verhältnis haben sollen.

Ein Opel Astra, Ford Focus oder VW Golf bringt derzeit im Durchschnitt 1 300 Kilogramm auf die Waage. Eine Marke, an der sich die Automobilentwickler aber fast schon regelrecht „versündigen“, wenn es nach der Ansicht des Stuttgarter Fahrzeugexperten Horst Friedrich geht. Der Direktor des Instituts für Fahrzeugkonzepte des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) hat die Bemühungen um das Abspecken zukünftiger Fahrzeuge ausformuliert. Seine Forderung lautet „5:500“. Das heißt, ein Automobil, das fünf Personen sicher und komfortabel von A nach B bringen soll, dürfte nur 500 Kilogramm auf die Waage bringen. Schöne neue (Auto-)Welt, möchte man dazu mit Aldous Huxley sagen.

Klingt also ziemlich utopisch, diese Forderung. Zumal, wenn man bedenkt, dass Fahrzeuge der Oberklasse oder ein „gut ausgestattetes“ SUV vom Schlage eines Porsche Cayenne oder VW Touareg auch mal schnell die Grenze von zwei Tonnen überschreiten kann. Eine stattliche Anzahl an Kilos, die vor allem durch viele zusätzliche Motoren für die Assistenzsysteme, durch immer größere und stärkere Bremsen, durch die wachsende Anzahl von Airbags oder auch durch die komfortableren Klimaanlagen erreicht wird. All das, was das Autofahren erleichtert, was es sicherer macht und den Gebrauch des Automobils angenehmer erscheinen lässt, wird gleichzeitig zum „bösen Buben“. Weil in seinem Windschatten eben zusätzliche Kilos verbaut werden. Eine Last, die beispielsweise bei jedem Start an der Ampel wieder neu angeschoben werden muss.

Der Fahrzeugexperte vom DLR ist jedoch der Meinung: „Wenn wir den Ausstoß von Kohlendioxid und den Kraftstoffverbrauch von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren nachhaltig senken wollen, führt kein Weg an einer deutlichen Gewichtsreduktion vorbei.“ Ohnehin scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis hochfester Stahl beim Bau von Automobilen ausgedient hat. Dennoch: Trotz aller Diskussionen, Versuche und Studien bestehen auch die neuesten Generationen von Mittelklasse-Limousinen immer noch zu etwa zwei Drittel aus Stahl. Das ist auch im Jahr 2012 der Fall.

Es geht jedoch auch anders: Das zeigt ein Blick in die Fertigungsarchive von Europas größtem Autobauer. Beim Dreiliter-Lupo aus dem Hause Volkswagen wurden nur noch zur Hälfte Stahl- und Eisenwerkstoffe verwandt. Bei der Ein-Liter-Studie des gleichen Fahrzeugs waren es gar nur noch vier Prozent. Auch bei VW wird inzwischen nach dem ökologisch und ökonomisch sinnvollsten Materialmix geforscht.

Die Notwendigkeit, das Gewicht eines Autos gehörig herunter zu fahren, ist jedoch kein spezielles Problem von Fahrzeugen, die von Benzin- oder Dieselmotoren angetrieben werden. Bei Elektroautos spielt das Thema Gewicht eine noch bedeutendere Rolle, wie die Experten von General Motors bei der Entwicklung des Opel Ampera und des Chevrolet Volt bestätigen konnten: Beide Fahrzeuge, die dank ihrer Retarder-Technik eine Reichweite von fast 500 Kilometer haben, sind ausstattungsbereinigt nahezu identisch. Als Elektrofahrzeuge haben sie ein zusätzliches Gewichtsproblem durch die schweren Batterien, die sie brauchen, wenn sie nicht noch öfter an die Steckdose zum Tanken müssen, als das derzeit noch üblich ist.

Ansetzen muss man beim Abspecken der Fahrzeuge, unabhängig von deren Antriebstechnik, bei den Werkstoffen, aus denen die Zellstruktur des Fahrzeuges, aber auch zahlreiche Komponententräger gefertigt sind. Audi gilt dank seiner Alu-Präferenzen als Vorreiter in Sachen Leichtbau-Technik. In Fahrzeugen aus Ingolstadt haben nicht nur hochfeste Leichtstähle und ein speziell auf Gewichtsreduktion ausgelegtes Aluminium mit einer entsprechenden Legierung Einzug gehalten. In Einzelfällen wurde auch schon auf Magnesium zurückgegriffen.

Bei den tragenden Teilen aber werden den Entwicklern irgendwann ihre Grenzen aufgezeigt. Um Fahrzeuge auf Dauer leichter zu machen, dabei aber dennoch die Sicherheit der Insassen und der Fußgänger nicht aus den Augen zu verlieren, müssen in Zukunft völlig andere Werkstoffe als bisher verwandt werden. Auch hier geht das DLR bei Konzeption und Entwicklung mit seinem Knowhow voran. Techniken aus der Raumfahrt, aber auch aus dem Motorsport werden mit einfließen müssen, wenn mehr als nur ein paar Prozentpunkte hinter dem Komma, herausgeholt werden sollen.

Dabei kommt es nicht nur auf das geringere Gewicht, sondern auch auf die Stabilität der Fahrzeug-Karosserie an. Zurzeit gelten kohlefaserverstärkte Kunststoffe als favorisiertes Material, um in Zukunft leichte Stähle abzulösen. Das Material, das sich durch enorme Festigkeit und Steifigkeit auszeichnet, wird auch im Hochleistungssport für Fahrradrahmen, Tennisschläger und sogar für extrem leichte Fußballschuhe benutzt.

Allerdings hat die ganze Geschichte auch einen Haken. Denn der moderne Werkstoff ist nicht nur ein Drittel leichter als bisherige Materialien. Er ist auch erheblich teurer in Herstellung und Beschaffung. Ein Kilo dieser Fasern kann, so DLR-Experte Friedrich, ein paar hundert Euro kosten. Das würde den Preis eines Kompaktwagens oder einer Mittelklasse-Limousine exorbitant in die Höhe treiben.

Friedrichs Fazit: „Wenn Alltagsautos preislich auch nur annähernd in einem akzeptablen Rahmen bleiben sollen, muss man zu einem gesunden Mix aus verschiedenen Werkstoffen kommen.“ Wie so oft, scheiden sich die Geister auch hier am Preis. „Allein im Karosseriebereich“, so Friedrich, „ist eine Gewichtsersparnis von mehr als 50 Prozent keine Utopie.“ Ähnlich wie bei Elektro-Fahrzeugen vom Schlage eines Peugeot iOn oder eines Mitsubishi iMiev, die trotz aller Reichweitennachteile immer noch 26 000 bis 32 000 Euro kosten, entscheidet wohl bis auf Weiteres der Geldbeutel des Verbrauchers über die „unverdauliche Diät“ beim Automobilbau.

Jürgen C. Braun
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