„Ambitiös“ findet Finanzminister Luc Frieden das Sparprogramm, das er vergangenen Freitag vorlegte. Da hatte der Regierungsrat kurz zuvor die Aktualisierung des Stabilitäts- und Wachstumsprogramms angenommen, das alle Euro-Länder der EU-Kommission in regelmäßigen Abständen zwecks Überwachung der Euro-Stabilitätskriterien schuldig sind. Über den Zeitraum 2011 bis 2014 will Frieden den Haushalt um insgesamt 1,6 Milliarden abspecken, zwischen 300 bis 500 Millionen Euro jährlich müssen gespart werden. Dass nun mit der immerhin elften Aktualisierung des Stabilitätsprogramms solche politischen Vorgaben und Ankündigungen verknüpft werden, während diese in der Vergangenheit eher von der Öffentlichkeit unbemerkt nach Brüssel verschickt wurden, mag auch damit zu tun haben, dass in der Eurozone derzeit ein rauer Wind bläst und die Kommission genauer hinschaut als vor Bekanntwerden des Griechenlanddebakels. Naheliegender ist, dass Frieden darin eine günstige Möglichkeit entdeckt hat, den Sozialpartner der Tripartite die Richtung vorzugeben, bevor sie zu diskutieren anfangen.
Damit dieses Vorhaben gelinge, müsse jeder seinen Beitrag leisten, mahnte Frieden an. „Jeder muss ein wenig verzichten“, so der Finanzminister. Um zu verhindern, dass der Widerstand nicht noch größer wird, als ohnehin schon zu erwarten, versuchte Frieden erst einmal, Bevölkerung und Sozialpartnern einen gehörigen Schrecken einzujagen, und rechnete vor, wie sich die Staatsfinanzen entwickeln würden, wenn der Kurs nicht korrigiert würde.
Demnach wäre 2014 mit einem Haushaltsdefizit der öffentlichen Hand – also der Staat an sich, die Gemeinden und die Sozialversicherungssysteme zusammen – von 1,477 Milliarden zu rechnen beziehungsweise 3,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Weil 2011 und 2013 noch höhere Defizite verbucht würden, stiege die öffentliche Verschuldung auf 17,735 Milliarden Euro oder 37,4 Prozent im Verhältnis zum BIP. Zwischen 2011 und 2013 müsste der Staat jedes Jahr 2,7 Milliarden neue Schulden aufnehmen, 2014 immerhin noch 2,4 Milliarden Euro. Allein die Zinsen auf diesen Anleihen würden 2014 rund 500 Millionen Euro betragen. Die staatlichen Finanzreserven – unter anderem in den Spezialfonds –, die am 31.12.2009 noch 3,65 Milliarden betrugen, würden innerhalb dieser Legislaturperiode versiegen.
Spätestens 2040 werde die Staatsverschuldung 60 Prozent betragen, ist dem Programm zu entnehmen. „Das wäre eine Katastrophe“, so Frieden. „Ein Land, das immer neue Schulden macht, verliert seine Souveränität“, sagte der Finanzminister mit dem Hinweis auf das abschreckende Beispiel Griechenlands. Besonders ein kleines Land, das nicht schnell umsteuern könne, riskiere einen Bonitätsverlust, warnte ein aufgeregter Frieden.
„Das ist für uns nicht der Weg einer verantwortungsvollen Finanzpolitik“, versuchte der Finanzminister daraufhin zu beruhigen, und deswegen „müssen wir ab 2011 eine Strategie umsetzen, die zu gesunderen Staatsfinanzen führt.“ Daher die Sparvorgabe mit dem Ziel, das öffentliche Defizit bis 2014 auf Null zu reduzieren. Das würde bedeuten, dass die Verschuldung zu diesem Zeitpunkt „lediglich“ 12,885 Milliarden Euro betrage, oder 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. De séchere Wee ist das also noch lange nicht. Das weiß Frieden selbst, denn er setzt die EU-Kommission davon im Stabilitätsprogramm in Kenntnis. Dort steht, angesichts der ab 2020 stark ansteigenden Kosten der Altersvorsorge reiche das mittelfristige Haushaltsziel von einem Defizit von 0,8 Prozent jährlich, das sich Luxemburg 2005 im Rahmen seiner europäischen Verpflichtungen gesteckt hatte, nicht aus. Eigentlich müsse Luxemburg jährlich einen Überschuss von 0,5 Prozent erarbeiten und in Reserve stellen, um die zwischen jetzt und 2040 fällig werdenden Verbindlichkeiten der Altersvorsorge zu decken.
Doch um diese langfristigen Probleme geht es im Stabilitätsprogramm erst in zweiter Linie, vorrangig sollen die Länder zeigen, wie sie ihren Haushalt mittelfristig ins Gleichgewicht bringen oder dort halten. Im unausgeglichenen Luxemburger Haushalt – 2009 wird nach Maastricht-Kriterien voraussichtlich mit einem Defizit von 1,1 Prozent abgeschlossen, beim Zentralstaat fehlen 1,086 Milliarden Euro – sei das tatsächliche Problem auf der Ebene der Ausgabenentwicklung zu suchen sei. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben gehe auseinander. 2009 stiegen die Einahmen im Verhältnis zum BIP um 1,4 Prozent auf 41,6 Prozent, die Ausgaben dagegen um 4,9 Prozent auf 42,6 Prozent, heißt es im Programm. Dieser Anstieg ist zu 2,8 Prozent auf eine Erhöhung der Sozialtransfers zurückzuführen, darunter die neuen Zeitarbeitsbestimmungen, zu 1,2 Prozent auf die laufenden Ausgaben des Staates – davon zu 0,8 Prozent auf die Beamtengehälter und zu 0,3 Prozent auf die Bedienung der höheren Schuldzinsen.
2010 soll die Schere noch weiter auseinander gehen. Die Einnahmen (39,6 Prozent) werden sinken, weil die Arbeitslosigkeit steigt und weniger Beschäftigte Steuern und Sozialabgeben entrichten, und die Unternehmen anfangen, jetzt ihre Steuern für die schlechten Wirtschaftsjahre zu zahlen. Die Ausgaben werden hingegen, laut Stabilitätsprogramm, wegen der laufenden Ausgaben, Gehälter inklusive, um 0,9 Prozent im Vergleich zum BIP steigen (43,7 Prozent).
Sogar wenn es gelingen wird, die Sparvorgaben zu erfüllen, werden die zentralen Staatsverwaltungen 2014 ein Defizit von zwischen 1,0 und 1,3 Milliarden Euro verbuchen. Deswegen sagt Frieden im Stabilitätsprogramm bereits jetzt das eigene Scheitern voraus. Das mittelfristige Haushaltsziel von 0,5 Überschuss jährlich werde verfehlt, weshalb ab 2015 die Überschüsse auf über ein Prozent ansteigen müssten – die tatsächliche Sanierung der Staatsfinanzen wird auf die kommende Legislaturperiode vertagt. Das Defizit des Zentralstaates auf Null zu reduzieren, sagte Frieden am Freitag auf Nachfrage, sei „kein politisches Ziel mehr“.
Will der Finanzminister, wie angekündigt, in der gesamtstaatlichen Haushaltsrechnung 2014 auf Null kommen, muss er dennoch rein arithmetisch das Defizit der zentralen Verwaltungen von 1,3 Milliarden irgendwo ausgleichen – bei den Gemeinden oder den Sozialversicherungen. Wie er das bewerkstelligen will und wem er die 1,3 Milliarden zum Ausgleich aufhalsen will, Gemeinden oder Sécu, sagte Frieden am Freitagnachmittag genauso wenig, wie er verriet, wo die 1,6 Milliarden gespart werden sollen. Offiziell soll darüber erst mit den Sozialpartnern in der Tripartite diskutiert werden. Das schreibt die Regierung auch der EU-Kommission, der deswegen keine Einzelheiten über Sparmaßnahmen mitgeteilt werden können und der deswegen im aktualisierten Programm alte Statistiken untergejubelt werden. Neues kann es erst geben, wenn die Tripartite sich über die Maßnahmen einig ist. Dabei hat der Finanzministr nicht den Verhandlungsrahmen festegelegt, sondern sich gleich schon drei Bereiche vorgemerkt, in denen es seiner Ansicht nach Sparpotenzial gibt: Die öffentlichen Investitionen, die noch 2010 auf ein besonders hohes Niveau steigen, sowie „eine Reihe von Sozialtransfers und Subventionen“, sagte er am Freitag. „Es gibt es eine ganze Reihe von Steuerabschlägen, von denen wir gar nicht mehr wissen, weshalb sie eingeführt wurden.“
Bei diesem Sanierungsvorhaben werde es „ keine Tabus geben“, kündigte der Finanzminister an. Jedoch werde das Augenmerk hauptsächlich auf die Ausgabenseite gerichtet werden müssen, denn Reformen auf der Einnahmenseite – das habe man durchgerechnet – würden nicht die nötigen Resultate bringen. Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes um beispielsweise ein Prozent würde lediglich jährliche Mehreinnahmen von 39 Millionen Euro nach sich ziehen, eine Anhebung des Mehrwertsteuersatzes um ein Prozent 120 Millionen Euro. In der Tat nicht einmal genug, um die Zinsen auf den Schulden zu tilgen.
Zwei Kriterien sollen die Sozialpartner bei ihren Diskussionen anlegen: die soziale Gerechtigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Die Regierung ihrerseits schreibt nach Brüssel, Steuererhöhungen für Privatpersonen werde man vermeiden wollen, ebenso wie Steuererleichterungen. Das Umfeld für die Unternehmensbesteuerung soll günstig bleiben.
Was den Ausgleich des zentralstaatlichen Defizits von 1,3 Milliarden betrifft – in der Finanz- und Wirtschaftskommission des Parlamentes hatte Frieden am Freitagmorgen eine andere Version des Stabilitätsprogrammes vorgestellt als nachmittags der Presse und der EU-Kommission. Claude Meisch (DP) sagte dem Land am Montag, darin gehe Frieden von einem Anstieg des Überschusses in der Sozialversicherung von augenblicklich 748 Millionen Euro jährlich auf 1,1 bis 1,250 Milliarden Euro 2014 aus – ausreichend Geld, um das Defizit der zentralen Verwaltung zu kompensieren. Auf die Fragen der Abgeordneten, wie es dazu kommen soll – im statistischen Kapitel des Stabilitätsprogramms geht die Regierung selbst noch von der Hälfte des Betrages aus – habe der Finanzminister keine Antwort gewusst.
„Da gibt es keine hundert Möglichkeiten“, so Meisch, „entweder kürzt man die Leistungen oder man erhöht die Beiträge.“ Als dritte Möglichkeit käme nur in Frage, dass die Beschäftigung erstens bald und zweitens stark ansteige und dadurch automatisch höhere Überschüsse übrigblieben. Am Dienstag ruderten Frieden und Sozialminister Mars di Bartolomeo zurück, die Angaben seien fehlerhaft gewesen, meinte der eine. Der andere sagte, die Tabelle sei zu präzise für eine Veröffentlichung gewesen – beides unsinnige Aussagen, weil das Defizit beim Zentralstaat Fakten schafft, die sich jeder ohne Tabelle ausmalen kann. Unverantwortlich findet Meisch auch, dass die Regierung anscheinend nicht vorhabe, einmal getätigte Kredite zurückzahlen, sondern deren Laufzeit immer wieder zu verlängern, auch das habe Frieden am Freitagmorgen bestätigt.
Wie viel Spielraum den Sozialpartnern in der Tripartite nun eigentlich bleibt, um zu bestimmen, wie die 1,6 Milliarden Euro eingespart werden sollen, ist fraglich. Dabei sind zumindest die Gewerkschaften darüber sauer, dass die Regierung die Sparvorgaben festgelegt hat, ohne sich im Vorfeld mit den Sozialpartnern zu beraten. Jean-Claude Reding OGB-L, sagte am Dienstag nach einer Sitzung des Nationalvorstandes, die Gewerkschaft habe große Bedenken angesichts des Stabilitätsprogrammes, das dogmatisch ein Haushaltsgleichgewicht anvisiere, ohne dass über die Beschäftigung und die sozialen Komponenten diskutiert werde. Er verlangte eine Parlamentsabstimmung über das Programm, „schließlich wird hier der finanzpolitische Rahmen für die kommenden fünf Jahre festgelegt“, so Reding. Er hält das Sparziel erwartungsgemäß für zu ambitiös, lieber hätte man „eine sanftere Landung“ gesehen, eine Rückführung des Defizits auf 0,8 Prozent 2014. Der wirtschaftliche Aufschwung sei fragil, warnte Reding. Ein zu früher Ausstieg aus den Krisenprogrammen riskiere, diesen Aufschwung zu bremsen und dadurch negative Folgen auf die Beschäftigung zu haben.
Carlo Thelen, Chefvolkswirt der Handelskammer stimmt damit insofern überein, dass auch er das Ziel ambitiös findet. „Wenn wir jedes Jahr 400 Millionen Euro sparen könnten, das wäre schon nicht schlecht“, so Thelen, der davor warnt, all zu sehr bei den Investitionsausgaben zu sparen. „Dass es keine Tabus geben soll, begrüßen wir“, sagte er gegenüber dem Land. Vor allem die Konsumausgaben des Staates müssten gesenkt werden, dort müsse es zu einem Umdenken kommen. Die Budgets der Verwaltungen dürften nicht jedes Jahr einfach nur erneuert und erweitert werden, sondern jede Ausgabe jedes Jahr auf ihre Notwendigkeit geprüft werden, um zu verhindern, dass sich unnötige Automatismen einschlichen. Thelen findet Friedens Vorgabe ehrgeizig, ebenso wie die Annahme, dass die Luxemburger Wirtschaft 2011 bereits wieder um drei Prozent wachsen wird und 2014 um 3,1 Prozent. Andererseits: „Genau betrachtet, reichen die Einsparungen gerade einmal aus, um die Zinsen auf den Schulden zu bezahlen“, so Thelen. Hat Frieden also doch das Pflichtprogramm verhauen?