Eine poetische Hommage an die griechischen, französischen und amerikanischen Schwammfischer

Tauchgang

d'Lëtzebuerger Land vom 25.10.2024

Mit seinem kurzen und poetischen Le sel, la dame et l’éponge begibt sich Gilles Ortlieb auf die Spurensuche der Schwammfischer in der französischen Camargue, auf der griechischen Insel Kalymnos und in Tarpon Springs in Florida. Die drei Teile der Erzählung führen uns an diese so unterschiedlichen Orte, die der Weg der Migration, die Geschichte und der Beruf der Schwammfischer miteinander verbinden. Dabei ist die Tätigkeit selbst heute vom Aussterben bedroht: Einerseits durch die Zunahme an technischer Ausstattung, andererseits spielt auch die Biologie eine entscheidende Rolle. Wenn zum Beispiel aufgrund einer Krankheit alle Schwämme sterben, verschwindet auch der Berufszweig oder die Taucher müssen sich neue, ergiebigere Küsten erschließen. Technologie, die anfangs einen Aufschwung versprach und die Arbeitsbedingungen veränderte, hat zugleich „morts par milliers“ und das Aussterben ganzer Landstriche und Berufszweige gefordert. Heute werden die meisten Schwämme importiert und an den Orten, an denen sie einst geerntet wurden, nurmehr verschnitten.

Es ist eine sehr kurze Zeitspanne, in der diese Region als das „Klondike des Schwammfischens“ galt; als Griech/innen, Asiat/innen und Italiener/innen auf der Suche nach Arbeit herzogen, weiterzogen oder sich neu verwurzelten. Gilles Ortlieb hat ein Auge für die kleinsten Zeichen ihrer Tätigkeiten, für die kulturellen Überbleibsel oder neuen Formen, die im Aufeinandertreffen entstanden sind. Er beschreibt den Wandel der Stadtbilder und der Geschichte anhand von Details wie der Gebrauchsgegenstände, die bei Hinterhofverkäufen feilgeboten werden, oder der Straßennamen (die in der Camargue nicht nach Persönlichkeiten aus der Politik oder Weltgeschichte benannt wurden, sondern nach den Erträgen aus dem Meer). Leicht fließt die Erzählung von einem Objekt zum nächsten, die doch so viel mehr über die Geschichten der Schwammfischer und Geschichte allgemein verraten. Mit viel Sensibilität zeigt der Ich-Erzählen den griechischen Akzent der Nachfahren der Schwammfischer in Salin-de-Giraud auf, den diese heute noch haben, oder zählt einige der lokalen Mythen und Legenden auf, die aus dieser Tätigkeit hervorgegangen sind.

„Comment une petite île du Dodécanèse dont la population a rarement dû dépasser les vingt mille habitants a pu ainsi essaimer jusqu’en Camargue, en Floride et même jusqu’en Australie (où les plongeurs se seraient, un temps, convertis à la pêche aux perles de nacre), c’est un mystère.“

Gilles Ortlieb kennt die Geschichte und Mythologie des antiken Griechenlands gewiss sehr gut, die punktuell in seine durchweg europäische Erzählung einfließen. Und doch stehen hier andere Held/innen im Fokus: die Arbeiter/innen, die bei der Salzernte tagtäglich tonnenweise Salz ernteten, oder die Schwammfischer, von denen, nachdem der erste Taucheranzug zum Einsatz kam (der noch von Bord mit Luft versorgt werden musste), im Schnitt einer von zehn bei der Tätigkeit ums Leben kam. Gilles Ortlieb, der in Marokko geboren wurde, ist in seinem Leben viel gereist und hat an verschiedenen Orten gelebt; darunter im Saarland, in Trier und in Luxemburg. Für Le sel, la dame et l’éponge hat er sich auf eine regelreche Spurensuche begeben, Augenzeugen befragt, die sich noch an Berge von Schwämmen auf den Gehwegen der Hafenorte ihrer Kindheit erinnern, nachdem die Boote nach monatelangen Ausflügen zurückkehrten, oder wie die Frauen vorsorglich Schwarz trugen, wenn sie die Mannschaft begrüßten. Entstanden ist eine reiche, eindrucksvolle und leichte Collage mit Erinnerungen an die Vergangenheit; eine gefühlvolle, poetische Hommage an eine Zeit, die längst untergegangen ist – und doch unvergessen.

Gilles Ortlieb:

Claire Schmartz
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