Parteien, die dem Lager der Rechtspopulisten zugerechnet werden, können seit der Jahrtausendwende europaweit Wahlerfolge feiern. Im deutschsprachigen Raum hat sich derweil eine spezifische Variante des Rechtspopulismus herausgebildet, deren Ideologie auf der Kombination von neoliberalen und nationalistischen Komponenten basiert. In Deutschland ist die Alternative für Deutschland (AfD) kürzlich zur drittstärksten Partei aufgestiegen, während in den Alpenrepubliken Österreich und Schweiz Vertreter der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) beziehungsweise der Schweizerischen Volkspartei (SVP) an der Landesregierung beteiligt sind. Zwischen diesen drei Parteien lassen sich Verbindungen beobachten, die wiederum in einem größeren internationalen Netzwerk rechtspopulistischer Politiker und Ideologen eingebettet sind.
Bannons Lob an die Eidgenossen
Der Schweizer Journalist Roger Köppel gehört zu den Politikern, die diese Vernetzung von Rechtspopulisten vorantreiben. Der Besitzer und Chefredakteur der Zürcher Traditionszeitung Weltwoche sitzt für die SVP im Schweizer Parlament. Köppel ist nicht zuletzt aufgrund seiner zahlreichen Auftritte in Polit-Talkshows im deutschen Fernsehen über die helvetischen Landesgrenzen hinaus als rechtspopulistischer Ideologe bekannt. Kürzlich ist ihm ein „PR-Coup“ gelungen, wie es der linksliberale Zürcher Tages-Anzeiger1 formuliert. So konnte die Weltwoche den ehemaligen Chefstrategen von Donald Trump, Stephen Bannon, für einen Auftritt in einer Konzerthalle im Norden Zürichs vor über 1 000 Zuhörern gewinnen.
Das Publikum, vorwiegend männlich, bestand in erster Linie aus Abonnenten von Köppels Wochenzeitung und war dem streitbaren US-Amerikaner Bannon durchaus wohlgesinnt. Bannon, der in der Öffentlichkeit auch als rechtsextrem bezeichnet wird, sparte nicht mit provozierenden Aussagen. Den autoritären ungarischen Premierminister Viktor Orbán bezeichnete er als „großer Patriot und großer Europäer“. Auf die Frage ob er ein „Rassist und weißer Nationalist“ sei, antwortete er: „Wenn sie dich so nennen, bist du nahe an deinen Zielen dran“2. Vor allem aber lobte Bannon die Schweiz: „Sie sind die freieste und prosperiendste Nation Europas!“3 S
Schon vorher hatte er der Eidgenossenschaft sein Kompliment für die Weigerung, 1992 dem Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) beizutreten, ausgesprochen. Damals hatten die Schweizer Stimmbürger den Beitritt denkbar knapp mit 50,3 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt, was vor allem auf eine emotional geführte Kampagne der SVP unter der Leitung ihres Chefstrategen Christoph Blocher zurückzuführen war. Über Blocher verkündete Bannon der versammelten Menge denn auch: „Dr. Blocher war Trump, bevor es Trump gab.“4
SVP – Partei des Volkes?
Während die Parallelen zwischen Christoph Blocher und Donald Trump sich vor allem darauf beschränken, dass sie am rechten Rand politisieren und millionenschwere Unternehmer sind, gilt Blocher tatsächlich als Vorbild für viele rechte Parteien in Mittel- und Westeuropa. Unter der Führung des Juristen, der seinen Platz in der Parteileitung mittlerweile an seine Tochter Magdalena Martullo-Blocher abgetreten hat, konnte die SVP den Wandel von der konservativen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), aus der sie 1971 heraus entstanden ist, hin zu einer rechtspopulistischen Partei mit einer ebenso nationalistischen wie neoliberalen Agenda vollziehen. Als Blocher 1977 das Präsidium der Zürcher Kantonalsektion der Partei übernahm, war die SVP, beziehungsweise ihre Vorgängerpartei BGB, bereits seit Jahrzehnten eine etablierte Regierungspartei in der Schweiz. Während Blocher seine Partei immer weiter nach rechts orientierte, ist es dieser gleichzeitig gelungen, sich in der Mitte der Gesellschaft nicht nur zu halten, sondern darüber hinaus noch breiter zu verankern.
Seit der gewonnenen EWR-Abstimmung 1992 hat sich die SVP kontinuierlich zur stärksten Partei der Schweiz entwickelt, bei den nationalen Wahlen 2015 kam sie auf knapp 30 Prozent der Stimmen. Die bereits erwähnte Kampagne der SVP sprach die vorhandenen Ängste vor dem Verlust der nationalen Unabhängigkeit und Neutralität in der Bevölkerung an, die eine identitätsstiftende Komponente in der Schweiz bildet. Das Verhältnis zur EU sowie der Erhalt der nationalen Unabhängigkeit stellen die wichtigsten Wahlthemen der Partei dar. An diese Fragen knüpft sie eine restriktive Haltung gegenüber Themen, die typischerweise von rechtspopulistischen Parteien angegriffen werden: Asylwesen, Migration, Sozialstaat.
Interessanterweise ist es auch die Europa-Frage, mit der die SVP ihre Wähler aus den unterschiedlichen sozioökonomischen Milieus mobilisiert. So werden nicht nur die durch die Globalisierung verursachten Verlustängste einer Mittelschicht angesprochen, sondern gleichermaßen die Interessen der Schweizer Finanzlobby vertreten: So soll einerseits die von der EU geforderte Personenfreizügigkeit eingeschränkt werden, andererseits wird der Erhalt eines wirtschaftsliberalen Steuersystems angestrebt, das Unternehmen und Wohlhabende begünstigt. Hier kann man gut beobachten, wie Nationalismus und Neoliberalismus von einer rechtspopulistischen Partei zur Verbreiterung der eigenen Wählerbasis genutzt werden.
Die SVP und ihre Vertreter provozieren immer wieder mit Wahl- und Abstimmungsslogans, die nicht nur das in Frage stellen, was jahrelang als Teil des demokratischen Diskurses in einer pluralistischen Gesellschaft akzeptiert wurde, sondern darüber hinaus die geltende Rechtsordnung verletzen. So wurden der damalige SVP-Generalsekretär Martin Baltisser und seine Stellvertreterin Silvia Bär für die Annoncen-Kampagne „Kosovaren schlitzen Schweizer auf“, mit dem für die Initiative „Masseneinwanderung stoppen“ geworben wurde, nachträglich juristisch belangt. Trotz derartiger Provokationen wird die SVP in der Schweiz als legitime politische Kraft in der Parteienlandschaft wahrgenommen, die ihre Basis in breiten Teilen der Gesellschaft hat. Nicht zuletzt deshalb ist sie der noch jungen AfD ein Vorbild.
AfD: Eine „Alternative“ nach Schweizer Vorbild
Die AfD wurde im Vergleich zu den meisten etablierten rechtspopulistischen Parteien Europas erst spät gegründet. Unter der Führung des Hamburger Ökonomieprofessors Bernd Lucke tritt die Partei 2013 auf die bundesdeutsche politische Bühne. Lucke definiert die Partei als „weder links noch rechts“5 – die EU-kritische Programmatik, welche die AfD zu Beginn geradezu konstituiert, lässt aber erahnen, wo sie sich im politischen Spektrum verortet. Ziel ist es, eine rechtskonservative Alternative zur CDU darzustellen, sich also rechts von der Union zu etablieren. So soll die Partei, ähnlich wie die SVP in der Schweiz, die Deutungshoheit über traditionell rechte Themen erlangen.
Bereits in ihrer Gründungsphase lassen sich weitere Parallelen zwischen der AfD und der SVP beobachten: die Opposition gegenüber der EU und den etablierten Parteien, eine wertkonservative Ideologie sowie eine restriktive und repressive Migrationspolitik. Zudem propagieren beide Parteien eine neoliberale Wirtschaftspolitik. Anders als die SVP, ist die AfD in den Anfangsjahren aber noch zwischen einem gemäßigtem und einem stramm rechten Flügel gespalten.
Spätestens mit der Annäherung an die 2014 entstandene Pegida-Bewegung und im Laufe der im Sommer 2015 aufkommenden „Flüchtlingskrise“ erstarkt der rechte Parteiflügel. Der eher liberale Lucke muss die Parteileitung an Frauke Petry abtreten, die sich mit den Rechtsaußen arrangiert. Insbesondere der Thüringen-Chef Björn Höcke verkörpert den rechtsextremen Flügel der AfD. Seine Strategie besteht ähnlich wie die von SVP-Exponenten in der Schweiz darin, mit gezielten, zum Teil gesetzeswidrigen Tabubrüchen den demokratischen Diskurs Stück für Stück zu demontieren – so bezeichnete Höcke das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Mahnmal der Schande“. Die nationalistische Ideologie gewinnt an Bedeutung für das Parteiprogramm. Gleichzeitig wird die Partei dadurch in der Öffentlichkeit (noch) stärker am rechten Rand des politischen Spektrums verortet. Während die AfD zunehmend als rechtspopulistisch oder sogar rechtsextrem wahrgenommen wird und so die gemäßigten Wähler zu verlieren droht, gelingt es ihr, die Frage nach der nationalen Identität dauerhaft zu besetzen.
Die AfD begnügt sich allerdings nicht mit der Konsolidierung ihrer Position am rechten Rand des bundesrepublikanischen Parteienspektrums – sie drängt weiter in die Mitte und wird zunehmend zur Gefahr für die großen Volksparteien CDU/CSU und SPD. Alice Weidel, die sich seit 2017 gemeinsam mit Alexander Gauland den Parteivorsitz teilt, will eine breitere Wählerschaft mit den gleichen Themen ansprechen. Weidel, die ihren Zweitwohnsitz mit ihrer Partnerin in der multikulturell geprägten Schweizer Stadt Biel hat, erklärt die SVP zum Vorbild: „Die AfD ist eine deutsche SVP – oder sollte es zumindest werden.“6 Damit spielt sie in erster Linie auf die Wahrnehmung der SVP in der Schweiz an, die als Regierungspartei etabliert ist und sowohl von der liberalen FDP als auch von der konservativen CVP als Partner akzeptiert wird. Die SVP hat in der Schweiz erreicht, was die AfD in Deutschland erst noch anstrebt: Sie hat rechtspopulistische Positionen salonfähig gemacht. Gleichzeitig hat sie die scheinbar widersprüchliche Verbindung von Nationalismus und Neoliberalismus zum Grundpfeiler ihrer Politik gemacht und sich so als stärkste Partei in der Schweiz etabliert.
Die FPÖ: Rechtsextreme Seilschaften, neoliberale Eliten
Auch in der benachbarten Alpenrepublik Österreich ist mit der FPÖ eine rechtspopulistische Partei an der Regierung beteiligt und ebenso breit in der Gesellschaft verankert. Wie die SVP ist auch die FPÖ aus einer etablierten Partei hervorgegangen: Der Verband der Unabhängigen (VdU), eine Partei, die nach dem Zweiten Weltkrieg von ehemaligen Anhängern der NSDAP gegründet wurde, hat in den Jahren 1955/56 mit der neu gegründeten „Freiheitspartei“ zur FPÖ fusioniert. Im Gegensatz zur SVP in der Schweiz und zur AfD in Deutschland, entstammt die FPÖ also dem rechtsextremen Lager. Gleichzeitig stand die VdU den wirtschaftlichen Eliten nahe – die Verbindung von nationalistischer und wirtschaftsliberaler Politik charakterisiert die FPÖ von Beginn an.
Die jüngere Geschichte der Partei ist von zwei Führungsfiguren geprägt: Jörg Haider und Heinz-Christian Strache. Der 2008 bei einem Autounfall verstorbene Haider leitete die Partei ab 1986 knapp zwanzig Jahre bis zu seinem Austritt 2005. Er führt die Partei im Jahr 2000 in eine Koalitionsregierung mit der konservativen ÖVP. Die rechtskonservative Regierung, deren Amtseinführung durch massive Proteste im Inland begleitet wird, setzt in der Folge eine dezidiert neoliberale Wirtschaftspolitik um. Dies führt wiederum zu einem internen Konflikt zwischen der Parteiführung und der nationalistischen Parteibasis, was in der Folge in Haiders Parteiaustritt resultiert.
Seit 2005 steht Heinz-Christian Strache, der in seiner Jugend in der Neonazi-Szene aktiv war und nach wie vor Mitglied der deutschnationalen Wiener Burschenschaft Vandalia ist, der Partei vor. Strache personifiziert die Verbindung der nationalistischen und neoliberalen Politik geradezu. Unter seiner Leitung zieht die Partei 2018 erneut als Koalitionspartner der ÖVP in die Regierung ein. Die Amtseinführung wird im Gegensatz zu jener um die Jahrtausendwende durch geringere Protestwellen begleitet. Dass viele Themen der FPÖ, allen voran eine ablehnende Haltung gegenüber dem Asylwesen und der Migration, im Wahlkampf von der großen Wahlgewinnerin ÖVP aufgenommen und adaptiert wurden, ist ebenso bezeichnend. Die FPÖ konnte offenbar trotz interner Konflikte ihre rechte Agenda über die letzten Jahrzehnte dauerhaft in der politischen Landschaft Österreichs verankern. Straches Blick gilt aber nicht nur dem Inland, er beabsichtigt Verbindungen zu gleichgesinnten Politikern in ganz Europa.
Eine rechtspopulistische Internationale
Am 1. März 2017 tritt der FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache unter tosendem Applaus am politischen Aschermittwoch der AfD im niederbayerischen Osterhofen auf, wo er die Wichtigkeit der Zusammenarbeit beider Parteien für die Zukunft Europas betont7. Auch die AfD ist sich der Bedeutung der grenzüberschreitenden Kooperation der rechten Parteien Europas bewusst: Am 21. Januar 2017 werden unter anderem die Front-National-Chefin Marine Le Pen und der niederländische Rechtspopulisten Geert Wilders zum großen AfD-Parteitag in Koblenz eingeladen. Während AfD und FPÖ die Nähe zu anderen rechten Parteien suchen, ist die SVP zumindest darauf bedacht, diese Suche nicht öffentlich zu machen. Wie die Schweiz-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung, Charlotte Theile, in ihrem Buch Ist die AfD zu stoppen? darlegt, bestehen allerdings direkte personelle Verbindungen zwischen dem SVP-Werber Alexander Segert, dessen Agentur Goal unter anderem die Plakate für die oben erwähnte Kampagne für die Masseneinwanderungsinititative entworfen hat, und einem AfD-nahen Think Thank.
Im deutschsprachigen Raum kann man also eine zunehmende Vernetzung rechtspopulistischer Parteien beobachten, die im Kontext der jeweiligen Erfolge dieser Parteien das Erstarken des europäischen Rechtspopulismus weiter vorantreibt. Sie stellt ein wichtiges Element in einem politischen Prozess dar, der ebenso in West-, Ost- und Nordeuropa zu beobachten ist. Wie verkündete Stephen Bannon euphorisch in Zürich: „Schauen Sie, was in Polen, Ungarn, Österreich passiert ist, und mit der AfD in Deutschland. Diese Revolution ist mit nichts zu vergleichen.“8 Auch wenn Bannons Verkündung einer Revolution übertrieben erscheint, so hat er dennoch erkannt, dass ein politischer Prozess in der westlichen Welt stattfindet, der einen fundamentalen Angriff auf die pluralistische Demokratie darstellt. Diese Gefahr darf nicht unterschätzt werden.