Während am Mittwoch am Centre médical der Firma Steffen Holzbau in Potaschberg auch die Radiologie in Betrieb genommen wurde, sprach die Gesundheitsministerin über „ein gesundes Verhältnis zur Sexualität“. Statt eine Pressekonferenz zu geben, auf der sie dargelegt hätte, wie sie das von ihr vor zwei Wochen ausgesprochene Verbot durchzusetzen gedenkt, außerhalb von Krankenhäusern Magnetresonanztomografen (IRM) zu betreiben, referierte Paulette Lenert (LSAP) in der Villa Louvigny gemeinsam mit DP-Schulminister Claude Meisch und LSAP-Chancengleichheitsministerin Taina Bofferding lieber über das politisch unverfänglichere Thema „Santé affective et sexuelle“.
Selbstverständlich ist dessen Bedeutung für die Gesellschaft nicht zu unterschätzen. Doch mit ihrem Wankelmut und ihrer politischen Unerfahrenheit und Unentschlossenheit bringt ausgerechnet die Gesundheitsministerin von der LSAP das Gesundheitssystem, so wie es seit über vier Jahrzehnten besteht, in Gefahr. Seit 1976 gilt, dass es reguliert sein soll. Seither sollen Krankenhäuser und schwere Technik staatlich geplant sein, um Verschwendungen öffentlicher Mittel und „doubles emplois“ zu vermeiden. Was dafür sorgen soll, dass die Gesundheitsversorgung „universell“ allen zugänglich bleibt, und dass die solidarisch finanzierte öffentliche Krankenversicherung wiederum allen unabhängig vom Einkommen eine gleichwertige Versorgung als soziales Recht garantieren kann. Das sind die politischen Ziele, denen die Regulierung unterliegt.
Eigentlich. Denn seit dieser Woche ist das nicht mehr so sicher. Paulette Lenert schaute zu, wie in Potaschberg Fakten geschaffen wurden. Dem Tageblatt gegenüber klagte sie am Mittwoch, es werde „politischer Druck“ auf sie ausgeübt. Das ist wohl wahr: Der Druck kommt einerseits von der CSV, deren Grevenmacher député-maire Léon Gloden das Projekt der lokalen Holzbaufirma, in einem ihr gehörenden Gebäudeneubau im Gewerbegebiet Potaschberg „ein Gesundheitszentrum als Komplettprogramm“ anbieten zu wollen, schon seit Jahren unterstützt. Der Druck kommt aber auch vom Koalitionspartner DP. Dessen Echternacher Abgeordnete Carole Hartmann setzt sich in der Kammer derart eifrig für den als „Stiefkind“ der Gesundheitsversorgung betrachteten Osten des Landes ein, dass Léon Gloden sich im November vergangenen Jahres herausgefordert fühlte und seine Gemeinde auf Facebook zu verbreiten anwies, „dank des unermüdlichen Einsatzes von Bürgermeister Léon Gloden und Privatinvestoren“ werde in Potaschberg voraussichtlich Anfang 2022 auch ein IRM-Gerät in Betrieb genommen (d’Land, 19.11.2021).
Vereinfacht betrachtet, erreichte am Mittwoch ein Spiel mit Paulette Lenert seinen vorläufigen Höhepunkt. Der Ministerin, die als ruhige und sympathische Erklärerin der Corona-Lage die Herzen vieler Wähler/innen eroberte und zur in Umfragen populärsten Politikerin des Landes aufstieg, kann es nicht ganz egal sein, wenn in der Ost-Region neue medizinische Angebote geschaffen werden: Der Ostbezirk ist bis auf weiteres auch ihr Wahlbezirk. Hinzu kommt, dass die LSAP-Vizepremierministerin, die ihre Partei sich gerne als Spitzenkandidatin für 2023 und als künftige Premierministerin vorstellt, anderthalb Jahre vor den nächsten Wahlen ein lohnendes Ziel verkörpert: Nicht nur der CSV, auch der DP kann daran gelegen sein, ihr politische Niederlagen zu bereiten. Nicht nur Léon Gloden und die CSV-Fraktionsvorsitzende Martine Hansen lobten sich selbst vergangenen Samstag in einem ganzseitigen Wort-Artikel, „dank unseres Einsatzes tut sich nun endlich etwas“, und „der in medizinischen Belangen staatlicherseits so stiefmütterlich behandelte Osten beschreitet neue Wege“. Carole Hartmann von der DP feierte ebenfalls einen kleinen Sieg: Dem Radio 100,7 erklärte sie am gestrigen Donnerstag munter, dass „Ärzte sich trauen“, in Potaschberg trotz Verbot Radiologie zu betreiben, sei „in erster Linie eine gute Neuigkeit für den Osten“ – das „Stiefkind“. Diesen Weg müsse das Gesundheitssystem „weitergehen“. Würde Paulette Lenert in einem solchen Kontext energisch durchsetzen, was sie dem von deutschen Ärzten gegründeten Groupement d’intérêt économique in der Grevenmacher Gewerbezone angekündigt hat, würde sie sich im Osten bei vielen unbeliebt machen.
Weniger vereinfacht betrachtet aber dürfte die Gesundheitsministerin diese Woche ihre Glaubwürdigkeit als Gestalterin des „Systems“ verspielt haben, wofür eigentlich mit viel Tamtam der Gesondheetsdësch einberufen worden war. Potaschberg ist nur ein Symptom unter mehreren. Wenn von einem Regierungsmitglied erwartet werden darf, eine Vision für die im Koalitionsvertrag abgemachte „Vernetzung“ von Krankenhausmedizin und außerklinischer Versorgung zu entwickeln und diese Vision nach außen hin zu vertreten und zur Diskussion zu stellen, dann selbstverständlich von ihr. Noch aber hat sie dazu nur sehr wenig von sich gegeben. Was mittlerweile alle an der Diskussion Beteiligten ärgert; auch den Ärzteverband AMMD, der die Systemdebatte während des Wahlkampfs 2018 erkämpft hatte. Zu allem, was nicht mit der Corona-Seuche zu tun hat, sondern mit Gesundheitspolitik, erklärt die Ministerin notorisch, sie kenne sich noch nicht aus, müsse sich erst informieren, habe dazu aber wegen Corona noch keine Zeit gehabt. Manchmal ergeht sie sich in technokratischen Erklärungen. Viel häufiger sagt sie gar nichts. Im RTL-Fernsehen meinte sie am Mittwochabend zum Thema Potaschberg lediglich, Beamte des Gesundheitsamts losgeschickt zu haben. Die würden ihr einen „Bericht“ schreiben. Und sie fügte hinzu, aufgrund dieses Berichts „wird sich auch die CNS endgültig positionieren können“.
Wenn es schon eine politische Kapitulation war, lediglich einen Bericht zu erwarten, dann war der lapidare Verweis auf die Krankenkasse eine weitere: Die Gesundheitsministerin gab damit der in der Öffentlichkeit mittlerweile verbreiteten Auffassung nach, die Mühlen der CNS mahlten zu langsam. Und als bestehe das Ärgernis um die Kernspintomografen vor allem darin, dass es nach wie vor nur den Kassentarif für die IRM-Analyse selbst durch den Radiologen gibt (zurzeit 162,90 Euro). Nicht aber auch einen Tarif, der mit der Anschaffung und dem Betrieb des Apparats verbundene Kosten decken hilft; für Abschreibungen und Personal etwa. In den Kliniken trägt die CNS diese Kosten über die Spitalbudgets, die Patienten kommen nicht in Berührung damit. Außerhalb der Spitäler bleiben sie zu definieren – sofern IRM dort gewollt sind. Schätzungen von Radiologen gehen von zusätzlichen 360 Euro pro Analyse aus. Womit der dafür in Arztpraxen zu zahlende Gesamtpreis in die Nähe dessen geriete, was in der Privatmedizin in Deutschland üblich ist. Womit sich politische Fragen verbinden, die Paulette Lenert jedoch anscheinend an die öffentliche Einrichtung CNS zu delegieren bevorzugt.
Dass die Rolle von Gesundheitsminister/innen darin bestehe, Geld auszugeben, während Sozialminister/innen die Finanzen der Sozialversicherung zusammenhalten, ist ein Bonmot, das gerne mal erzählt wird. Auf Paulette Lenert trifft es insofern nicht zu, als sie auch beigeordnete Sozialministerin ist. Hinzu kommt aber: Bei all den Diskussionen in der Öffentlichkeit und den meist recht vereinfachten Darstellungen in den Medien wird der Eindruck erweckt, als sei die ganze Thematik nur eine der Freiheit der Berufsausübung – freiberuflicher – Ärzt/innen. Und als sei alles klar, nachdem das Verfassungsgericht im Juli 2019 sein seither zu einiger Berühmtheit gelangtes Urteil fällte, dass eine großherzogliche Verordnung von 1993 den Betrieb von schwerer und teurer Technik (unter anderem IRM) auf Krankenhäuser limitiert, schränke die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung auf verfassungswidrige Art ein. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Der andere Teil lautet: Über die Rechte der Krankenversicherten gibt es ebenfalls Gesetze. Und noch immer soll die Regulierung des medizinischen Angebots dafür sorgen, dass diese Rechte universell für alle gelten. Was sogar der Freiheit der Berufsausübung von Ärzt/innen Grenzen setzen kann.
Offensichtlich jedoch gibt es in der Regierungsmannschaft der LSAP keine Stimme, die klar nach außen vertritt, was das heißt. Solange Romain Schneider Sozialminister war, übernahm er das ab und zu. Sein Nachfolger Claude Haagen ist noch damit beschäftigt, alle am Sozialversicherungssystem interessierten Akteure zu treffen. Lenerts gerne unverschämter Vorgänger Etienne Schneider gefiel sich darin zu erklären, „in einem reichen Land wie Luxemburg“ könne es nicht sein, dass das medizinische Angebot Wartezeiten erzwingt. Damit schien er die Türen weit öffnen zu wollen. Auf die Finanzierbarkeit aus öffentlichen Mitteln angesprochen, bekannte er launig, „damit kenne ich mich nicht aus“. Würde in der LSAP-Fraktion und dem parlamentarischen Gesundsheitsausschuss nicht Mars Di Bartolomeo als Schatten-Gesundheitsminister agieren, wäre die Luxemburger Sozialdemokratie von einem ihrer politischen Kernbereiche abgemeldet.
Das Problem dabei ist jedoch nicht nur eines der mit Politik überforderten Gesundheitsministerin, für die Entscheidungen zu treffen eine ähnliche ultima ratio zu sein scheint wie eine Impfpflicht, sowie ihrer Partei. Es ist auch ein Problem der gesamten politischen Klasse, weil die Debatte verarmt, wodurch sich niemand wirklich zuständig vorkommen muss. Es sei denn dafür, den Erwartungen der Bürger/innen hinterherzulaufen. Doch die Erfahrung lehrt, dass gerade im Gesundheitsbereich Angebote ihre eigene Nachfrage erzeugen. Wer will, dass die Angebote vernünftig strukturiert, aufeinander abgestimmt und bezahlbar sind, muss sagen, wie das genau gemeint ist. Und erklären, wo die Grenzen liegen. Sonst bliebe nur, den Markt zu öffnen und lediglich über Preise und Tarife dafür zu sorgen, dass er sich selbst reguliert. Dass das nicht gerade Kassentarife sein würden, davon kann man ausgehen.