Am 4. Mai verabschiedete das Regierungskabinett einen Entwurf zur Reform des Tierschutzgesetzes. Das bestehende Gesetz sei nämlich nicht mehr zeitgemäß und mit der Reform solle der gesetzliche Tierschutz an die „veränderten gesellschaftlichen Bedingungen angepasst“ werden, meinte Agrar- und Verbraucherschutzminister Fernand Etgen (DP) am Freitag, ohne diese veränderten Bedingungen zu nennen.
Dabei scheinen sich die gesellschaftlichen Bedingungen neuerdings rasch zu ändern, wenn es um den Tierschutz geht. Nach der Gründung des ersten Tierschutzvereins 1908 hatte der sozialistische Abgeordnete René Blum schon 1924 einen Vorschlag für ein Tierschutzgesetz im Parlament eingebracht, aber es dauerte bis 1965, ehe Luxemburg sein erstes Tierschutzgesetz erhielt. Dieses wurde keine 20 Jahre alt, dann wurde unter dem Einfluss der erstarkenden Naturschutzbewegung 1983 ein neues fällig. Und nun erheischen die gesellschaftlichen Bedingungen schon wieder ein neues Gesetz oder zumindest der politische Druck der Tierfreunde. Sie hängen inzwischen einer von der Umweltschutzbewegung verbreiteten neue Kosmologie an, welche den Menschen des „Anthropozän“ als Krönung der Schöpfung entthront oder zumindest seine Stellung im Universum relativiert.
Der politische Druck der Tierfreunde ist erheblich. Bei den seit zwei Jahren über Internet im Parlament eingereichten Unterschriftensammlungen ist der Tierschutz ein regelmäßiges Anliegen. Verlangt wird da ein Jagdverbot, ein Verbot von Pelzbekleidung, Zirkustieren, Stachel- und Würgehalsbändern, aber auch der Respekt der Tiere, der Schutz der Bienen und der Wale, eine strengere Bestrafung der Tierquälerei und eine Lockerung des Kampfhundegesetzes. Gleich die erste Unterschriftensammlung zur Verschärfung des Tierschutzgesetzes erntete 5 425 Unterschriften und nach einer öffentlichen Anhörung der Urheber im Oktober 2014 übernahm der Agrarminister nun einen großen Teil ihrer Forderungen in seinen Gesetzentwurf.
Kämpferische Tierschützerinnen hatten sogar im Laufe der Jahrzehnte wiederholt angedroht, „notfalls in die Wahlen zu gehen“, um den Druck auf die politischen Parteien zu erhöhen. Im Dezember 2003 hatten dann tatsächlich ein Gemeindeangestellter, zwei Privatangestellte, ein Geschäftsmann, eine Hausfrau und eine Studentin in Berchem eine Déiereschutzpartei fir Lëtzebuerg MDN als ordentliche Vereinigung ohne Gewinnzweck gegründet. Ihr Ziel sollte es sein, den Tierschutz zum Verfassungsauftrag zu machen, gegen Treibjagden, Fallenstellen und die Diskriminierung der Kampfhunde vorzugehen. Vielleicht war es die Schuld der Wahlgesetzreform, dass die Partei weder 2004 noch später jemals kandidierte.
Doch inzwischen gibt es kaum eine Partei, die nicht bloß den Menschen, sondern auch seinen Hund in den Mittelpunkt stellen will. Im Wahlkampf bemühen sich insbesondere die kleineren Parteien und einzelne Politiker aus der zweiten Reihe großer Parteien um die Stimmen parteipolitisch frei schwebender Tierfreunde. Bei den letzten Legislativwahlen war die CSV die einzige Partei, die es sich leistete, auf diese Nische zu verzichten und in ihrem Wahlprogramm kein Wort über den Tierschutz verlor, während die LSAP lapidar einen angemessenen Tierschutz versprach (S. 54).
Die DP wollte den „Tierschutz ernst nehmen“ und dies „besonders auf der Ebene der Kontrollen“ (S. 85), sah aber nicht die nun vom DP-Landwirtschaftsminister vorgelegte Reform des Tierschutzgesetzes vor. Diese war von den Grünen versprochen worden, ebenso wie der Kampf gegen Massentierhaltung und „Qualzuchten“, gegen unnütze Tiertransporte und „die nicht-artgerechte Haltung von Wildtieren“ (S. 71). Obwohl Marx und Engels sich im Manifest der Kommunistischen Partei über den „Bourgeois-Socialismus“ der „Abschaffer der Thierquälerei“ mokierten (S.21), verlangte die KPL die schon sechs Jahre zuvor erfolgte „Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung“ (S. 12), und die Linke versprach einen besseren gesetzlichen „Schutz der Tiere vor Ausbeutung, Leiden und Ausrottung“ (S. 12). Die ansonsten auf Datenschutz bedachte Piratenpartei wollte sogar „Bauern, die öfters bei der Tierquälerei erwischt wurden“, im Internet an den Pranger stellen (S. 125).
Räumten die anderen Parteien dem Tierschutz wenige Zeilen ein, so widmete die seit dem Rententisch verzweifelt nach Wählern suchende ADR ihm zwei ganze Seiten ihres Wahlprogramms – immerhin ist ihr Präsident Jean Schoos Tierarzt. Das Kapitel „Respekt vor den Tieren“ im ADR-Wahlprogramm begann alttestamentarisch mit der Feststellung, dass „der Mensch gegenüber de[m] ihm anvertrauten Tier“ verantwortlich sei, versprach „einen eigenen Rechtsstatus“ für Tiere, gibt sich aber auch jagdfreundlich und reicht von der Reform des „Muppegesetz“ über das Schächten und Viehtransporte bis zu den Schulkantinen und der „großzügig[en]“ Bezuschussung von Tierasylen (S. 183). Jean Colomberas von der ADR abgespaltene Partei fir integral Demokratie überhöhte das alles noch ganzheitlich zu einem „Miteinander von Mensch, Tier und Boden in einem geschlossenen Kreislauf“ (S. 2).
Möglicherweise sind die oft älteren ADR-Wähler aus einfachen Verhältnissen besonders leidenschaftliche Tierfreunde. Denn in einer als chaotisch und feindlich empfundenen Welt des globalisierten Konkurrenzkampfs ermöglicht die Tierwelt nicht nur den kindisch-biedermeierlichen Rückzug in eine übersichtliche Schrebergartenidylle. Hunde, Katzen und Küken erlauben noch dem gesellschaftlich Schutzlosesten und Machtlosesten, zum Beschützer zu werden. Sie verleihen selbst Blondis Herrchen und dem rechtsradikalen Tierschutzstar Brigitte Bardot moralische Überlegenheit.
In seinen „Fragmente[n] über Wagner“ (Zeitschrift für Sozialforschung, 1939 1/2, S. 39) sinniert Theodor W. Adorno über Parsifal: „Das Leiden, das bei Schopenhauer gerade in seiner Armseligkeit als ‚blosse Erscheinung’ mit ganzem Ernst erscheint, wird bagatellisiert durch seine Grösse; als materielles ist es bei Wagner allein noch der stummen Kreatur: dem Schwan des Parsifal vorbehalten. Der Tierschutz wird sentimental, sobald Mitleid den Menschen den Rücken kehrt.“
Die nun vorgelegte Reform kommt den gnadenlosen Tierschützern entgegen, indem sie die Gefängnisstrafen für Tierquälerei versechsfacht und die Geldbußen vervierzigfacht. Daneben soll die bürokratische Kontrolle der Tierhaltung und -verwertung verschärft und die Liste der verbotenen Praktiken im Umgang mit Tieren verlängert werden, vom Hundeverkauf im Supermarkt über die Vernichtung frisch geschlüpfter Hähnchen und die Pelztierzucht bis hin zum Sex mit Tieren.
Königstochter Leda riskiert nun bei wiederholtem Beischlaf mit einem Schwan bis zu sechs Jahren Gefängnis. Denn in einer oft als moralisch verkommen empfundenen Welt, die alle schuldig werden lässt, werden Kinder und Tiere als die letzten unschuldigen Wesen angesehen. Deshalb gelten Pädophilie und Tierquälerei derzeit als die abscheulichsten aller Verbrechen, und folgerichtig sollen nun auch unschuldige Hunde und Ziegen vor der Befleckung durch sexuelle Begierde geschützt werden.
Vor allem soll der Anthropomorphismus der tierischen „Würde“ Gesetzeskraft erhalten und das neue Gesetz soll ein Tier definieren als „être vivant non humain doué de sensibilité en ce qu’il est doté d’un système nerveux le rendant scientifiquement apte à ressentir la douleur et à éprouver d’autres émotions“. Durch diese wörtlich aus dem vor einem Jahr geänderten Bürgerlichen Gesetzbuch Frankreichs übernommene Definition erweckt die Regierung zur Zufriedenheit der Tierschützer den trügerischen Anschein, als ob Tiere nun zu einer neuen Kategorie von Rechtsgegenständen gehörten, die sie von beweglichen Gütern unterschieden. Gleichzeitig werden sie allerdings zur Zufriedenheit der Landwirte und Jäger rechtlich weiter wie bewegliche Güter behandelt und gehandelt, bloß dass das Verbot der Tierquälerei das Eigentumsrecht auf sie einschränkt. Seit Tiere nicht mehr als landwirtschaftliche Produktionsmittel angesehen werden, sondern sich als Verkörperung einer edlen inneren und äußeren Natur von der bösen Zivilisation unterscheiden müssen, haben sich die Anwälte und Buchhalter des theologischen Disputs angenommen, ob Tiere eine Seele haben.
In einer ähnlichen Überlegung hatte das Parlament es 2007 abgelehnt, in der Verfassung Tierrechte anzuerkennen, und lieber in Artikel 11bis den Schutz von Pferden und Bandwürmern zu einem Verfassungsauftrag für den Staat gemacht: „Il promeut la protection et le bien-être des animaux.“ Bei der geplanten großen Verfassungsrevision soll der Satz unverändert in Artikel 42 rücken, noch vor Artikel 43: „Le Grand-Duc est le Chef de l’État.“