Medizinische Privatlabors

Die Labor-Blase

d'Lëtzebuerger Land du 05.03.2009

Das klang überraschend: Ende letzter Woche schickten die Chefs zweier medizinischer Privatlabors E-Mails an die Presse. Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) denke daran, das „Zwölfer-Limit“ für Laboranalysen aufzuheben.

So kürzt die Branche die unbeliebte Regelung ab, die seit Anfang 2005 gilt und nach der die Gesundheitskasse CNS pro ärztlicher Verschreibung maximal zwölf einzelne Analyseposten bezahlt. Dass sich das bald schon ändern könnte, wollten Jacky Talon vom Laboratoire Les Forges du Sud und Jean-Luc Dourson von den Laboratoires Ketterthill aus „mehreren Quellen“ erfahren haben. Und sie haben Recht. Nicht nur der Minister, auch der Verwaltungsrat der CNS ist prinzipiell bereit, die Regelung wieder außer Kraft zu setzen.

Damit könnte die Geschichte schon zu Ende erzählt sein. Denn die Patienten erfuhren davon nur aus den Medien; etwa, als das Zwölfer-Limit 2007 den Verwaltungsgerichtshof beschäftigte. Nie dagegen traf es die Patienten pekuniär. Falls ein Arzt mehr als zwölf Einzelanalysen auf einmal verschreibt, stellen die Privatlabors die überzähligen nach wie vor einfach nicht in Rechnung. Man wolle, sagt Ketterthill-Chef Dourson, „schließlich keine Patienten-Kunden an die Krankenhauslabors verlieren“.

Das ist eine Bemerkung, die an den Anfang der Auseinandersetzung führt und dann doch daran zweifeln lässt, ob sie schnell beendet werden könnte.

Denn das kleine Luxemburg leistet sich nicht nur einen regelrechten Labor-Markt, sondern obendrein einen aufgeblähten. Vor Jahrzehnten waren es überwiegend die Kliniklabors, die neben Analysen für stationär betreute Patienten auch der Laufkundschaft Blut- und Urinproben abnahmen. Neben dem staatlichen Laboratoire national de santé nahmen über Land aber nach und nach immer mehr privat geführte Labors ihren Betrieb auf und konnten ihre Leistungen bei den Krankenkassen abrechnen. Das war lukrativ: Ehe Mitte der Neunzigerjahre die Kliniken auf eine Budgetierung umgestellt wurden, die dann auch die Aufwendungen ihrer Labors umfasste, erhielten sie jede einzelne Analyse von den Kassen vergütet. Diese Tarife basierten auf einem Schweizer Modell und waren absichtlich hoch: über die Laborleistungen subventionierten die Häuser einen großen Teil ihrer in anderen Bereichen entstehenden Defizite. Nach Einführung der Klinik-Budgetierung galten die hohen Tarife für die außerklinischen Labors weiter. Erst 2001 gab es mit einer pauschalen Senkung um zehn Prozent einen nennenswerten Einschnitt.

Im Gesundheitsministerium wie bei der CNS wird heute eingeräumt, dass man einer ungesunden Entwicklung zu lange zugeschaut hat. Denn nun gibt es zwei Parallelstrukturen: Die Kliniklabors, die laut der Carte sanitaire, die in Abständen eine Strukturanalyse des Gesundheitswesens vornimmt, die Versorgung des ganzen Landes ohne weiteres allein erledigen könnten. Und die Privatlabors, die von sich das gleiche behaupten und, so Jean-Luc Dourson, obendrein „moderner ausgestattet und effizienter“ seien. 

Dass das stimmt, hat kürzlich eine von der Consulting-Firma Schellen [&] Partner für die CNS angefertigte Studie ergeben. Doch dass die Kliniklabors in der Ausstattung schlechter dastehen, liege daran, dass für sie noch ein von der Krankenkassenunion UCM verfügtes Moratorium für Investitionen in Labortechnik gilt, sagt CNS-Präsident Jean-Marie Feider. „Wir wollten ja abbauen.“ Mittlerweile stelle sich jedoch die Frage, ob das Beharren auf zum Teil in die Jahre gekommener Analysetechnik nicht mehr kostet als die Anschaffung neuer Apparate. Die könnten eine Automatisierung mancher Analysen erlauben und Personal sparen.

Personalintensiver als ihre privaten Pendants sind die Kliniklabors aber vor allem, weil sie ständig in Betrieb gehalten werden müssen. „Die Privaten mögen derzeit effizienter sein als wir“, sagt Philippe Turk, Direktor der Zitha-Klinik in Luxemburg-Stadt, „aber geht es darum, Analysen an Wochenenden, Feiertagen und nachts zu erledigen, bleibt alles bei den Kliniklabors hängen.“

So dass nicht zuletzt ein service public zu definieren wäre, wollte man die hiesige Laborlandschaft ordnen. CNS und Ministerium wollen es. Fragt sich nur, wie. Vielleicht, weil sie wissen, dass sie nachts und an Wochenenden eine Versorgungslücke offen lassen, verstehen die Privatlabors unter service public in erster Linie „Nähe zum Kunden“ durch lokale centres de prélèvement und mobile Ruf-den-Blutabnehmer-Angebote, bei denen die Kunden daheim aufgesucht werden. 

Doch das starke Wachstum der centres de prélèvement in den letzten Jahren ist auch ein Ausdruck des Konkurrenzkampfes unter den Privaten. In den Jahren vor und nach der Jahrtausendwende konsolidierte sich die Privat-Laborbranche stark. Das heutige Labor Ketterthill entstand zwischen 2002 und 2007 durch Zusammenschluss von vier Labors. Zwei weitere waren schon 1996 zu den Laboratoires Réunis fusioniert worden. Mit 153 Mitarbeitern und landesweit 44 centres de prélèvement ist Ketterthill derzeit größter privater Akteur. Die Laboratoires Réunis sind nicht so viel kleiner, mit 126 Mitarbeitern und 26 Entnahmezentren. Mit nur zwanzig Mitarbeitern das kleinste ist das Laboratoire Les Forges du Sud. Von seinem Hauptsitz in Düdelingen aus betreibt es mittlerweile aber nicht nur centres de prélèvement in der Minette-Region, sondern auch in Howald, Roeser und in den Hauptstadt-Quartiers Cessingen und Clausen.

Allerdings ist der „Entnahmemarkt“ nicht überall nach einer Art Kartellprinzip zwischen den Labors geografisch aufgeteilt. In Luxemburg-Bonneweg etwa trennen keine zwei Minuten Fußweg ein Entnahmezentrum von Ketterthill von einer, die zu den Laboratoires Réunis gehört. In Bartringen ist Ketterthill zweimal präsent, die Laboratoires Réunis einmal, in Diekirch ist es umgekehrt. In Mondorf konkurriert je ein centre de prélèvement von Ketterthill und den Laboratoires Réunis mit dem kleinen Labor des Domaine thermal um das Blut der Kurgäste.

Vor allem diese Entwicklung war es gewesen, auf die 2004 die Krankenkassenunion reagieren wollte, als sie beschloss, pro Verschreibung nur noch zwölf Analyseposten zu be­zahlen. Die Ausgaben für außerklinische Labors waren zwischen 2002 und 2003 um 16 Prozent, zwischen 2003 und 2004 um 18 Prozent gestiegen; das waren stets Spitzenwerte bei den Ausgabenzuwächsen für Sachleistungen gewesen. Die noch immer üppigen Tarife hatten eine Art Labor-Blase entstehen lassen. Und bis heute halten sich in der Szene hartnäckig Berichte von Labors, die in Arztpraxen für die Morgenstunden Räumlichkeiten gemietet hätten, um dort ein centre de prélèvement zu betreiben, und die von ihren Vermietern mit besonders umfangreichen Blutanalyse-Aufträgen verwöhnt worden wären.

Dass die CNS heute bereit ist, die Regelung wieder zu kippen, liegt vor allem daran, dass sie in den Kliniken kaum befolgt werden kann. Der Verwaltungsgerichtshof nannte es Anfang 2007 verfassungswidrig, dass das Zwölfer-Limit nicht auch für ambulante Patienten in den Kliniken galt, und so weitete die UCM die Regel auf die Spitäler aus. Doch diese wiesen den administrativen Zusatzaufwand stets von sich. 

Wie die Geschichte weitergeht, entscheidet sich an mehreren Fragen. Der CNS-Verwaltungsrat macht sein prinzipielles Entgegenkommen an die Labors von drei Bedingungen abhängig. Erstens soll künftig nicht mehr jede Analyse einzeln bezahlt, sondern es sollen „Blöcke“ gebildet werden. Zweitens will die CNS eine Handhabe auf das Verschreibungsverhalten der Ärzte haben. Was 2005 schon die UCM wollte und worauf der Ärzteverband AMMD sich mit den Labors solidarisierte. Drittens soll, um Mehrfachanalysen zu vermeiden, eine gemeinsame Datenplattform eingerichtet werden. Aber zum einen gibt es noch offene Datenschutzfragen, zum anderen sollten der Plattform auch die Kliniklabors zuarbeiten. Doch die Spitäler weigern sich bislang.

Sache des Gesundheitsministers dagegen ist der Wunsch von Privatlabors, das von 1984 datierende Laborgesetz zu ändern: Derzeit ist die Gründung eines Privatlabors nur als Personalgesellschaft möglich. Dass die Laborchefs dafür eintreten, ihren Betrieb als Kapitalgesellschaft neu zu gründen und mit Partnern aus dem Ausland zu kooperieren, könnte man für eine Synergiesuche in einer Hightech-Branche halten. In der Forschung ak­tiver werden möchten die Labors eben­falls. Aber dass man so kurz vor den Wahlen die PR-Trommel in Richtung Minister rührt, kann auch ein Anzeichen dafür sein, dass sich die so expansionswilligen Labors übernommen haben und nun nach Refinanzierungsmöglichkeiten suchen. 

Zumal der Minister im Dezember per Budgetgesetz die Labortarife pauschal um fast 20 Prozent kürzen ließ. Zuvor waren Tarifgespräche zwischen der UCM und dem Laborverband SLBC gescheitert. Anschließend aber simulierte die UCM im Detail, welche Gewinnmarge einem Kliniklabor entstün­de, würde es, wie vor 15 Jahren, pro Analyseakt bezahlt. Die Simulation ergab 24 Prozent Marge für ein Spital – trotz der hohen Kosten für Laborpersonal mit parastaatlichem Statut. Im Gesundheitsministerium geht man davon aus, dass die Marge der Privatlabors durchaus bei 50 Prozent ihres Umsatzes liegen könnte, wenngleich man es nicht beweisen kann. 

Auszuschließen ist es deshalb nicht, dass die öffentlich gestützte New-Economy-Ära für die Privatlabors sich dem Ende zuneigt. Von Glück könnten dann all jene reden, die bereits genug Geld verdient und sich zur Ruhe gesetzt haben. Wie ein ehemaliger Besitzer eines anschließend mit anderen fusionierten Labors: Mit Mitte 40 begann er eine entspannte zweite Laufbahn als Bergführer in den Vogesen. 

 

Peter Feist
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