Nachdem der Innenminister jahrelang alle Versuche zu einer Wasserpreisstaffelung abblockte, hat der Premier sie vor vier Wochen versprochen. Wie sie aussehen soll, kann niemand sagen

Indexwaschung

d'Lëtzebuerger Land vom 13.01.2012

„Wir werden eine landesweite So-zialstaffelung im Wasserpreis einführen. Wir halten das für nötig.“ So lautete eine der bemerkenswertesten Ankündigungen von Premier Jean-Claude Juncker (CSV) nach der Kabinettsitzung vom 16. Dezember, als die Tripartite gescheitert war, die Regierung eine Indexmanipulation bis zum Ende der Legislaturperiode beschloss und Juncker ein ganzes Füllhorn an Ausgleichsmaßnahmen für einkommensschwache Haushalte in Aussicht stellte.

Bemerkenswert war die Ankündigung deshalb, weil der für die Wasserpolitik zuständige Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) sich jahrelang bemüht hatte, klar zu machen, dass eine Sozialstaffelung nicht in Frage komme. Versuche einzelner Gemeinden, gestaffelte Wasserpreise dennoch einzuführen, blockte das Innenministe-rium ab: das Staffelungsmodell der Gemeinde Wiltz von Anfang 2010 zum Beispiel, oder die Idee der Gemeinde Monnerich, jedem Bürger zwanzig Kubikmeter Wasser im Jahr gratis zuzugestehen.

Heute sagt der Monnericher Bürgermeister Dan Kersch (LSAP), der auch Präsident des Gemeindeverbands Syvicol ist: „Die Regierung scheint festzustellen, was wir immer gesagt haben. Nämlich, dass bei der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie rein technisch vorgegangen wurde und man soziale und wirtschaftliche Folgen überhaupt nicht bedacht hat.“ In Monnerich, kündigt Kersch an, werde der Gemeinderat demnächst wieder über die Wasserpreise abzustimmen haben. „Unser 20-Liter-gratis-Modell behalten wir bei und werden überdies noch eine soziale Staffelung vorsehen.“

Dass das Innenministerium, angesichts eines modulierten Index, dem noch vor Monatsende die Abgeordnetenkammer zustimmen soll, das Monnericher Preismodell dann womöglich als Beispiel fürs ganze Land anbieten könnte, scheint allerdings nicht so sicher. Anfragen des Land, was die „landesweite Sozialstaffelung“ konkret bedeute, beantwortet Halsdorf wie auch das ihm unterstehende Wasserwirtschaftsamt mit konsequentem Schweigen. Die Entscheidung zum Wasserpreis dürfte im Regierungsrat demnach ganz schnell getroffen worden sein.

Und noch immer ist es so, dass zwar die EU-Wasserrahmenrichtlinie prinzipiell erlaubt, soziale Unterschiede zu kompensieren, die aus kostendeckenden Preisen für Trinkwasserbereitststellung und Abwasserbehandlung entstehen. Ins Wassergesetz, das am 11. Dezember 2008 die Abgeordnetenkammer passierte, war dieser Passus jedoch nicht übernommen worden, und in der Begründung zum Gesetz steht ausdrücklich, einen Ausgleich für Einkommensschwache könne es nur „außerhalb“ des Wassergesetzes geben. In der Praxis sind das Gratismengen für Sozialhilfeempfänger oder Zulagen, die verschiedene Gemeinden zusätzlich zur staatlichen Allocation de vie chère auf Antrag gewähren. Falls das Innenministerium das Wassergesetz weiterhin so auslegen will wie bisher, kann es keine Sozialstaffelung geben, ohne das Gesetz zu ändern.

Es wäre aber ziemlich überraschend, wenn die Regierung das wollte. Mag eine Preisstaffelung auch nicht nur aus sozialen, sondern ebenso aus ökologischen Erwägungen sinnvoll sein. „Als wir unser Modell erarbeitet haben, staffelten wir den Wasserpreis für die Haushalte nicht etwa nach der Einkommenshöhe, sondern in vier Stufen nach dem Verbrauch pro Person“, erinnert der Wiltzer Bürgermeister Frank Arndt (LSAP).

„Insgesamt kostendeckend wären die Preise geblieben“, fährt er fort. „Nur hätte, wer besonders viel verbraucht, in der höchsten Preiskategorie anteilig viel bezahlen müssen. Wer besonders wenig verbraucht, wäre belohnt worden, wenn es ihm gelungen wäre, in der Kategorie mit dem kleinsten Preis zu bleiben.“ Der kleinste Preis hatte in Wiltz bis zu einem Jahresverbrauch von 35 Kubikmeter pro Person gelten sollen. Das entspricht einem Tagesverbrauch von 96 Litern – und ist ja womöglich ein guter Anreiz zum Wassersparen, wenn in Luxemburg der tägliche Durchschnittskonsum bei 120 Litern pro Person liegt.

Nur würde, wollte man ein solches Modell landesweit einführen, vorher zu diskutieren bleiben, welcher Wasserverbrauch pro Person denn anzustreben wäre. Nicht zuletzt auch, falls eine gewisse Menge gratis abgegeben werden sollte: ein Anreiz zur Verschwendung sollten die Wasserpreise schließlich nicht sein.

Oder doch? Fakt ist, dass eine solche Diskussion in Luxemburg noch nie geführt wurde – auch in der über anderthalb Jahre langen Debatte um das Wassergesetz nicht. Tatsache ist aber ebenfalls, dass in der aktuellen Preisstruktur nicht nur ein variabler Anteil steckt, der sich auf den Verbrauch zurückführen lässt, sondern auch ein Festanteil. Auf dessen Bezahlung sind die für Wasserversorgung und Abwasserbehandlung zuständigen Gemeinden angewiesen, denn daraus werden Personalkosten im kommunalen Wasserdienst ebenso bestritten wie Investitionen in die Infrastruktur oder den Schutz von Trinkwasserquellen. Dass hierzulande in den beiden letztgenannten Bereichen ein zum Teil riesiger Nachholbedarf besteht – so sind in manchen Gemeinden 50 Prozent des Abwassernetzes sanierungsbedürftig –, war ein wesentlicher Grund dafür, dass die Wasserpreise in erster Linie „wirtschaftlich“ ausgelegt wurden.

Und noch ist die Preisstruktur, die das Innenministerium empfiehlt, nicht überall etabliert. Damit zwischen dicht besiedelten Stadtgemeinden und Landgemeinden, die flächenmäßig groß sind, aber dünn besiedelt und daher in den Infrastrukturkosten teuer, die Preisunterschiede im Rahmen bleiben, stellte Jean-Marie Halsdorf im März vergangenen Jahres ein Rechenmodell vor, das alle Gemeinden anwenden sollten und durch das möglichst niemand benachteiligt werden soll. Für die Haushalte sollte der Wasserpreis – Trink- und Abwasser zusammengenommen – nicht über sieben Euro je Kubikmeter steigen. Großverbraucher aus der Industrie, die laut Wassergesetz eine weitere eigene Konsumentenkategorie bilden, sollten vor allem feste Anteile an den kommunalen Wasser-Gestehungskosten tragen, Agarbetriebe – die dritte Kategorie – in den Fixkosten zwischen Haushalten und Industrie liegen.

Doch das hat weder zum „landesweiten Einheitspreis von einem Euro“ geführt, den Premier Juncker der Landwirtschaft im Herbst 2009 versprochen hat, noch stellt es Handwerksbetriebe zufrieden, die zur Kategorie „Haushalte“ gehören: „Ansiedeln kann sich ein Handwerksbetrieb sowieso nur da, wo Platz ist“, sagt Romain Schmit, der Direktor der Handwerkerförderation, „und Gewerbeflächen sind knapp. Umso schlechter für einen Betrieb, wenn sein Standort in einer Gemeinde mit hohem Wasserpreis liegt. Zumal man in verschiedenen Branchen durch Umwelt- und Hygieneauflagen gezwungen ist, zusätzlich Wasser zu verbrauchen.“

Wenigstens gibt es keine großen Klagen aus der Industrie, doch ganz offensichtlich sorgt der Umstand, dass es im kleinen Land mit seiner hal-ben Million Einwohner keinen Einheitswasserpreis pro Verbraucherkategorie gibt, sondern so viele Preise wie Gemeinden, weiterhin für Probleme. Könnten nicht, falls „soziale Staffelung“ hieße, ein Modell aufzustellen, das die Gemeinden dann jeweils anwenden, die Preisunterschiede von Gemeinde zu Gemeinde den Bürgern wieder stärker auffallen, nachdem sich monatelang niemand darüber erregte?

Unter anderem das fürchtet der Tandeler Député-maire Ali Kaes, der 2008 bei der Verabschiedung des Wassergesetzentwurfs als einziges Mitglied der CSV-Fraktion dagegen stimmte und seither für den „landesweiten Einheitspreis“ streitet: „Ob die Regierung beschließt, pro Bürger eine gewisse Menge Wasser gratis abzugeben oder eine Staffelung nach Verbrauch oder Einkommenshöhe: Das Kostendeckungsprinzip bleibt uns erhalten und Preisnachlässe an der einen Stelle müssten durch Aufschläge an anderer Stelle kompensiert werden. “ Am Ende werde „ein Chaos aus hunderten Preisen“ entstehen, die „weder vernünftig zu verwalten, noch den Leuten zu vermitteln“ seien. Kaes fordert, was er schon seit fünf Jahren predigt: Einen „solidarischen“ Wasserkostenausgleich zwischen den Gemeinden, punktuell gestützt vom Staat, und die Bündelung der Zuständigkeit fürs Wasser in einem großen interkommunalen Syndikat.

Doch eine solche Idee war bisher im Gemeindeverband Syvicol nicht konsensfähig. Wer weiß, ob sie es nun wäre. Daran liegt es auch, dass François Bausch, Fraktionssprecher der Grünen und Erster Schöffe in Luxemburg-Stadt, Junckers Ankündigung einer „sozialen Staffelung“ für „populistisch“ hält: „Weil über die Wasserpreise zuletzt viel diskutiert wurde, klingt ein Staffelungsversprechen gut, wenn am Index gedreht werden soll. Was daraus wird, scheint die Regierung den Gemeinden zu überlassen.“

Ginge es nach den Grünen, müssten Einkommensschwache weniger vor Belastungen aus dem Wasserpreis als vor steigenden Energiepreisen geschützt werden. Was möglicherweise stimmt – und schließlich sollen, zumindest längerfristig, die neuen Wasserpreise auch dazu beitragen, dass noch der Letzte bedenkenlos Leitungswasser trinken kann, statt Mineralwasser zu kaufen. Aber wenn die Lage um Preise, Kosten, Investitionen und Schutzmaßnahmen so komplex ist, wie sie ist – dann könnte die Regierung tatsächlich davon ausgehen, dass aus einer so-zialen Preisstaffelung sowieso nichts wird: Das Wassergesetz könnte bleiben wie es ist, und wenn es um die Wasserpreise und die Konsequenzen einer Staffelung ein paar Auseinandersetzungen zwischen den Gemeinden gibt, ließe sich damit umso besser demonstrieren, dass das schöne Vorhaben am Ende nur an ihnen scheitern musste.

Zu guter Letzt scheint sich noch ein technisches Problem zu stellen: Der Aluseau, dem Verband der kommunalen und interkommunalen Wasserversorger zufolge, geht bei neu gebauten Apartmenthäusern der landesweite Trend dahin, pro Haus nur noch einen einzigen Zähler zur Erfassung des Kaltwasserverbrauchs zu installieren. Daraus folgt: Überall im Land präzise zu erfassen, wer wie viel Wasser konsumiert hat, wird zumindest bei den Privathaushalten immer mehr zur Illusion.

Peter Feist
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