Er hat gepokert. Indem Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) vergangene Woche erklärte, der US-Konzern habe der Luxemburger Regierung bis zum heutigen Freitag Zeit gegeben, um ein geeignetes Grundstück zum Bau eines Datenzentrums zu finden, hat er den Druck auf die Grundstückseigner erhöht, einem Verkauf zuzustimmen. Entweder ihr unterschreibt jetzt, oder das gebotene Geld ist futsch und außerdem müsst ihr euch dafür verantworten, dass aus dem Wirtschaftswunder nichts wird, so die Botschaft.
Google will eine Million Quadratmeter Serverfläche einrichten. Die bestehenden Datenzentren, mit denen sich die Regierung als ICT-Standort brüstet, bringen es im Vergleich auf niedliche 60 000 Quadratmeter. Es ist ein Riesenprojekt, so groß, dass, als Etienne Schneider vergangenen Dezember erstmals davon twitterte, niemand so recht daran glauben wollte. Google könnte ja schlecht neben jede Kuh im Ösling ein paar Serverregale stellen? Oder?
Die Vorgabe von Google lautet: 25 Hektar. Ein solch großes zusammenhängendes Grundstück in Luxemburg zu finden, wäre an sich schon eine Herausforderung. Seit Jahrzehnten beklagen Unternehmer und ihre Verbände den Mangel an ausgewiesenen Betriebsflächen in den Industrie- und Gewerbegebieten und die deshalb sehr hohen Grundstückspreise. Auf athome ist derzeit ein Acker von 2,25 Hektar im Gewerbegebiet Roost für 4,6 Millionen Euro im Angebot. Allein diese Preise, glaubten manche Beobachter, würden Google davon abhalten in Luxemburg investieren zu wollen. Sie haben sich verrechnet. Denn bei einer geplanten Investition von rund einer Milliarde Euro, fallen eine paar Millionen mehr oder weniger fürs Grundstück nicht so ins Gewicht wie beim Schreinerbetrieb, der ein neues Atelier einrichten will und für den der Flächenerwerb die Hauptausgabe darstellt. Land-Informationen zufolge sollen für die 25 Hektar um die 35 Millionen Euro geboten sein.
Eine solche Serverfarm ist ressourcenintensiver als die intensive Bodenbewirtschaftung. Sie braucht Strom und Kühlwasser in rauen Mengen, voraussichtlich mehr Strom als der Konzern Arcelor-Mittal in seinen Elektrostahlwerken, der sich zur Beschaffung extra eine private Leitung nach Cattenom legen ließ. Was den Bauern ihr Wasserpreis, ist der Industrie ihr Strompreis. Strom als wiederkehrende Produktionsausgabe ist vergleichsweise günstig in Luxemburg, was Investoren, die viel davon brauchen, nicht kalt lässt. Aber schon allein technisch kommen wegen des hohen Bedarfs keine zehn Standorte in Frage, wie Etienne Schneider diese Woche einräumte. Es gibt zwei Ortschaften im Land, in denen Creos eine Umschaltstation betreibt, an die ein solches Datenzentrum angeschlossen werden könnte: Bissen und Foetz. Nahe Bissen auf dem Roost hat sich vor wenigen Jahren die Molkereikooperative Luxlait niedergelassen, die viel Wasser verbraucht, das danach geklärt werden muss, womit sich aber ein Bunker voll Server gut kühlen lassen würde.
Deshalb hatten sich die Emissäre zuerst auf eine Fläche nahe Creos und Luxlait zwischen Bissen und dem Roost fokussiert. Bis Ende Januar wollten sie die Verkaufsvereinbarungen unterschreiben, doch ein Grundstücksbesitzer, berichtete Schneider diese Woche, wollte schließlich nicht mitmachen, habe dies aber lange nicht so deutlich gesagt. Deshalb hat sich Luxemburg in Mountainview Aufschub erbeten, um Alternativen zu finden. An einem Grundstückseigner soll dieses Vorzeigeprojekt scheitern? Das eine ähnliche Wirkung auf die Wirtschaftsentwicklung haben könnte wie der Aufbau der SES? Mehr Signalwirkung und internationale Strahlkraft haben würde als tausend von der Staatssekretärin Francine Closener (LSAP) und Weltausstellungskommissarin Maggy Nagel verteilte rot-weiß-blaue Halstücher? Da geriet der widerspenstige Grundstückseigentümer schnell unter Verdacht, entweder geldgierig zu sein oder ein Nimby, der keinen Betonklotz an der Grenze zu seinem Hinterhof wolle. Tatsächlich geht es nicht um den Hinter- sondern um den eigentlichen Bauernhof – Lebensgrundlage des Eigentümers – der weichen und abgerissen werde müsste, um Googles Serverfarm Platz zu machen. Von den 25 gesuchten Hektar gehörten diesem Landwirt mehr als die Hälfte, je nach Quelle sogar 17 Hektar. Via Bürgermeister und Beamte der Ackerbauverwaltung – Google verhandelt nicht direkt mit den Luxemburger Bauern – hat ihm die Regierung, die für Google die Verkaufsvereinbarungen vorbereitet, Land-Informationen zufolge Geld geboten, ein dreifach größeres Grundstück an anderer Stelle, einen Bauernhof in einem anderen Dorf. In der Sache Google gegen Kuhstall spitzt sich das Dilemma der Luxemburger Landwirtschaft zu: Wer sein verhältnismäßig geringes Einkommen dem nationalen Standard anpassen will, kann seinen Boden verkaufen und damit einmal Geld verdienen. Dafür zieht er den bodenlosen Neid der Lohnabhängigen ohne Immobilienerbschaft auf sich und kann danach seinen eigenen Beruf nicht mehr ausüben.
Mit einer gehörigen Portion Mut hat sich der Grundstückseigner mit seiner bisherigen Weigerung auf allen Ebenen wenn auch nicht direkt Feinde, so auf jeden Fall keine Freunde gemacht. Von den direkten Nachbarn, über die Gemeindeverwaltung und die Regierung bis hin zum zweitwertvollsten Unternehmen der Welt, direkt hinter Apple, das via Browser-History, Internetsuchen und E-Mail-Konteninhalten private Informationen und Vorlieben von Millionen Verbrauchern weltweit kennt, selbstfahrende Autos entwickelt und für Milliardenbußgelder der EU-Kommission nur ein müdes Gähnen übrig hat. Er hat die Wut der Anrainer auf sich gezogen, die Googles Millionen gerne nehmen würden, sich ihre Schollen aber nur vergolden können, wenn er verkauft. Jos Schummer, Bürgermeister der Gemeinde Bissen, ist für den Bau der Google-Serverfarm, er erwartet sich davon Gewerbesteuereinnahmen und hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Für die Regierung wäre das Google-Datenzentrum ein Coup, mit dem sie ihrem Anspruch, ein ICT-Standort zu sein, Substanz geben könnte, was Wunder für das Image des Landes wirken würde. Ihrer digitalen Strategie zufolge soll Google Zugpferd für andere Betriebe werden – allerdings am besten kleinere, denn wo ein zweites Datenzentrum dieser Größe unterbringen, wenn man keinen Standort für das erste findet?
Google hat großes Interesse an einer Entscheidung, da ansonsten die Ausbaupläne für die Cloud-Dienstleistungen durcheinandergeraten. Im Bereich der digitalen Datenaufbewahrung hat Google, beziehungsweise die Muttergesellschaft Alphabet großen Aufholbedarf gegenüber Konkurrenten wie Amazon Web Services oder Microsoft Azure. Vergangenen März kündigte das Unternehmen auf einer Google Cloud Next genannten Veranstaltung die Inbetriebnahme von Datenzentren in Kanada, Kalifornien und den Niederlanden an. Außerdem soll der geografische Fußabdruck in den Regionen Nord Virginia, Sao Paulo, London, Finnland, Frankfurt, Mumbai, Singapur und Sydney vergrößert werden. In jeder Region, so der Branchendienst datacenterknowledge sollen jeweils zwei bis drei Zonen entstehen, wobei diese Zonen jeweils einem autarken Datenzentrum entsprächen. Mit seinen Cloud-Lösungen wendet sich Google nicht an individuelle Internetnutzer. Bei Google Cloud Next wurde Unternehmenskundschaft vorgeführt, die mit Google im Ranking um die größte Marktkapitalisierung an der Börse konkurriert, wie die Großbank HSBC. Wenn die Firma diesen Kundenstamm ausbauen will, braucht sie Planungssicherheit, wann ihre Datenzentren betriebsbereit sind. Wenn Wirtschaftsminister Etienne Schneider das formuliert, sagt er: „Sie bauen jedes Jahr ein solches Ding, wenn nicht hier, dann anderswo.“
Obwohl Google Serverkapazitäten mietet, verlässt sich das Unternehmen dabei nicht gerne auf Dritte, sondern baut und betreibt seine Zentren am liebsten selbst – menschliches Versagen ist Ursache Nummer eins für Pannen, die großen wirtschaftlichen Schaden anrichten können. Deshalb hoffen Schneider und Schummer, dass der Vertreter der Luxemburger Regierung, wenn er heute zum Termin bei Google in Kalifornien antritt, 25 Hektar zusammenhat. Land-Informationen sind zwei weitere Alternativ-Standorte in der Gemeinde Bissen im Rennen, bei denen dem widerspenstigen Landwirt keine oder nur eine kleine Parzelle gehört, er aber nicht den Betrieb komplett aufgeben müsste, den er ein Leben lang bewirtschaftet hat.