Keine Pressekonferenz, nicht einmal eine Mitteilung an die Journalisten war dem Ombudskomitee für Kinderrechte bisher die Nachricht wert, dass das Kindeswohl nun doch in die neue Verfassung aufgenommen werden soll. Das entschieden die Parlamentarier im Ausschuss für die Verfassungsrevision kürzlich einstimmig. Was wie eine kleine Formalie aussieht, ist in Wirklichkeit ein mühsam errungener Sieg für die Kinderschützer.
Es war vor rund sechs Jahren, dass die damalige Kinderbeauftragte Marie-Anne Rodesch-Hengesch gemeinsam mit dem Ombudskomitee das erste Mal in einem Tätigkeitsbericht forderte, die durch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verbrieften Grundrechte für Kinder auch in die Luxemburger Verfassung aufzunehmen. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als es so aussah, als würde der nunmehr seit fast zehn Jahren existierende Revisionsausschuss in der Chamber unter Leitung von Berichterstatter Paul-Henri Meyers (CSV) demnächst einen Entwurf für eine Verfassungsrevision vorlegen.
„Der Gedanke war, mit der Verankerung in die Verfassung die Rechte von Kindern zu stärken und die Kinderrechtskonvention bekannter zu machen“, erinnert sich die damalige Kinderrechtsbeauftragte Rodesch-Hengesch im Gespräch mit dem Land.
Die Abgeordneten hatten die Interessen der Kleinen allerdings weniger auf ihrer To-do-Liste stehen, die Konvention steckte noch in den sprichwörtlichen Kinderschuhen, obwohl Luxemburg sie bereit 1993 ratifiziert hatte, zunächst allerdings ohne große Folgen.
Vor allem bei eingefleischten Juristen stieß die Idee, Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen, auf Skepsis und teilweise sogar auf energischen Widerstand. „Alle Grundrechte, die in der Verfassung stehen, sind integral anwendbar auf Kinder“, unterstreicht Rechtsanwalt Paul-Henri Meyers. Würde man die Rechte der Kinder ausdrücklich in die Verfassung aufnehmen, schmälere man diesen Grundsatz und müsste man auch die Rechte anderer Minderheiten, wie Behinderte, expressis verbis aufnehmen, so die Befürchtung. Weil sich keine direkten Rechte aus der Verfassung ableiteten, habe die Aufnahme lediglich Symbolcharakter, meinten andere.
Bemerkenswerterweise wurde diese Haltung nicht zuletzt von Mitgliedern der Christlich-Sozialen Volkspartei eingenommen, die sonst eher keine Gelegenheit auslässt, um die Bedeutung der Familie (und ergo der Kinder) als „Keimzelle der Gesellschaft“ zu betonen.
Dabei es gibt durchaus Länder in Europa, die Kinderrechte explizit in ihrer Verfassung stehen haben. Die Grundrechtecharta der Europäischen Union von 2000 nennt in Artikel 24 unter der Überschrift Rechte des Kindes ausdrücklich, dass Kinder durch die Mitgliedstaaten zu schützen seien, dass sie ein Recht auf eine eigene freie Meinung, also eine eigene Persönlichkeit, haben sowie auf Kontakt zu den leiblichen Eltern, und dass das Kindeswohl über anderen Rechten stehe. In Belgien, einem Land, an dem sich Luxemburg in Jugendschutzfragen in der Vergangenheit stark orientiert und dessen Jugendgesetzgebung es in weiten Teilen übernommen hat, erhielt der Schutz des Kindeswohls ebenfalls im selben Jahr Verfassungsrang. Im Artikel 22 bis der belgischen Verfassung heißt es: „Chaque enfant a droit au respect de son intégrité morale, physique, psychique et sexuelle.“
Auf diesen Hintergrund verwies die Luxemburger Kinderbeauftragte bei ihrem ersten Versuch, die Politik von der Notwendigkeit zu überzeugen, Kinderrechte in die Verfassung zu schreiben; der damalige Justizminister Luc Frieden (CSV) sicherte ihr daraufhin zu, das Anliegen zu prüfen. Als jedoch 2009 der Entwurf zur Verfassungsrevision vom zuständigen Parlamentsausschuss vorgelegt wurde, hatte wohl der Tierschutz Eingang in den Text gefunden, der Schutz der Kinder aber blieb außen vor.
Das Ombudskomitee ließ nicht locker, und in ihrem Tätigkeitsbericht von 2010 wiederholte die Kinderbeauftragte ihre Forderung. Dieses Mal unterstützt durch eine versierte Juristin an ihrer Seite, schlug sie den zögernden Luxemburger Abgeordneten vor, sich doch an der Formulierung der Europäischen Menschenrechtscharta zu orientieren.
Verstärkung bekam die Kinderrechtlerin weniger aus dem Parlamentsausschuss, dessen Berichterstatter Paul-Henri Meyers sich weiterhin nicht mit dem Gedanken anfreunden mochte, sondern von anderen Organisationen, allen voran der Sozialarbeiter- und Erziehervereinigung Ances, die sich 2011 im Rahmen einer Pressemitteilung eingehender mit dem Thema befasste. Ihr Präsident, der Unidozent Charel Schmit, war sogar eine kurze Zeit als nächster Ombudsmann für Kinderrechte im Gespräch, wurde dann aber offenbar wegen seiner kontroversen Vergangenheit als streitbarer Vorsitzender der christlich-sozialen Jugendorganisation CSJ von den eigenen Reihen fallen gelassen. Stattdessen wurde der eher unscheinbare René Schlechter zum neuen Ombudsmann ernannt.
Den größten Impuls aber verdanken die Kinderrechtler einem anderen Einfluss: In seinem Gutachten vom Juni vergangenen Jahres über die neue Verfassung schlug der Staatsrat selbst vor, das übergeordnete Kindeswohl in die Verfassung aufzunehmen und somit die Pflicht seitens des Staates zu unterstreichen, die Interessen des Kindes zu schützen. Mit der Aufnahme in die Verfassung würde der Gesetzgeber zeigen, wie wichtig der Schutz der Familie „comme cellule de base de la vie en société“ sei, heißt es in dem Gutachten. Die Formel, die das Hohe Gremium vorschlug, bezog sich denn auch auf die Familie: „Art. 37. L’État veille au droit de toute personne de fonder une famille et au respect de la vie familiale. Il agit dans l’intérêt supérieur de l’enfant.“
Dass der Staatsrat das Thema des Kindesinteresses von sich aus anschiebt, kommt nicht von ungefähr. Mit dem Rechtsanwalt Albert Rodesch sitzt der Ehemann der ehemaligen Kinderrechtsbeauftragten im Staatsrat. In den zehn Jahren Amtszeit setzte sich die ehemalige Kinderrechtsbeauftragte zudem recht medienwirksam für die Sache der Kinder ein. Mehrmals sprach sie vor dem parlamentarischen Familienausschuss vor, sogar im Justizausschuss war sie Gast. Zudem hatte die umtriebige Sozialarbeiterin hinter den Kulissen versucht, Einfluss zu gewinnen. Mit Erfolg, wie sich jetzt zeigt.
„Wir werden uns an die Version des Staatsrates anlehnen“, bestätigte Paul-Henri Meyers dem Land am Mittwoch. Seinen Sinneswandel erklärt der CSV-Politiker vor allem mit der Position des Staatsrates. „Wir geben den Kindern damit zwar keine direkten Rechte, aber es ist eine politische Zielsetzung“, so Meyers. Für die Kinderrechtler ist das der Durchbruch.
Dass die Parlamentskommission die Formulierung des Rates einfach übernimmt, könnte man aber auch bedauern. Offenbar ist eine tiefere Diskussion unter den Abgeordneten ausgeblieben. Felix Braz, der für Déi Gréng im Ausschuss sitzt, hatte jedenfalls große Mühe, sich gegenüber dem Land an die Diskussionen bezüglich der Streitfrage zu erinnern, ob Kinderrechte in die Verfassung gehören oder nicht. Viele bekannte Kinderrechtler in Luxemburg haben eine politische Nähe zu den Grünen. Und es waren Déi Gréng, die die Kinderrechtsbeauftragte ohne Vorbehalt unterstützt haben. Eine größere Debatte über den Rang der Rechte von Kindern in diesem Land aber haben auch die Grünen nicht angestoßen, was sich zum Teil mit der großen Arbeitsbelastung vieler grüner Abgeordneter, die auch in Gemeinderäten sitzen, erklären mag. Aber nicht nur.
Auch in Deutschland diskutiert ein größer werdendes Bündnis darüber, die Rechte der Kinder ins Grundgesetz aufzunehmen, um so deutlich zu machen, dass Kinder eine eigene Persönlichkeit haben. Inzwischen hat sich der Bundestag dem Anliegen angenommen. Die Vorsitzende der Kinderkommission des Familienausschusses ist die Grüne Beate Walter-Rosenheimer. Die Grünen zählen mit Kinderorganisationen, wie Unicef, dem Deutschen Kinderhilfswerk und der Deutschen Liga für das Kind, die das Aktionsbündnis „Kinderrechte ins Grundgesetz“ bilden, zu den Unterstützern der Kampagne Kinderrechte ins Grundgesetz, für die eigens eine Petition lanciert wurde. Bisher haben rund 51 560 Befürworter unterschrieben, darunter konfessionelle und nicht-konfessionelle Jugend- und Wohlfahrtsvereine, Pfadfinder und Umweltorganisationen.
In Luxemburg sucht man ein solches Bündnis indes vergeblich. Zwar hat auch der Groupe Radelux, in der sich Jugend- und Kinderorganisationen zusammenfinden, in seinem Alternativbericht zum Kinder- und Jugendbericht der Regierung die Forderung nach Kinderrechten in die Verfassung aufgegriffen, aber eine regelrechte Kampagne wie in Deutschland hat es in Luxemburg nicht gegeben. Erst auf Nachfrage teilt der Präsident der Luxemburger Ecpat, die sich gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern weltweit einsetzt, mit: „Wir unterstützen jede Initiative, die die Rechte von Kindern unterstützt. Und das Einschreiben der Kinderrechte geht in diese Richtung.“ Die größte Kinderorganisation, Unicef Luxemburg, erwähnt in ihrem Bericht von 2012 die Verfassungsrevision nicht ausdrücklich, schreibt dem Land aber: Es sei „eine logische Konsequenz“ der von Luxemburg ratifizierten UN-Konvention, dass Kinderrechte „auch in der Verfassung verankert sein sollen“. Anders als in Deutschland, wo sich Familienministerin Kristina Schröder (CDU) gegen das Einschreiben der Kinderrechte in die Verfassung aussprach („Wir haben die Rechte der Kinder schon gestärkt“), hielt sich die hiesige Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) diesbezüglich vornehm zurück.
Damit entfällt aber zugleich eine wichtige Reflexion: nämlich ob die Formulierung vom übergeordneten Interesse des Kindes, die der Staatsrat in seinem Gutachten vorschlug, ausreicht, um den Stellenwert der Kinderrechte in Luxemburg spürbar zu verbessern, und was konkret für Folgen mit dem Verfassungsrang verbunden sind. Zumindest dass die Kinderrechtskonvention dadurch mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit bekommt, könnten böswillige Zungen bezweifeln – wenn doch sogar das Ombudskomitee den frisch errungenen „Sieg“ in Sachen Kinderrechte nicht zu melden weiß.