Daran, dass es dem literarischen Rang eines alternden Schriftstellers keinen Abbruch tun muss, wenn er über das Altern schreibt, erinnern Namen wie Philip Roth, Gabriel García Márquez oder Martin Walser. Diese älteren Herren benutzen die autobiographische Verortung für das Weiterschreiben am literarischen Projekt, zum Ausloten psychologischer Untiefen, schwieriger zwischenmenschlicher Konstellationen und existentieller Fragen nach Sinn und Unsinn des Lebens. Das ist allerdings nur die eine Seite des autobiographischen Schreibens im Alter. Daneben gibt es eine andere Seite, auf die sich zwar weniger große Namen kleben lassen, die aber mit Sicherheit stärker vertreten ist: nämlich die der Schriftsteller und Schreiber, die ihr fortschreitendes Alter als Aussichtsplattform für den Blick auf das eigene Leben benutzen, so zu finden etwa in der neuen Serie „Perspectives“ bei Éditions Binsfeld. Hier wird das Schreiben zum Mittel der Rückschau von einem unverrückbaren Blickpunkt aus, zur Bestandsaufnahme des einst Gewesenen und Abgeschlossenen: Kriegserinnerungen, Schulerinnerungen, erste Lieben.
Was er sich vorzugsweise zu Gemüte führen will, mag der Leser selbst entscheiden, über die reine Geschmacksfrage hinaus jedoch (über die sich natürlich trefflichst streiten ließe), ist die erste Variante, die des alternden Schriftstellers also, der sein Alter zu einem gegenwärtigen Thema und nicht zu einer Absicherung seiner Erzählperspektive macht, literarisch allemal die interessantere.
Das Altwerden und Altsein steht in Pol Greischs jüngstem Erzählband De Monni aus Amerika im Mittelpunkt, nicht nur in der Titelerzählung, die etwa die Hälfte des Buches einnimmt, in der ein älterer Herr seinem Bekannten dabei zuschaut, wie er einer hübschen jungen Frau mit fragwürdiger Moral auf den Leim geht – um es ihm umgehend, und natürlich zunächst ohne es zu merken, gleichzutun. Denn die älteren Herren in Pol Greischs Geschichten leben meist, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, in ihren eigenen Welten und Idiosynkrasien, deren Vereinbarkeit mit dem Rest der Welt nicht immer auf Anhieb gegeben ist. So beschwert sich ein musikbegeisterter Mann namens Josephemil bei seinem Freund Raymondo über den „Raudi vun Heckefransous“, der ihn in nach einem gefährlichen Fahrmanöver in einer Nadelkurve aus dem Auto gezogen und zur Schnecke gemacht haben soll. Was für ein Schreck, als Josephemil zu Hause erkennt, dass der aggressive Franzose sein rücksichtsloser neuer Nachbar ist, der ihm die Zigarettenstummel vor die Haustür wirft! Der geduldige Raymondo braucht nicht viel zu den Tiraden zu sagen; schnell schält sich heraus, dass Josephemil beim Autofahren nicht nur laut klassische Musik hört, sondern auch dazu neigt, mitzudirigieren – und dadurch in besagter Nadelkurve beinahe einen Unfall provoziert hätte.
Mehr als einmal entgleitet den Figuren in den Erzählungen Pol Greischs ihre Welt: dem Protagonisten in Niwwel zum Beispiel, der mit seiner Frau im Wartesaal der Notaufnahme sitzt und für kurze Zeit aus dem „Nebel“, der sein Bewusstsein umgibt, zu sich kommt, als zwei finnische Motorradfahrer aufkreuzen, mit denen er vergeblich zu kommunizieren versucht. Die Angst vor körperlichem wie geistigem Verfall ist – wenn auch manchmal nur am Rande – das Thema der meisten Geschichten in De Monni aus Amerika, sei es, dass Risch, der unbesonnen ein Verhältnis mit der jungen Carmen eingeht, den Beziehungsstress nicht verkraftet und am Ende dement wird, sei es auch, dass der Erzähler in Da Vista, der eigentlich nur kurz in einem Restaurant zu Mittag essen will, durch ein Missgeschick in der Küche auf das Heulen der Sirenen eines Krankenwagens aufmerksam wird, oder dass der Erzähler in D’Spläiter sich, da er aufgrund einer Kontrolluntersuchung ohnehin ins Krankenhaus muss, nur eben noch einen Spreißel aus dem Finger ziehen lassen will und anschließend mit einer Operation und zahlreichen Folgeuntersuchungen belangt wird.
Orscholz ass net aus der Welt ist eine andere Erzählung überschrieben. Der alternde Erzähler hält sich mit dem Hometrainer fit, um wieder in Form zu kommen, um sich Krankenhäuser und Pflegeheime so lange wie möglich vom Hals zu halten: „Hat ech eng Form? D’Form vum ale Mann. Dee mengt, hie wier nach deen Ale vu fréier. Oder léiwer: dee Jonken...“ Nicht nur körperliche Fitness ist eine Frage der Form, sondern auch literarisches Interesse. Seine angenehm unverfälschte, also weder altbackene noch sonstwie verkitschte Sprache und seine wache Herangehensweise an das Thema des Alterns machen De Monni aus Amerika zu einem der ansprechendsten luxemburgischen Buchtitel des vergangenen Herbstes.