Sie hatte am 27. Juni für allgemeine Überraschung gesorgt: die Ankündigung des Niederkorner Hôpital Princesse Marie-Astrid (HPMA) und der Escher Clinique Ste Marie, soeben ein Rahmenabkommen über eine Kooperation unterschrieben zu haben. 1994 hatte die Clinique Ste Marie mit dem Escher Stadtkrankenhaus und dem kommunalen Klinikum in Düdelingen eine Konvention zur Gründung eines Centre hospitalier du Sud unterzeichnet, wegen anhaltender Meinungsverschiedenheiten aber hatte das Stadtkrankenhaus den Vertrag mit der kleineren, nur wenige hundert Meter entfernt gelegenen Kongregationsklinik aufgekündigt. Das Niederkorner Spital - getragen von einem Gemeindesyndikat unter Beteiligung von Differdingen, Bascharage und Petingen - hatte erst ein Jahr zuvor wochenlang für Schlagzeilen gesorgt, nachdem ein umfangreiches "Dysfonctionnement" aufgeflogen war und ein Finanzloch von fast einer halben Milliarde Franken sich auftat (siehe d'Land vom 4. Mai 2001). Der damalige Differdinger Bürgermeister Marcel Blau (LSAP) nahm als Chef des HPMA-Verwaltungsrats seinen Hut; die Affäre wurde ein Nagel zum Sarg der rot-blauen Koalition in Differdingen.
Für mit den Affären und Konflikten sowie mit Krankenhauspolitik wenig Vertrauten - nicht zuletzt den Patienten - konnten die Kooperationsabsichten von HPMA und Clinique Ste Marie nach einem Neuanfang klingen. Ein halbes Jahr nach ihrer Ankündigung aber ist es recht still darum geworden. Kein Wunder, dass am Dienstagabend auf einem gut besuchten Bürgerforum in Differdingen, das sich eigentlich um die Frage "Wéi eng Gesondheetspolitik am Kordall?" drehen sollte, nicht etwa über Krankheits-vorbeugung, Hausärzte oder Ret-tungsdienste diskutiert wurde, sondern im Grunde nur über die Zukunft des HPMA. Freilich: Eingeladen zur Veranstaltung hatten die LSAP-Lokalsektionen der drei am Kliniksyndikat beteiligten Korntalgemeinden. Und verhehlt haben die Sozialisten noch nie, dass sie die Zusammenarbeit der beiden Krankenhäuser ablehnen. Erstens, weil damit zwei schwache Partner sich zusammenschlössen. Zweitens, weil drei neuerdings nicht mehr von der LSAP, sondern ganz wesentlich von der CSV mitregierte Südgemeinden mit der Kongregationsstiftung St François-Ste Elisabeth nicht nur einen politischen Block gegenüber Esch und Düdelingen bilden würden. Sondern in der Krankenhausversorgung im Süden eine Konkurrenz herstellen wollten zu den Escher und Düdelinger Stadtkrankenhäusern, die zurzeit fu-sionieren. Es sei jedoch besser, alle vier Kliniken täten sich zusammen.
Ein Standpunkt, den am Dienstag insbesondere der Podiumsteilnehmer Mars di Bartolomeo vortrug, und den man wiederum für politisch motiviert halten könnte - wären die Probleme nicht in der Tat groß, wäre nicht das Zustandekommen der Kooperationspläne so merkwürdig gewesen. Die Räte der drei Syndikatsgemeinden waren davon ebensowenig informiert wie das Personal; weder Marco Goelhausen, Präsident der Personalvertretung, noch Dr. Jean-Marie Bruch, Präsident des Ärzterats am HPMA, wuss-ten davon. Federführend konnte kaum die Klinikleitung gewesen sein, sondern nur der neue HPMA-Syndikatspräsident Jean-Marie Halsdorf, Bürgemeister von Petingen und gesundheitspolitischer Sprecher der CSV, sowie Ste Marie-Direktor Dr. Raymond Lies, zugleich Generaldirek-tor der Kongregationsstiftung.
Das HPMA befindet sich in der Defensive. Das im letzten Jahr offen gelegte Finanzloch war zwar längst nicht nur durch zu teuer eingekaufte Medikamente und undurchsichtige Prämienzahlungen entstanden und war 1996 zum Teil in eine schwarze Kasse ge-flossen, über die seit zwei Monaten die Kriminalpolizei ermittelt. Was heute "Misswirtschaft" genannt wird, hatte auch zu Großinvestitionen in Geräte geführt, deren Sinn man in Frage stellen kann, die das HPMA jedoch technisch auf ein hohes Niveau gehoben haben. Trotz der noch ungeklärten Affären hielten die Patienten dem Haus die Treue, meinen Jean-Marie Bruch und Charles Harf; in manchen Bereichen der Klinik seien die Umsätze um bis zu zehn Prozent gestiegen. Doch andererseits: Seit 1998 hat das HPMA keine Abrechnung mit der Krankenkassenunion getätigt, ist es nicht Herr der eigenen Finanzen und besitzt noch immer kein Budget für das zu Ende gehende Jahr 2002. "Gegenmaßnahmen" greifen laut Dr. Harf erst allmählich; erst kürzlich wurde ein neuer Chef de soins eingestellt, ein neuer Technikchef, ein neuer Apotheker. Im Januar soll ihnen ein Controlleur de gestion folgen, "damit wir endlich unsere Ausgaben überwachen können".
Mag sein, dass wer so stark mit sich selbst beschäftigt ist, nicht frei genug ist zum Zukunftspläne Schmieden mit dem Kooperationspartner Clinique Ste Marie. Vom im Sommer viel be-schworenen "neuen Elan" ist zurzeit nicht mehr sonderlich viel zu verspüren. Angekündigt war, dass die Zusam-menarbeit spätestens im September wirksam werden sollte. Ste Marie-Direktor Raymond Lies spricht gegenüber dem Land vom Start Anfang 2003; Details würden "noch vor Ende des Jahres veröffentlicht". Am kom-menden Sonntag aber ist schon dritter Advent, und dass er nicht wisse, ob es ein Konzept für die Zusammenarbeit von HPMA und Ste Marie gibt, streute HPMA-Ärzteratspräsident Jean-Marie Bruch am Dienstagabend beiläufig.
Hatten beide Partner im Sommer neben der "Konzentration auf ihre gewachsenen Stärken" noch nach vorn geträumt, von der Ansiedlung psychiatrischer Rehabilitationsdienste im HPMA und dem im Spitalplan vorgesehenen nationalen Dienst für Umweltmedizin an der Clinique Ste Marie gesprochen, hob Charles Harf am Dienstag nurmehr die "gewachsenen Stärken" hervor: allgemeine, orthopädische, Bauch- und Gefäßchirurgie am HPMA, weiterhin die gut ausgestattete Station zur Krebstherapie und die Entbindungsstation. Die psychiatrische Rehaklinik kommt ja vielleicht mit der Dezentralisierung des Ettelbrücker CHNP von allein (siehe d'Land vom 30. Oktober 2002). Für die Clinique Ste Marie bleiben allem Anschein nach vor allem Hals-Nasen-Ohren- und Augenbehandlungen im Gespräch. Fachmediziner beider Häuser sollen am jeweils anderen jene Fälle behandeln, auf welche sie spezialisiert sind.
Doch nicht nur gehen chirurgische Behandlungen an der Clinique Ste Marie kontinuierlich zurück (siehe d'Land vom 19. Juli 2002), was die Frage aufkommen lässt, wie interessant sie in dieser Hinsicht für HPMA-Chirugen sein könnte. Verschiedene Hals-Nasen-Ohren-Ärzte des HPMA zeigen wenig Interesse, ihre Kenntnisse an der Kongregationsklinik zu vertiefen, und wollen sich lieber dem Escher Stadtkrankenhaus zuwenden. Desgleichen Mediziner aus der Clinique Ste Marie, die während der Kooperation ihrer Klinik mit dem Escher Stadtkrankenhaus dort operierten, obwohl laut Konvention zum Centre hospitalier du Sud das große Escher Krankenhaus die Hals-Nasen-Ohren- neben den Augenbehandlungen an die Ste Marie-Klinik übergeben hatte: knapp die Hälfte der Behandlungen waren Operationen an Kindern. Die wurden stets im großen Escher Hôpital de la ville durchgeführt, da dieses über eine Kinderstation zur Nachbetreuung der Operierten verfügt, die Clinique Ste Marie aber nicht. Das HPMA konnte unlängst nach intensiver Suche zwar zwei neue Kinderärzte verpflichten - insbesondere aber zur Betreuung der Geburtenstation; die Kinderstation ist mangels Auslastung geschlossen. Die Ruhe um die Kooperation besteht nur nach außen: Am Mittwochnachmittag haben Hals-Nasen-Ohren-Ärzte aus HPMA und Clinique Ste Marie im Gesundheitsministerium vorgesprochen - und darum gebeten, ihre Arbeit am Escher Stadtkrankenhaus möge ermöglicht und geregelt werden. Eine Klärung schon im Januar wurde ihnen auch versprochen.
Das Letzte, was die kooperationswilligen Kliniken gebrauchen können, ist ein Abwandern von Ärzten und schlechte Stimmung. Dass es diese nicht nur aus professionellen Gründen geben könnte, darauf deutete beim Bürgerforum am Dienstagabend die bewegte Wortmeldung einer HPMA-Ärztin hin: Sie habe einmal ganz bewusst ein laizistisches Krankenhaus als Arbeitsort gewählt. Sollte jemand ihr vorschreiben, an einer "theokratisch verfassten" Klinik zu arbeiten, werde sie dagegen wegen Verstoßes gegen die Menschenrechte vor Gericht ziehen. HPMA-Chef Harf sprang daraufhin nicht etwa empört von seinem Stuhl, sondern hörte freundlich lächelnd zu.
Und so könnte es am Ende die Ärzteschaft sein, die das große Klinik-Groupement im Süden zu Stande kommen lässt, das LSAP-Gesundheitsminister Johny Lahure Anfang der 90-er vorschwebte, das an Meinungsverschiedenheiten der beiden Escher Kliniken scheiterte und an dem auch zu Zeiten, da die LSAP-Welt im Korntal noch in Ordnung war, das HPMA sich nur als Beobachter beteiligte.
Verabschiedet von dieser Idee hat sich auch Carlo Wagner nicht: Rationalisierung ist im-merhin im Sinne des Spitalplans. Carlo A. Hemmer, Erster Regierungsrat im Gesundheitsministerium, ist der Ansicht, die Sorgen der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte könnten in einem "Service ORL" für den ganzen Süden gelöst werden - und dieser ein erster Schritt in Richtung Kooperation aller vier Südkliniken sein.
Abzuwarten bleibt vor allem, wie sich dazu die Clinique Ste Marie stellt, für die Hals-Nasen-Ohren-Behandlungen ein Standbein sein sollen. Noch im Sommer hatte HPMA-Präsident Halsdorf gemeint, die kleine Kongregationsklinik könne sich zum "nationalen Kompetenzzentrum" für Hals-Nasen-Ohren-Medizin entwickeln. Bei soviel Unterstützung von prominenter CSV-Seite und angesichts der Tatsache, dass der Clinique Ste Marie kein Geringerer als der Chef der Kongregationsstiftung vorsteht, könnten Schlichtungs- und Regulierungsversuche aus dem DP-geführten Gesundheitsministerium schnell nicht nur pragmatisch verstanden, sondern auch politisch ausgelegt werden. Und ideologisch.