Die neue Wohnungsbauministerin stellt den Wohnungsbaupakt als ruinöses Fiasko dar. Dabei sollte er bloß die Gemeindefinanzen etwas aufpäppeln

Ganz naiv und nicht durchdacht

d'Lëtzebuerger Land vom 28.02.2014

Wohnungsbau- und Kulturministerin Maggy Nagel (DP) liebt klare Worte. Manchmal hören sie sich aus dem Mund der neuen Ministerin sogar noch an wie auf einer Versammlung der Mondorfer DP-Sektion. So Anfang Februar, als die Ministerin zufrieden neben Premier Xavier Bettel saß, „wir“ sagte und nicht die Regierung oder gar die Nation, sondern ihre Partei meinte. Diese habe nämlich von Anfang an den Erfolg des Pacte logement bezweifelt.

Der Regierungschef hatte Maggy Nagel gebeten, nach der Kabinettsitzung der versammelten Presse eine kleine Bilanz des Pacte logement zu bieten. Ihre Bilanz ließ nichts an Klarheit zu wünschen übrig.

Seinerzeit sollte der ein Jahr vor den Kammerwahlen, im Oktober 2008, durch Gesetz geschaffene Wohnungsbaupakt endlich die jahrzehntealte Kritik an der christlich-sozialen Wohnungsbaupolitik zum Verstummen bringen und in einer nationalen Anstrengung das Wohnen für viele Haushalte wieder bezahlbar machen. Ziel des Pacte logement ist es laut Gesetz, das Wohnungsangebot zu vergrößern sowie die Grundstücks- und Wohnungspreise zu senken.

In Konventionen mit dem Staat haben sich seither 98 von 106 Gemeinden verpflichtet, zum Bau oder zur Renovierung von 51 811 Wohneinheiten für 119 165 Personen beizutragen. Doch nach fünf Jahren wurden lediglich 7 300 Wohneinheiten für 16 790 Personen fertiggestellt. Das macht gerade 14 Prozent des hehren Ziels aus. Der Bau weiterer 24 000 Einheiten soll eingeleitet sein, andere 21 000 seien in Planung, was meistens heißt, dass erst einmal die langwierigen Prozeduren zur Änderung der Bebauungspläne begonnen haben.

Diesen Zahlen von den mageren Ergebnissen stellte die Wohnungsbauministerin noch beeindruckendere von den Kosten gegenüber. Der Staat zahlt nämlich seit 2008 jeder Gemeinde 4 500 Euro pro Einwohner für ein jährliches Bevölkerungswachstum von mehr als einem Prozent. Gemeinden, deren Bedeutung auf Beschluss der Regierung für vorrangig erklärt werden, erhalten sogar die Hälfte mehr, 6 750 Euro pro Einwohner. Die Zuschüsse sollen den Gemeinden beim Bau neuer Wohnungen und der „Folgeinfrastrukturkosten“, wie Straßen und Schulen, helfen. Mit der Bezuschussung des Bevölkerungswachstums sollten, 700 000-Einwohnerstaat hin oder her, Grenzpendler durch neue Ortsansässige im Interesse der Zahlungsbilanz und des Straßenverkehrs ersetzt werden.

Der zum Gesetzentwurf von 2007 gehörende Finanzbogen bezifferte die jährlichen Kosten der staatlichen Zuschüsse an die Gemeinden auf zehn Millionen Euro. Wohnungsbauministerin Nagel rechnete also vor, dass die Gemeinden seither insgesamt 55 Millionen Euro bekommen sollten. Doch stattdessen seien schon 203,5 Millionen Euro ausgezahlt worden. In den nächsten Jahren dürfte sich diese Summe noch auf eine halbe Milliarde erhöhen, schätzte die Ministerin und meinte, dass man sich für „diesen Preis hätte mehr erwarten können“.

Wenn bisher ein Siebtel der Wohneinheiten fertig, die Zuschüsse aber viermal höher als geplant sind, steht für Ministerin Nagel das Urteil fest: Der „Wohnungsbaupakt hat sein Ziel verfehlt“. Das wussten die Liberalen schon bei der Verabschiedung des Gesetzes 2008, als ihr heutiger Frak­tions­sprecher Eugène Berger meinte: „Die DP ist nicht überzeugt, dass der Staat billiger und schneller bauen kann. [...] Den Staat und die Gemeinden als zusätzliche Promotoren auf den Markt zu bringen, macht wenig Sinn, weil sie erstens weder schneller, noch zweitens billiger bauen können. [...] Der Staat als neuer Akteur am Wohnungsmarkt bedeutet keine billigeren und auch keine schnelleren Wohnungen hier in Luxemburg.“ Deshalb schloss sich Berger dem Rechtsgutachten der Unternehmerverbände und ihrer Berufskammern an, welche den Pacte logement als verfassungswidrigen Übergriff auf die Gemeindeautonomie bezeichneten. Er hatte vorgeschlagen, die geplanten zehn Millionen Euro Zuschüsse jährlich lieber in einer „gezielte Reform der Gemeindefinanzen“ zu investieren.

Das hielt aber die seit Jahrzehnten von der DP geführte Hauptstadt nicht davon ab, dem Wohnungsbaupakt beizutreten und seither mit 69,07 Millionen Euro ein Drittel aller Zuschüsse an die 98 Gemeinden zu kassieren. Oder das damals von einem DP-Bürgermeister geführte Remich, dessen heutiger grüner Bürgermeister Henri Kox 2008 im Parlament CSV-Wohnungsbauminister Fernand Boden vorgeworfen hatte, mit dem Wohnungsbaupakt die „Gesamtverantwortung für den Wohnungsbau“ auf die Gemeinden abzuschieben und sich mit einer „Kopfprämie“ aus der Verantwortung zu stehlen, wodurch die landesplanerische Fehlentwicklung der vergangenen Jahre nur zementiert werde.

Denn zumindest bei den Gemeinden scheint der Wohnungsbaupakt ein Erfolg gewesen zu sein, der uneingestanden auch dazu dienen sollte, die von der Finanz- und Wirtschaftskrise erschütterten Gemeindefinanzen aufzupäppeln. Immerhin unterzeichneten fast alle Gemeinden solche Abkommen, ganz gleich welcher Partei ihr Schöffenrat angehört. Nur acht zierten sich bisher, Beckerich, Consdorf, Mompach, Simmern, Vichten, Waldbillig, Walferdingen und Winkringen.

So war es ein Leichtes für Wohnungsbauministerin Maggy Nagel, den Gemeinden nicht nur „zu viele Mitnahmeeffekte“ vorzuwerfen, wie es im Wahlprogramm der DP heißt, sondern Staatsgelder kassiert und auf Sparkonten gestellt, statt Wohnungen gebaut zu haben. Nur 26 Gemeinden hätten die Zuschüsse restlos investiert, 58 Gemeinden hätten die Gelder in einen Haushaltsfonds gesteckt. Der Pakt sei eben „ganz naiv und nicht durchdacht“ gewesen, warf sie implizit der für das Gesetz verantwortlichen CSV vor, und dass der Staat „nicht anständig kontrolliert“ habe, was die Gemeinden mit seinem Geld anstellten.

Im Zuge der von der neuen Koalition dekretierten Sparmaßnahmen kündigte Nagel deshalb an, in Briefen an verschiedene Gemeinden die unverbrauchten Staatsgelder zurückzufordern. Der Gemeindeverband Syvicol streitet in einer inzwischen verbreiteten knappen Erklärung die Thesaurierung der Zuschüsse aus dem Wohnungsbaupakt nicht ab, führt sie aber auf die langwierigen Landesplanungs- und Bauprozeduren zurück, die es den Gemeinden nicht immer erlauben, fristgerecht die Bagger auffahren zu lassen.

Dass die staatlichen Transfers an die Gemeinden aber schon viermal so hoch sind wie geplant, kann schwerlich den Gemeinden zum Vorwurf gemacht werden. Es hängt vielmehr damit zusammen, dass die Bevölkerung der Gemeinden rascher gewachsen ist als geplant. Nachdem die Hauptstadt im Jahr 2012 erstmals mehr als 100 000 Einwohner zählte, konnte sie 21,3 Millionen Euro aus dem Wohnungsbaupakt in ihrem Haushalt für 2013 verbuchen, ein Fünftel ihrer außerordentlichen Einnahmen. Und schon der Staatsrat hatte in seinem Gutachten 2007 geklagt, dass „dem Gesetzentwurf keine aktualisierte Studie über die Verteilung der Bevölkerung über das nationale Territorium zugrunde liegt.“

Romain Hilgert
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