Am Mittwoch letzter Woche beging der „Service de Procréation médicalement assistée“ (PMA) am hauptstädtischen Centre hospitalier feierlich das erste Jahr seines Bestehens. Ganz exakt ist das nicht: Praktiziert wird die medizinisch unterstützte Zeugung in Luxemburg schon länger. Seit Anfang der Neunzigerjahre werden „Inseminationen“ vorgenommen, bei denen männlicher Samen künstlich in den weiblichen Genitaltrakt eingebracht wird. Die „In-Vitro-Fertilisation“ (IVF), die der Volksmund „künstliche Befruchtung“ nennt, ist dagegen erst seit dem Frühjahr 2005vollständig möglich, nachdem das „Laboratoire de procréation médicalement assistée“ am CHL seine Tätigkeit aufgenommen hatte.
Dass es dieses Labor gibt, macht nicht zuletzt den Frauen, die sich der IVF unterziehen, das Leben leichter. Seit 1998 hatte das CHL zur Durchführung von In-Vitro-Befruchtungen mit der Uni-Klinik Liège zusammengearbeitet. In Luxemburg konnten lediglich weibliche Eizellen für eine IVF entnommen werden. Sie wurden anschließend umgehend nach Liège transportiert. Dort fand die eigentliche „künstliche Befruchtung“ statt, aus der sich zwei Tage später Embryonen entwickeln. Diese müssen der Empfängerin wiederum schnell eingesetzt werden – Frauen, die an einerIVF am CHL teilnahmen, mussten deshalb nur wenige Tage nach dem Aufenthalt in der Luxemburger Klinik nach Liège fahren. Das ist seit März letzten Jahres nicht mehr so, und am 18. März 2005 kam in der Maternité des CHL das erste durch eine „rein Luxemburger“ IVF gezeugte Kind zur Welt.
Das ist spät, verglichen mit anderen Ländern: Das weltweit erste Kind, das nach einer IVF in England geboren wurde, wird am 25. Juli immerhin schon 28 Jahre alt; die erste „IVF-Geburt“ in Frankreich fand im Februar 1982 statt, die erste in Belgien im Juni 1983. Und die Luxemburger Bevölkerung unterliegt sicherlichden gleichen Trends wie die der anderen westlichen Staaten: Je mehr Frauen sich etwa in ihrer Ausbildung höher qualifizieren und hohe Ansprüche an ihr berufliches Fortkommen stellen, desto öfter wird die „biologische Deadline“ von etwa 35 verpasst, nach der die Empfängnisfähigkeit ganz naturgemäß abnimmt. Von eventuell noch größerem Einfluss ist die Zeugungsfähigkeit der Männer: „Sie geht offenbar tendenziell zurück“, sagt Jacques Arendt, Leiter des „Service PMA“ am CHL. „Warum, ist unklar. Groß angelegte Studien in Frankreich und Dänemark haben aber gezeigt, dass im Vergleich zu früheren Jahrzehnten die Männer grosso modo heutzutage um zwei Drittel weniger Samenzellen produzieren.“ Schaue man sich die Ergebnisse der Ursachenforschung nach gestörter Zeugungsfähigkeit der Paare an, die am CHL in den letzten Jahren um Unterstützung nachsuchten, dann sei in 55 bis 65 Prozent der Fälle die Tendenz zur Sterilität beim Mann zu finden gewesen.
Arendt nennt seine Abteilung und das Labor, das die Biologin Marie-Estelle Larcher leitet, eine „Notwendigkeit angesichts komplexer Entwicklungen in unserer Gesellschaft“. Der Bedarf an medizinischer Unterstützung ist wahrscheinlich höher als das, was der „Service PMA“ zuletzt zu leisten vermochte. 91 Eizell-Entnahmen für eine IVF fanden zwischen dem 15. März und dem 31. Dezember 2005 statt, 84 Frauen wurden Embryonen verpflanzt, 26 von ihnen entwickelten eine Schwangerschaft. IVF und künstliche Insemination führten bis Ende 2005 zur Geburt von 17 Kindern, 15 Schwangerschaften dauerten letzte Woche noch an. In diesem Jahr, schätzt Arendt, würden die PMA-Aktivitäten gegenüber 2005 wohl um 50 Prozent zunehmen. „Wir gehen davon aus, in naher Zukunft bis zu 250 IVF jährlich einleitenzu können.“
In naher Zukunft wird sich aber auch zeigen, welche Funktion die Politik der „Procréation médicalement assistée“ angesichts komplexer Entwicklungen der Gesellschaft geben wird. Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) kündigte auf der Jahresfeier des „Service PMA“ an, einen Gesetzentwurf über die PMA formulieren zu wollen, denn sie ist nach wie vor ohne legale Basis.
Regellos erfolgt sie nicht; autorisiert hatte den „Service PMA“ am CHL Anfang April 2003 der damalige liberale Minister Carlo Wagner, nachdem der zwei Jahre zuvor in Kraft getretene Spitalplan die Schaffung eines „Service national de Procréation médicalement assistée“ vorgesehen hatte. Alles Weitere regeln eine interne Verordnung des CHL über die PMA-Abteilung und die Gutachten eines wissenschaftlichen PMA-Komitees.
Die Implikationen, die ein solcher Gesetzentwurf zwangsläufig hat, sind mannigfaltig – medizinisch, juristisch und ethisch. Beispielsweise ist zu klären, unter welchen Bedingungen ein Kind, das aus einer PMA geboren wurde, für die Samen oder Embryonen fremder Spender benutzt wurden, seinen „biologischen Vater“ beziehungsweise seine „biologischen Eltern“ kennen darf. Dass jedes Kind darauf ein prinzipielles Anrecht hat, schreibt die UN-Kinderrechtskonvention vor. In Luxemburg ist diese Frage noch ungeklärt, und sie stellt sich in der Praxis bislang nicht so stark, da die PMA-Abteilung am CHL nicht autorisiert wurde, eine nationale Spermien- und Embryonenbank zu betreiben, aus der Fremdspenden entnommen werden könnten – sie müssen bislang aus dem Ausland bezogen werden.
Doch das Ausland ist nicht „aus der Welt“, es könnte sinnvoll sein, auf zwei Optionen zurückzukommen, die die Ethikkommission vor fünf Jahren in einem umfangreichen Gutachten zur PMA anhand internationaler Beispiele erarbeitet hatte: Entweder werden die Informationen zu den „biologischen Eltern“ gesammelt und das betreffende erhält sie, „lorsqu’il a atteint une ,maturité suffisante’“, oder es wird vor der Fremdspende um die Zustimmung der Spender nachgesucht, dem Kind ihre Identität mitzuteilen; sind die Spender nicht einverstanden, bleiben sie anonym.
Mag die PMA hierzulande auch erst spät voll eingerichtet worden sein, orientiert sie sich medizinisch-technisch an in Frankreich seit Jahren erprobten Mustern. In einer wichtigen Hinsicht allerdings weicht sie vom französischen Modell ab: Dieses schließt per Gesetz lesbische Paare und allein stehende Frauen generell von einer PMA aus, die durch eine Fremdspende männlichen Samens oder Embryonen erfolgen könnte. In der PMA-Verordnung des CHL steht zwar: „L’accès aux techniques PMA est en principe réservéaux couples hétérosexuels mariés ou non mariés vivant maritalementdepuis 2 ans.“ Ausnahmen von diesem Prinzip kann aber das PMA-Wissenschaftskomitee und das Ethik-Komitee des CHL erteilen. Das geschieht auch: Das Paradigma, dem zufolge eine PMA zur Therapie einer „Pathologie“ bestimmt sei, gilt so nicht. „Unserem Ansatz nach“, sagt Jacques Arendt, „können einem Kinderwunsch nicht nur körperliche Umstände entgegen stehen, sondern auch psychische und soziale. Letztere treffen wohl insbesonderezu auf lesbische Paare und allein stehende Frauen, und deshalb wäre es diskriminierend, sie von der PMA auszuschließen.“ Eine psychologische Beratung ist in diesen Fällen allerdings obligatorisch.
Vielleicht ist diese schon etablierte Praxis am Ende bewährt genug, um auch in einem Gesetz eine pragmatische Handhabung der PMA fest schreiben zu lassen und zu verhindern, dass ein PMA-Gesetz am Ende womöglich zu einem gesellschaftspolitischen Rückschritt führt, der wahrscheinlich vor allem lesbische Paare träfe. Immerhin ist auch die Krankenkassenunion von ihrem Grundsatz abgerückt, ausschließlich die Kosten für die Therapie einer Pathologie zurück zu erstatten, und übernimmt mittlerweile ebenfalls die Kosten einer PMA im Falle einer „convenance personnelle“. Auch die nationale Ethikkommission diskutierte über den Zugang zur PMA 2001 ausführlich. Zwar gelangte sie zu keiner Einstimmigkeit. Aber eine recht starke Mehrheit – neun von 15 Mitgliedern – plädierte dafür, „que les couples homosexuels et des femmes isolées devraient avoir une chance d’accéder aux techniques de la PMA, l’équipe médicale décidant de cas en cas si cet accès est indiqué“ (S. 104). Die Kommissionsminderheit, die sich dieser Auffassung nicht anschließen konnte, hatte vor allem lesbische Paare von der PMA ausschließen wollen.
Damit wird die Fassung eines PMA-Gesetzentwurfs und die Diskussion darüber nicht nur in eine komplexe Bioethik-Debatte münden, politische Klasse und Lobbyisten müssen dann auch beweisen, ob gesellschaftliche Diskriminierungen der Vergangenheit angehören sollen. Ausgeschlossen ist ein Rückschritt bei der Zugangsregelung zur PMA nicht: Die Aufnahme des Adoptionsrechts für homosexuelle Paare ins Pacs-Gesetz scheiterte vor über zwei Jahren am Einspruch des Staatsrats. Homosexuelle würden hierzulande diskriminiert, da könne man ihnen kein Adoptionsrecht geben, hieß es unter anderem, sonst könnten die Adoptivkinder ebenfalls diskriminiert werden. Das gleicheArgument führten auch die konservativen Mitglieder der Ethikkommission gegen den Zugang für lesbische Paare zur PMA ins Feld.