In Luxemburg-Stadt sollen ab nächster Woche CHL und Hôpital Kirchberg gemeinsam Notdienst leisten. Ohne uns, sagen die Psychiater/innen beider Spitäler. Und bringen Fragen auf den Tisch, die für alle Kliniken ungelöst sind

Demnächst in der Notaufnahme

Krankenpfleger in der Notaufnahme des Centre hospitalier de Luxembourg
Foto: Jessica Theis
d'Lëtzebuerger Land vom 28.05.2021

Ab kommenden Dienstag, den 1. Juni, gibt es im Gesundheitswesen der Hauptstadt etwas Neues: CHL und Hôpital de Kirchberg haben dann beide Notdienst, zunächst tagsüber zwischen sieben und 17 Uhr. Ab 2024 soll das rund um die Uhr so sein. Bisher wechseln die zwei Kliniken sich ab.

Die Neuerung soll natürlich die Versorgung verbessern und die Patient/innen auf zwei Notaufnahmen verteilen. Wenn das denn so einfach zu bewerkstelligen wäre. Ist es aber offenbar nicht. Nicht einmal in den zunächst zehn Stunden tagsüber, jedenfalls nicht in jeder Disziplin. Die Fachgesellschaft der Psychiater/innen hat Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) mitgeteilt, in der Akutpsychiatrie für Erwachsene sei der Paralleldienst in der Stadt nicht möglich. CHL und Kirchberg-Klinik (HKB) müssten sich weiterhin abwechseln.

Zum Glück ist die Psychiatrische Gesellschaft mit dem Gesundheitsministerium schon seit vergangenem Jahr im Gespräch wegen dieser Dienste, so dass die Absage nicht aus heiterem Himmel kommt und mehr eine Formsache ist, ehe die garde parallèle in Kraft tritt. Dass über die Psychia-
trie bereits gesprochen wird, deutet aber darauf hin, dass eine rasche Lösung nicht leicht zu haben sein wird. Zumal die Psychiatrische Gesellschaft überdies der Meinung ist, ein Paralleldienst rund um die Uhr von CHL und HKB ab 2024 sei für ihre Disziplin nicht sinnvoll.

Damit kommt ein Problem wieder hoch, das schon länger besteht. Es ist ziemlich komplex; die breite Öffentlichkeit nahm davon vor acht Jahren Notiz, als am Ettelbrücker Spital der Bereitschaftsdienst von Kinderärzten gefährdet war. Doch das war nur ein Beispiel. Nun ist die Psychiatrie eines. Sie zählt laut einer großherzoglichen Verordnung von 2019, welche die Notdienste regelt, zu jenen sieben Bereichen, die eine Klinik-Notaufnahme mindestens anbieten muss. Wie das klappt, hat viel damit zu tun, wie das Krankenhauswesen hierzulande überhaupt organisiert ist und wie verfügbar die Klinikärzt/innen sind.

Von den vier Akutspitälern funktioniert nur das CHL überwiegend (nicht ausschließlich) mit festangestellten Mediziner/innen. Für sie sind Bereitschaftsdienste tags- und nachtsüber Teil des Arbeitsvertrags. In den anderen drei Kliniken sind die Ärzt/innen Freiberufler und bei den Spitälern als „Belegärzte“ unter Vertrag. Die Teilnahme am Bereitschaftsdienst ist für sie Pflicht, das steht im Gesetz über den Arztberuf. Zusätzlich verschärft wurde diese Pflicht, als im April 2018 unter der damaligen LSAP-Gesundheitsministerin Lydia Mutsch ein neues Krankenhausgesetz in Kraft trat: Seitdem drohen Klinikverantwortlichen, die beim Organisieren des Bereitschaftsdiensts versagen, und Ärzt/innen, die daran nicht teilnehmen, sogar strafrechtliche Folgen. Schlimmstenfalls sechs Monate Gefängnis.

Wegen dieses Knüppels, den Mutsch aus der französischen Gesetzgebung hatte übernehmen lassen, gab es kurz vor den letzten Wahlen Ärger: Das neue Krankenhausgesetz legt auch fest, in welchen Klinikbereichen diensthabende Ärzt/innen vor Ort anwesend sein und in welchen sie sich nur in Rufbereitschaft halten müssen. Das geht über Notaufnahmen hinaus. Verschärft wurden zum Beispiel die Regeln für die großen Entbindungsstationen an CHL und Hôpitaux Schuman. Dort muss seit 2018 je ein Gynäkologe, ein Anästhesist und ein Kinderarzt anwesend sein. Für diesen neuen Präsenzdienst verlangten die Freiberufler unter den Ärzt/innen einen Stundenlohn und gingen dafür sogar vor Gericht. „Die Politik hatte sich nicht mal die Frage gestellt, ob Anwesenheit bezahlt werden müsste“, sagt der Anwalt François Prum, der die Ärzt/innen damals vertrat. Erst seit Ende 2020 herrscht in dieser Sache völlige Klarheit: Bei Präsenzdienst in einer Maternité erhält ein freiberuflicher Arzt 96 Euro die Stunde.

Heute berät François Prum die Psychiater/innen und deren Fachgesellschaft. Denn bei den Debatten um die Psychiatrie-Bereitschaftsdienste geht es auch um Entgelt. Zwar sollen die Ärzt/innen nur abrufbereit sein. „Aber hat ein Psychiater 24-Stunden-Rufbereitschaft, kann er kaum seine Praxis weiterlaufen lassen, wo jede Sitzung 45 bis 60 Minuten pro Patient dauert.“ Das sei das „spezielle Problem dieser Ärzte“.

Noch ist nicht abzusehen, ob Psychiater/innen für ein Entgelt ihrer Rufbereitschaften vor Gericht ziehen könnten, wie die Ärzt/innen der großen Maternités das taten. Jean-Marc Cloos, Psychiater am Hôpital de Kirchberg und bei den Hôpitaux Schuman Chef des Kompetenzpols Psychiatrie, erklärt, nicht nur das Entgelt sei eine Frage, sondern auch die Organisation: Denn Psychiater/innen sind knapp. Weshalb an den Kliniken improvisiert wird, um die Patientenversorgung abzusichern. „An den Hôpitaux Schuman zum Beispiel schlafen die Psychiater in der Klinik, wenn sie Rufbereitschaft haben. Die Psychiater des Centre hospitalier du Nord schlafen in ihrer Praxis.“

Am Centre hospitalier Emile Mayrisch im Süden wiederum sei eine besondere Lösung für die Akutpsychiatrie-Bereitschaft gefunden worden: Dort empfingen nachts der diensthabende Notfallmediziner, wie er in allen Kliniken festangestellt ist, und ein Fachkrankenpfleger für Psychiatrie die Patienten. Gemeinsam entschieden sie, ob ein Psychiater sofort gerufen werden muss oder erst am nächsten Morgen. Am Hôpital de Kirchberg, sagt Cloos, täten das ein Psychiatriepfleger und ein klinischer Psychologe im Tandem – allerdings nur tagsüber. Das klappe gut, habe aber einen „ jahrelangen Kampf“ mit der CNS um die Mittel für die Psychologen-Stelle gekostet. Am Ende habe die Kasse nur eine Vollzeit-Einheit zu finanzieren zugestimmt. Für die zweite Psychologen-Stelle, um die erste bei Krankheit und Urlaub zu ersetzen, zahle die Klinik drauf.

Dass „rezente“ Gespräche mit der CNS über eine erhöhte Dotation für nicht-medizinisches Personal für die Akutpsychiatrien zu keinem Ergebnis geführt haben, ist für die Psychiatrische Gesellschaft neben der ungeklärten Entgelt-Frage ein weiterer Grund, weshalb die garde parallèle in der Hauptstadt noch nicht möglich sei. Jean-Marc Cloos findet, die Frage sei auch, ob ab 2024 ein akutpsychiatrischer Rund-um-die-Uhr-Dienst in allen vier großen Spitälern wirklich nötig ist. „Denn dann wären im ganzen Land vier Erwachsenen-Psychiater ständig in Bereitschaft. Erfahrungsgemäß aber sprechen in den Notaufnahmen innerhalb von 24 Stunden landesweit nur zehn Patienten mit psychiatrischen Problemen vor.“ Mit dem Gesundheitsministerium sei schon diskutiert worden, ob Psychiater/innen in Bereitschaft jeden Patienten sehen müssten, der ein psychiatrisches Problem zu haben scheint, oder nur „echte Notfälle“. Eine Antwort auf diese Frage stehe noch aus. Für Dr. Cloos steht fest, dass es in allen Kliniken einer definierten „filière psychiatrique aux urgences“ bedarf.

Dass solche Überlegungen vor dem Hintergrund einer Ärzteknappheit angestellt werden, liegt auf der Hand. Doch es herrscht nicht generell Knappheit, und nicht in jeder Disziplin. Knapper werden vor allem Klinikärzte – in Bereichen wie der Neurologie oder der Kardiologie geben schon seit Jahren Ärzt/innen ihren Belegarztvertrag mit einem Spital auf und ziehen sich in ihre Praxis zurück. Schon dort gibt es genug Patienten, um ausreichend Umsatz zu erwirtschaften. Und Bereitschaftsdienste fallen weg.

Die Mediziner/innen generell für Bereitschaften an den Spitälern heranziehen zu wollen, wäre eine politische Frage. Zahnärzte müssen am Dentisten-Notdienst teilnehmen. Generalisten müssen in den Maisons médicales Dienst verrichten. Seit der Covid-Krise sind die Allgemeinmediziner überdies zur Teilnahme am neu eingeführten Bereitschaftsdienst an den Pflegeheimen verpflichtet. Für alle diese Dienste gibt es Stundengehälter. Forderungen von Klinikärzt/innen, auch eine Rufbereitschaft vergolten zu erhalten, klingen auch deshalb nicht unberechtigt, weil für Spezialist/innen ohne Klinikbindung keine Verpflichtung zum Bereitschaftsdienst an Spitälern besteht. Es könnte sie geben: In dem fast 40 Jahre alten Gesetz über den Arztberuf steht, dass eine großherzogliche Verordnung sie vorschreiben „kann“. Eine solche Verordnung aber wurde nie geschrieben.

Heute stellt sich die Frage, wer Bereitschaftsdienst leistet, ganz akut, wenn darüber diskutiert wird, Aktivitäten aus den Krankenhäusern in Centres médicaux auszulagern. Je nachdem, wie das geschieht, könnte eine Tätigkeit an einer Klinik weniger attraktiv werden und Mediziner/innen für Bereitschaften noch knapper. Es sei denn, man fände einen Weg, den klinischen und den außerklinischen Bereich, der neu geschaffen werden könnte, zuverlässig miteinander zu verzahnen. Was die Gesundheitsministerin, wie sie erklärt hat, anstrebt.

Beim Krankenhausverband FHL herrscht derweil nicht nur Konsens darüber, dass die Klinikmedizin „attraktiver“ gemacht werden müsse. „Wir sind auch schon seit Jahren der Auffassung, dass Bereitschaftsdienste bezahlt werden müssen“, sagt FHL-Präsident Paul Junck.

So dass man meinen könnte, dass auf allen Seiten guter Wille besteht, die Klinik-Bereitschaftsdienste klarer zu regeln, besser zu organisieren und die Entgeltfrage für die freiberuflichen Ärzt/innen zu beantworten. Wofür der Gesondheetsdësch der richtige Ort zu sein scheint. Doch ob das wirklich klappt, ist nicht sicher. Denn diese Frage zielt in den Kern dessen, womit Ärzt/innen in Luxemburg Geld verdienen. In erster Linie sind das Leistungen am Patienten, die à l’acte in Rechnung gestellt werden – nicht aber ein service public, wie pro Stunde vergütete Bereitschaftsdienste es wären. Weil es unter den Arztdisziplinen zum Teil große Unterschiede und auch Ungerechtigkeiten in den Verdienstmöglichkeiten gibt, vertraten schon vor Jahren manche Krankenhausdirektoren den Standpunkt, Bereitschaften zu vergüten, könne nur funktionieren, indem die bestehenden Verdienstmöglichkeiten hinterfragt und der service public, in Bereitschaft zu sein, zur Leistung am Patienten ins Verhältnis gesetzt würde. Von Fachdisziplin zu Fachdisziplin.

So einleuchtend das wäre, so sicher ist, dass das auf Widerstand stieße. Denn es würde bedeuten, Verdienstmöglichkeiten zwischen den Disziplinen umzuverteilen. Wie das ausgehen kann, erlebte der Ärzteverband AMMD vor ein paar Jahren, als er einwilligte, mit der CNS bestimmte Tarife in der Kardiologie zu kürzen, um schlechter gestellte Disziplinen aufzuwerten: Viele Kardiolog/innen traten daraufhin aus der AMMD aus. Gut möglich, dass der Gesondheetsdësch ein solches Szenario nicht mal andiskutiert. Und man sich am Ende darauf einigt, dass die Bereitschaftsdienste, auf deren Nichteinhaltung sogar Gefängnis stehen kann, das Gesundheitssystem halt ein Stück teurer machen.

Peter Feist
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