Vizepremier Jean Asselborn hatte uns im vergangenen Frühjahr den Begriff der „offenen Tripartite“ geschenkt, bei der die Sozialpartner nicht hinter verschlossenen Türen eine Einigung aushandelten, sondern ihre Meinungsverschiedenheiten in die Öffentlichkeit trügen. Die Idee scheint Furore zu machen. Denn inzwischen gibt es auch so etwas wie die „offene Regierung“. Dort handeln die Koalitionspartner nicht in Kabinett- und Fraktionssitzungen gemeinsame Positionen aus, sondern lassen die Öffentlichkeit an ihren Meinungsverschiedenheiten und Meinungsbildungsprozessen teilhaben. Das wirkt zwar etwas unordentlich. Aber Demokratie ist im Vergleich zu autoritäreren Regimen eine unordentliche Herrschaftsform, und Offenherzigkeit schadet eher der Effizienz als der Demokratie.
Mit dem seit dem Euthanasiegesetz und dem Sparpaket neuen sozialdemokratischen Selbstbewusstsein erklärte LSAP-Fraktionssprecher Lucien Lux beim Neujahrsempfang des Landesverbands, dass seine Partei die von den CSV-Ministern François Biltgen und Octavie Modert vorgeschlagene Gehälterrevision für den öffentlichen Dienst in der aktuellen Form nicht richtig unterstützen wolle. Ähnlich wie die Beamtengewerkschaften beanstandete er das geplante Bewertungssystem, das einer allgemeinen Verdächtigung aller Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gleichkomme. Nebenbei mäkelte er auch etwas an der im CSV-Wahlprogramm angekündigten Kürzung der Einstiegsgehälter beim Staat herum, ohne sich aber festzulegen. Schließlich steht das auch im Koalitionsabkommen.
Offenbar fürchtet ein Teil der LSAP, bei ihren Wählern die Zeche zu zahlen, wenn sie mit dem von Premier Jean-Claude Juncker für das Frühjahr angekündigten Gesetzentwurf zur Gehälterrevision überrumpelt würde. Der Gesetzentwurf soll die CGFP zwingen, zurück an den Verhandlungstisch zu kommen, damit sie die Revision beeinflussen kann, statt sie aufgezwungen zu bekommen. Und wie viel Verhandlungsspielraum insbesondere bei der angekündigten Einführung eines Bewertungssystems noch besteht, sieht man nicht nur daran, dass die Gehälterrevision kostenneutral sein soll, also bestenfalls, wie in den meisten Privatbetrieben, einige Prozent der Gehältermasse unter den fleißigsten Beamten verteilt werden sollen. Vor allem sieht man es auch am Umfang der Drohkulisse, zu der CSV und CGFP das Bewertungssystem mit vereinten Kräften aufbauen.
Dabei geht im CSV-Wahlprogramm keine Rede von einem Bewertungssystem, sondern lediglich unverbindlich von einer stärkeren Berücksichtigung des Leistungs- und Verantwortungsprinzips. Dafür heißt es aber um so unmissverständlicher, dass „die Anfangsgehälter für Neuanfänger bei Staat und Gemeinden abgesenkt werden“ sollen. Denn während ein Bewertungssystem im Idealfall die Effizienz der Verwaltungen vergrößern würde – und nicht einmal das ist ganz sicher –, dient die Senkung der Anfangsgehälter der künftigen Beamten nicht bloß dazu, etwas an der vom Staat gezahlten Gehältermasse zu sparen. Sie soll vor allem das allgemeine Lohnniveau im Land senken, indem die Privatbetriebe niedrigere Löhne anbieten können, ohne zu befürchten, dass die Beschäftigten deshalb in den öffentlichen Dienst abwandern. Für eine Strukturreform von solcher Bedeutung sind die CSV-Minister bestimmt bereit, der CGFP notfalls beim Bewertungssystem einen kleinen Verhandlungssieg zugunsten ihrer aktiven Mitglieder zuzugestehen. Vielleicht ahnte das auch schon der LSAP-Fraktionsvorsitzende. Dank seiner Vorbehalte wird er dann ohne große Anstrengung gleich mit der CGFP auf das Siegerpodest steigen können.