Kennen Sie Dici, was die am Projekt Beteiligten "Ditschi" aussprechen? Damit ist die Konvention gemeint, die der Staat Ende Juni 2005 mit der Stadt Luxemburg und ihren Umlandgemenden Strassen, Bartringen, Hesperingen und Leudelingen abgeschlossenhat, um im Südwesten der Hauptstadt zu einem "Développement intercommunal coordonné et intégratif" zu kommen. Die OECD, die am Donnerstag letzter Woche gemeinsam mit Landesplanungsminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) das Examen territorial des Landes vorstellte, hält Instrumente wie die Dici-Konvention für „strategisch wichtig“, um die wirtchaftliche Entwicklung in raumplanerisch geordnete Bahnen zu lenken.
Worum es geht, macht François Bausch, Finanz- und Mobilitätsschöffe der Gemeinde Luxemburg, anschaulicher: Ein deutsch-französisches Consulting-Büro, das Dici in Mobilitätsfragen zuarbeitet, habe für den Dici-Raum „Wachstumspotenziale wie in Dubai“ ermittelt. Die Consultants müssen es wissen, denn derzeit arbeiten sie unter anderem an einem Mobilitätskonzept für die Stadt Dubai. Und an einem für Dici; im Herbst 2008 soll es fertig sein.
Klein-Dubai am Cessinger Kreuz? An diesem Bild liegt es wohl, dass die fünf Dici-Gemeinden und das Landesplanungsministerium bislang nur sparsam nach draußen dringen lassen, was untereinander besprochen wird. Vor einem Jahr gab es eine Pressekonferenz über das gemeinsame Parkraum-Management. Nur intern, in technischen und in politischen Arbeitsgruppen, aber wird über die Perspektiven insgesamt für Dici diskutiert. „Vorsichtig“ mit dem Zahlenmaterial umzugehen, wurde in der Sitzung der politischen Arbeitsgruppe vom 3. Oktober 2006 abgemacht, in der Hauptstadtbürgermeister Paul Helminger sagte, man sehe nun,„dass der 700 000-Einwohnerstaat möglich sei“.
Die Haltung ist ein wenig erstaunlich, denn so neu sind diese Perspektiven nicht. Anfang 2002 war es Paul Helminger selber gewesen, der über die Internetseite der Hauptstadtverwaltung die Bauflächenpotenziale der Stadtviertel Cessingen, Hollerich und Gasperich sowie von Batrtringen, Strassen, Hesperingen und Leudelingen publik gemacht hatte. Um insgesamt an die zwei Millionen Quadratmeter allein an potenziell zusätzlicher Gewerbefläche ging es damals, geht es heute. Aber damals versuchte die Gemeinde Luxemburg, ihre Randgemeinden zur Teilnahme an einer interkommunalen Planung zu bewegen. Zum einen, weil der damalige Innenminister Michel Wolter insistierte, zum anderen, weil die Hauptstadt soeben ihren Parkplatzschlüssel geändert hatte: Nicht mehr pro 30 Quadratmeter Bürofläche sollte künftig ein Parkplatz an einem Betriebsstandort erlaubt sein, sondern nur pro 125 Quadratmeter. Weil die Bautenreglements der Randgemeinden alle 25 Quadratmeter einen Parkplatz gestatteten, suchte Paul Helminger die Konzertation, damit die Nachbarkommunen nicht zu Abstellplätzen für die Autos der in Luxemburg-Stadt angestellten Berufspendler würden.
Heute geht es um mehr: um Arbeiten und Wohnen, und das demnächst. Nutzte man alle Flächen, wie sie ausgewiesen sind, könnte Strassen von 6 000 Einwohnern im Jahr 2003 auf 14 700 kommen und auf 9 100 Arbeitsplätze, wo es zuletzt 6 400 waren. Bartringen könnte anstelle 5 600 Einwohner zurzeit, 16 300 beherbergen und 19 100 Arbeitsplätze anstatt 7 700. Leudelingen könnte gar zum Sprung von 1 900 auf 10 200 Einwohner und von 2 800 auf 16 400 Arbeitsplätze ansetzen. Hesperingen bringt es, ohne Itzig, auf potenziell 22 000 Einwohner und 21 500 Arbeitsplätze, und die Stadt Luxemburg zu guter Letzt könnte es allein in ihren Südwest-Quartiers von 17 600 auf 31 800 Einwohner und von 21 600 auf 53 500 Arbeitsplätze schaffen. Das macht summa summarum im Dici-Raum 95 200 Einwohner und 119 600 Jobs. Wenn man will. So beschreibt es ein Anfang Juni den Gemeinderäten aller Dici-Kommunen vorgelegtes Papier. Es verheimlicht nicht, dass in dem Fall die Zahl der Autofahrten von 279 000 im Jahr 2003 auf knapp 583 000 im Jahr 2020 wüchse.
Will man das? Darauf gibt es anscheinend keine einfache Antwort. Bartringens Bürgermeister Paul Geimer kann sich "höchstens 9 000, vielleicht 10 000 Einwohner“ in seiner Gemeinde vorstellen, Rob Roemen aus Leudelingen will „auf rund 3 000 kommen, wie der Innenminister es gern hätte, wenn er von kritischer Masse einer Kommune spricht“. Die Bescheidenheit hat auch damit zu tun, dass man sehr skeptisch gegenüber Halsdorfs Idee eingestellt ist, Dici zu einer Communauté urbaine zu machen. „Das wollen wir nicht“, sagt Roemen, und Geimer hält darauf, dass Bartringen durch Grünzüge hübsch getrennt bleibt von den Nachbarkommunen, damit niemand von Fusionen zu reden beginnt.
Fragt sich aber auch, ob und wie man welche Entwicklung bremsen sollte. „Unsere Gewerbeflächen müssen wir auslasten“, sagt Roemen. So hielten es zwölf Jahre alte Abmachungen der Gemeinde mit Privatpromoteuren fest, die wissen, dass auf den bestehenden Flächen in Luxemburg-Stadt, aber auch in Howald allmählich nichts mehr geht. Der „Büromarkt“ arbeitet sich an die Peripherie der Hauptstadt vor, und so wird Leudelingen bald nicht nur die Zentrale von Le Foyer beherbergen, sondern auch La Luxembourgeoise; die Parkplatzangebote auf seinen Flächen tragen aber ebenfalls zur Attraktivität bei.
Damit stellen sich ernste landesplanerische und politische Fragen, gerade angesichts der momentanen ökonomischen Entwicklung des Landes. Die Arbeitsplatzzuwächse sind seit rund drei Jahren so hoch, dass sie alle Voraussagen gesprengt haben, auch die des IVL. Darin waren für das Jahr 2002 landesweit 289 000 Arbeitsplätze gezählt worden, für 2020 wurden 395 000 prognostiziert. Kann sein, das trifft so ein bis dahin. Auch die OECD hält im Examen territorial fest, dass der gesamtwirtschaftliche Trend längerfristig selbstverständlich unsicher sei. Die Trends der letzten Jahre aber zeigten nach oben. Ende Juni dieses Jahres gab es laut Generalinspektion der Sozialversicherung 337 403 Arbeitsplätze. Von den 106 000 neuen Jobs, die das IVL zwischen 2002 und 2020 entstehen sah, wurden 48 000 bereits innerhalb von fünf Jahren geschaffen.
Und wie weiter? Seit dem 2003 verabschiedeten Programme directeur zur Landesplanung ist eine „Dekonzentration“ der Wirtschaftskraft weg vom Ballungsraum Hauptstadt Vorschrift. Das IVL wurde konkreter: 106 000 neue Arbeitsplätze entsprächen einem Plus von 37 Prozent landesweit. Doch vor allem die Südregion mit den zwölf Gemeinden vom Korntal bis nach Düdelingen sollte zulegen – um 69 Prozent. Dort gebe es mit den Industriebrachen besonders viele potenzielle Gewerbeflächen, der Arbeitsplatzbesatz sei mit 380 pro tausend Einwohner kleiner als im Norden um die Kantone Vianden und Clerf, wo er 2002 bei 480 lag. Nur um 29 Prozent sollte die Region Zentrum-Süd von Steinfort bis Frisingen wachsen, weil dort auf tausend Einwohner 1 080 Arbeitsplätze kamen und auf die Hauptstadt allein 44 Prozent sämtlicher Jobs.
Ob die Gegensätze sich verschärft oder entspannt haben, ist nicht leicht zu sagen. Der noch geringen horizontalen Durchsetzungskraft der Landesplanungspolitik wegen ermittelt der Statec die Arbeitsplätze gar nicht je nach Region, und auch die je nach Gemeinde nur unter Ausschluss der Grenzgänger. Das Differdinger Ceps erfasst auch die Frontaliers, schlägt alle Arbeitsplätze jedoch dem Sitz eines jeweiligen Betriebes zu. Weshalb die Stadt Luxemburg, die 37 Prozent aller Betriebssitze auf sich vereint, noch mehr Beschäftigte zugerechnet bekommen könnte als sie tatsächlich beherbergt, die
Südregion, die es nur auf 16,5 Prozent der Betriebssitze bringt, relativ unterbewertet wird.
„Trotzdem ist ganz klar, dass sich die Konzentration verstärkt und die Beschäftigung sich von der Hauptstadt aus über das Land verteilt“, sagt der Geograf Olivier Walther vom Ceps. Und er geht noch weiter: „Wer das Land als ein Mosaik von Regionen sieht, irrt sich. Das wird der wirtschaftlichen Realität nicht gerecht.“ Von der Hauptstadt aus sei eine Metropolenregion entstanden, die über die Grenzen hinaus wirke, „in der Größe Metropolenregionen in der Schweiz ähnlich “, so Walther. Dienstleistungsbetriebe, von Finanzdienstleistern bis hin zu Hightech-Firmen, hätten „metropolitane Aktivitäten“, die sich in Clustern organisieren, und Neuankömmlinge würden stets die Nähe des Clusters suchen.
Stimmte das, könnte es nicht ohne Konsequenzen für die landesplanerische Politik bleiben, denn es hieße womöglich, Dezentralisierung sei bisher falsch verstanden worden und für Klein-Dubai, das 74 000 neue Arbeitsplätze enthalten könnte, obwohl das IVL für die ganze Region Zentrum-Süd nur 52 000 vorsieht, müsse das IVL anders ausgelegt werden. Die Stater sehen es so ähnlich: „Es ärgert mich, wenn man uns bremsen will“, sagt Hauptstadtschöffe Bausch. Auch des „Clusters“ wegen wird PriceWaterhouseCoopers demnächst seine Europazentrale an die Cloche d‘Or verlegen, mit 2 000 Mitarbeitern anstelle 1 200 derzeit. Solchen Entwicklungen müsse man ins Auge sehen und mit einem Mobilitätskonzept begegnen.
„Man darf ein Cluster nicht zerstören“, und es sei „nicht gut, wenn jeder ein bisschen Finanzplatz und ein bisschen Verwaltung haben will“, meinte Bürgermeister Paul Helminger vor einer Woche auf dem vom Mouvement écologique ausgerichteten Rundtischgespräch zur Landesplanung. „Über die Cluster-Idee habe ich mit Herrn Helminger schon oft gestriten“, erzählt die Escher Bürgermeisterin Lydia Mutsch, die dem Regionalsyndikat Prosud vorsteht. „Wo steht denn, dass Banken nur in der Hauptstadt und ihrem Umland ansässig sein dürfen?“ Dexia-Bil habe das Gegenteil in Belval vorgemacht.
Daraus spricht die Sorge, dass abgesehen von einem Projekt wie Belval, „für das es genug Interessenten zur Ansiedlung gibt“, so Mutsch, die weitere wirtschaftliche Erschließung des Südens doch nicht gelingen könnte und die Region auch auf ihren sozialen Problemen sitzen bleibt. Ob man aus eigener Kraft zu einer Hochtechnologie-Region mit kritischer Masse werden könne, ist Mutsch sich alles andere als sicher: „Dafür ist Luxemburg insgesamt womöglich zu klein.“
Und derzeit laufen noch andere Versuche des Landesplanungsministeriums, die Entwicklung um die Hauptstadt zu begleiten. Nach Redaktionsschluss dieses Textes schloss Jean-Marie Halsdorf eine Konvention mit den Alzettetal-Gemeinden ab, und es gibt Gespräche für ein Dici auch östlich von Luxemburg-Stadt, mit den Flughafen-Anrainergemeinden. Man kann nicht sagen, das zuständige Ministerium nehme keinen Einfluss. Aber es scheint, als würde zumindest am Verhandlungstisch eine urbane Superstruktur vorweggenommen, und es fragt sich, ob ihr gegenüber der Landessüden, aber auch die Nordstad gleichberechtigte Pole oder eher Peripherie sein würden.
Das Mindeste, was man diesen Planungsprozessen nachsagen kann, ist ein Mangel an Transparenz. Für Dici soll Anfang 2008 eine Art Mini-IVL vorliegen. Dann wird wahrscheinlich auch die Bevölkerung informiert. Méco-Präsidentin Blanche Weber hatte wohl recht, als sie am Rundtisch letzte Woche die „fehlende Einbindung der Zivilgesellschaft“ beklagte. Dass er „ganz informell“ vorgeht, gab der Landesplanungsminister zu: „Die Gemeinden, in denen künftig die Musik spielt“, würden informiert über die laufenden sektoriellen Planungen der Regierung zu Transportwegen, Wohnungen, schützenswerten Landschaften und Gewerbeflächen. Scheint so, als werde im ganzen Süden die Musik nicht spielen: „Uns informiert man nicht“, sagt Lydia Mutsch. Obwohl Prosud das erste jener Syndikate zur Regionalplanung ist, die laut Landesplanungsgesetz gebildet werden sollen, und die OECD es für ein Vorbild hält. Mag auch „noch viel Konkurrenz unter den Beteiligten“ herrschen, wie der Düdelinger Bürgermeister und Ex-Landesplanungsminister Alex Bodry auf der Méco-Soirée meinte.
Aber vielleicht weiß auch niemand so recht, was man dem Süden sagen soll; vielleicht sind viele sich denn doch nicht sicher, inwiefern das IVL noch gilt oder ganz neu geschrieben werden müsste; und vielleicht wird stärker improvisiert, als man meinen könnte: „Wir hatten doch nie eine Zukunftsidee“ von Klein-Dubai am Cessinger Kreuz, rief François Bausch beim Méco-Rundtisch aus dem Saal dem Minister zu. Leider konnte weder Jean-Marie Halsdorf noch der Leiter der Direktion für Landesplanung gegenüber dem Land all die spannenden Entwicklungen erläutern.