Schon Hippokrates, der griechische Arzt, meinte vor 2 500 Jahren, „unsere Nahrungsmittel sollten Heilmittel sein“. Weil dieser Gedanke so bestechend einfach ist, haben sich auf der ganzen Welt Forschergruppen darauf spezialisiert herauszufinden, ob eine Nahrung, die traditionell für „gesund“ gehalten wird, es tatsächlich ist, und vor allem, wieso.
„Das haben wir erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten besser zu verstehen begonnen. Nicht zuletzt dank stark verbesserter Analysetechniken“, sagt Marc Diederich. Er leitet in Luxemburg das Laboratoire de Biologie Moléculaire et Cellulaire du Cancer (LBMCC), das schon seit dem Jahr 2002 gemeinsam mit Partnern von ausländischen Universitäten krebshemmende Potenziale von Nahrungsmitteln untersucht.
Diederich geht so weit, zu behaupten, dass man sich regelrecht gesund essen könne: „Dem Stand der Wissenschaft zufolge sind 30 bis 35 Prozent der Krebserkrankungen ernährungsbedingt und damit vermeidbar.“ Ein paar Tipps fürs Weihnachtsmenü gefällig?
Dieses Jahr hat ein Forscherteam des LBMCC zeigen können, das Curcumin die Bildung von Prostatakrebs hemmen kann. Curcumin ist ein Polyphenol, das zu fünf Prozent in der Gelbwurz (Kurkuma) enthalten ist. „In der ajurvedischen Pharmacopeia gilt Kurkuma schon seit vielen Jahrhunderten als Heilmittel“, sagt Diederich. Mittlerweile sei klar, warum. Hunderte wissenschaftlicher Publikationen hätten Curcumin zu einem der am besten untersuchten Nahrungsbestandteile gemacht. „Es wirkt entzündungshemmend, blockiert das Krebszellwachstum sowie die Ausbreitung von Tumorzellen und kann verhindern, dass neue Blutgefäße sich um den Tumor bilden.“ Regelmäßig Kurkuma in der Küche zu verwenden, könnte zur Prostatakrebs-Prävention besonders sinnvoll sein: Dieser Krebstyp wächst sehr langsam und benötigt zehn, mitunter 20 Jahre, um sich zu entwickeln.
In ihrer noch unveröffentlichten Studie haben die LBMCC-Forscher dokumentiert, in welche Zellmechanismen an einem Prostatakrebs Curcumin einwirkt. Die Zusammenhänge sind komplex, haben sowohl mit der Immun-antwort des Organismus als auch mit der Regulation der Proteinbildung in der Zelle zu tun. Nicht selten beeinflusse jede Substanz, die in einem Nahrungsmittel präventiv wirken kann, einen anderen Zellmechanismus, sagt Diederich. Deshalb sei es wichtig, gesunde Nahrung kombiniert zu sich zu nehmen: „Früher lautete die Regel, fünf Mal am Tag Obst und Gemüse zu essen. Heute gilt, dass man jeweils Cocktails aus verschiedenen Sorten Obst und Gemüse zu sich nehmen sollte.“
Denn die Substanzen beeinflussen nicht nur unterschiedliche zellulärepathways. Es hat sich auch gezeigt, dass sie einander in ihrer Wirkung verstärken können: „Schwarzer Pfeffer verbessert zum Beispiel die Aufnahme von Kurkuma durch den Körper“, sagt Diederich. Das in Paprika- und Chili-schoten enthaltene Alkaloid Capsaicin ist ein weiterer Krebshemmer. 2004 zeigte eine LBMCC-Studie, dass Capsaicin – wie Curcumin ein Polyphenol – die Umwandlung gesunder Zellen in Krebszellen komplett zu stoppen im Stande ist.
Ähnlich wirken, nur wiederum innerhalb anderer zellulärer Kontexte, Zwiebeln und Knoblauch. Die in ihnen enthaltenen Diallyl-Polysufilde sind langkettige Schwefelverbindungen, und vor kurzem beschrieb ein LBMCC-Team, dass in Krebszellen nach der Behandlung mit einem „Knoblauchmolekül“ innerhalb von vier Stunden der Zelltod einsetzte.
„Die Idee, gegen Krebs vorbeugend zu essen“, sagt Marc Diederich, „geht darauf zurück, dass unser Körper im Grunde ständig die Bildung von Krebszellen abwehrt.“ Das sei vor allem so, wenn man schädlichen Einflüssen ausgesetzt ist, Zigarettenqualm etwa, oder wenn man unter chronischen Entzündungen leidet. „Wenn alles gut geht, wird die Krebsbildung vom Immunsystem in Schach gehalten. Damit nichts schief geht, sollte man mit einer Batterie geeigneter Substanzen nachhelfen.“
Dieser präventive Ansatz hat noch einen weiteren, ziemlich ernsten Hintergrund: Werden Krebserkrankungen nicht beizeiten entdeckt, sind sie nach wie vor kaum behandelbar. Zwar brachte die moderne Biomedizinforschung eine Reihe „zielgerichteter“ Medikamente hervor, die die klassischen Chemotherapien und Strahlenbehandlungen ergänzen. Das neueste Medikament zur Behandlung von Darmkrebs in einem fortgeschrittenen Stadium aber vermag das Leben des betroffenen Patienten im Schnitt nur auf 24 Monate zu verlängern, wo die klassische Chemotherapie seit den Achtzigerjahren knapp 12 Monate herauszuholen schafft. Allerdings kostet eine solche Chemotherapie 500 Dollar gegenüber einer Viertelmillion für das neue Medikament mit Zielfunktion. „Die Frage, wie lange man sich solche Medikamente noch wird leisten können, wird in einigen Gesundheitssystemen schon gestellt“, sagt Marc Diederich. „Und da Darmkrebs vor allem ernährungsbedingt ist, kann eine Präven-tion, die früh genug beginnt, auch viel Geld einzusparen helfen.“
Wenngleich offenbar Pflanzen hohes krebshemmendes Potenzial besitzen: dass dies auf alle zutreffe, könne man leider nicht behaupten, sagt Marc Diederich aus Erfahrung. Von eigenen Forschungsprojekten abgesehen, hat das LMBCC sich auf die Untersuchung biologischer Potenzen von Molekülen schlechthin spezialisiert und erledigt auch Analyseaufträge für Fremdkunden. Neulich erst habe man eine Sammlung von 50 Pflanzenmolekülen aus der Universität Düsseldorf zum Test erhalten. Von den bisher dreißig überprüften Molekülen hätten sich nur elf als „interessant“ herausgestellt.
Dass die Krebsprävention durch angepasste Ernährung tatsächlich im großen Stil funktioniert, dafür gebe es, so Diederich, „stichhaltige Indizien“. Der LBMCC-Chef zitiert aus einer epidemiologischen Studie, die für Indien und die USA die Nutzung von Gewürzen mit der Häufigkeit von Krebserkrankungen korreliert hat: „Demnach führt die stärkere Nutzung von Gewürzen, Obst und Gemüse in Indien zu weniger Krebsfällen, vor allem weniger Krebserkrankungen des Verdauungssystems, als in den Vereinigten Staaten.“