Der Verteidigungsminister und der Generalstab der Armee machten diese Woche klar, was sinnvolle Verteidigungsausgaben sind. Ehe die CSV damit Wahlkampf im Krieg macht

Die kleine Armee und der Krieg

d'Lëtzebuerger Land vom 01.04.2022

„Total dergéint!” Er wolle „hier mal eine genaue Analyse machen“, was es hieße, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen, sagt Verteidigungsminister François Bausch (Grüne) am Montag zu Beginn der eigens dafür anberaumten Pressekonferenz. Und schiebt nach: Er habe das zwei Stunden zuvor auch dem parlamentarischen Verteidigungsausschuss vorgerechnet.

Denn seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine vor fünf Wochen und den Verstärkungen, die die Nato an ihre „Ostflanke“ schickt, ist nicht nur in den Zeitungen immer wieder zu lesen, Luxemburg sei mit seinen Verteidigungsausgaben im Verhältnis zum BIP das „Schlusslicht“ der 30 Nato-Länder. Auch die CSV hat sich des Themas angenommen. Parteichef Claude Wiseler hatte schon Anfang März im Parlament erklärt, sie sollten „ein gutes Stück nach oben“ geschraubt werden. Dieses Jahr sollen sie 0,6 BIP-Prozent ausmachen, 2024 auf 0,72 Prozent steigen. Wiseler meinte, ein Prozent „könnten wir finanzieren und auch umsetzen“ (d’Land, 4.3.2022). Die Ansicht wiederholte er beim CSV-Kongress vergangenen Samstag in Ettelbrück. Grund genug für Bausch, das Thema ein für allemal begraben zu wollen.

Der Verteidigungsminister bemüht dafür allerhand Vergleiche. Denn rechnerisch liegt das Problem für Luxemburg in seinem Reichtum pro Kopf: Wäre der so hoch der Belgiens, „dann wären wir schon mit den 464 Millionen Euro Verteidigungsausgaben dieses Jahr bei 1,5 BIP-Prozent“. Lägen dagegen die Verhältnisse in Belgien wie in Luxemburg, „dann müsste Belgien statt 4,7 Milliarden Euro zwölf Milliarden ausgeben, um knapp über ein Prozent zu kommen“. In den Niederlanden müssten es 25 Milliarden statt 11,5 Milliarden sein. Und Litauen, dessen Verteidigungsausgaben bei 2,1 Prozent seines BIP liegen, müsste sie versechsfachen, wenn es so reich wie Luxemburg wäre und bei 2,1 Prozent bleiben wollte.

Die andere Seite des Szenarios: Falls Luxemburg anteilig vom hohen BIP ähnlich viel für Verteidigung ausgäbe wie das wirtschaftlich viel schwächere Litauen, dann stellte sich die Frage wofür. Bausch rechnet vor: Luxemburg könnte eine Flotte aus F-35-Jagdfliegern anschaffen. „Oder jedes Jahr einen Luxeosys-Beobachtungssatelliten, einen A400M-Transportflieger und 80 gepanzerte Aufklärungsfahrzeuge“, wie die Armee sie 2028 erhalten soll, um die Dingos und Humvees zu ersetzen. „Do ass d’Regierung total dergéint!“, ruft der Minister, der auch nicht wüsste, in welchen „Schäpp“ das viele Gerät abgestellt würde.

„De Russ ass determinéiert“Es ist nicht ganz Zufall, dass der Generalstab der Armee zwei Tage später auf den Herrenberg einlädt, um über die „défis actuels et futurs de l’Armée“ zu informieren. Mit dem Ukraine-Krieg habe das nichts zu tun, beantwortet General Steve Thull eine Journalistenfrage, ob hier darüber gesprochen werden soll, was die Armee in Anbetracht des Krieges zu tun gedenkt. „Wir wollten Sie schon 2021 einladen. Wegen Corona klappte das nicht.“ Für den Generalstabschef ist der Ukraine-Krieg Teil einer Entwicklung. Seit 2008 spreche die Nato vom „Post-Kalten-Krieg“: Als Russland in Georgien die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien unterstützte, ähnlich wie ab 2016 den Donbass in der Ostukraine, sei klargeworden, „dass de Russ ferm determinéiert ass“, Gewalt einzusetzen. Lautete nach dem Ende der Sowjetunion 1991 der Ansatz der Nato, statt schwerer Ausrüstung für lange konventionelle Kriege nun leichtere und mobiler einsetzbare Verbände zu unterhalten, orientierte sie 2014 um: Schweres Material sollte nun gemeinsam geplant werden. Im Nato Defense Planning Process entstehe alle paar Jahre ein „Blue Book“, das die Beiträge der Nato-Staaten auflistet. Besonderer Wert werde auf „Interoperabilität“ gelegt und darauf, den neuesten technologischen Entwicklungen zu entsprechen. Weshalb die Nato 2016 „Cyber“ als vierten Bereich neben Boden, See und Luft einführte und 2019 „Space“ als fünften.

Thull erzählt eine ähnliche Geschichte wie sein Minister aus einem anderen Blickwinkel: Da Luxemburg stets ein „verlässlicher“ Nato-Partner sein wollte, machte es alle die Entwicklungen mit. Seine Armee übernahm Aufklärung. Schaffte mit Belgien einen A400M an, weil den europäischen Nato-Staaten Tranpsortflugzeugen fehlt. Finanzierte einen A330 als „Multi-Role“-Flieger, der Personen befördern, aber auch Jagdflugzeuge in der Luft auftanken kann. Stieg in die Satellitenkommunikation ein. Betreibt Aufklärungs-Drohnen, neuerdings auch vier, die so hoch fliegen (fast 7 000 Meter), dass das mit der Zivilluftfahrt koordiniert werden muss. Dabei ist die Luxemburger Armee nur an die 1 000 Personen stark, darunter 800 Militärs. „Das entspricht einem Bataillon“, sagt der General. Im Ausland habe ein Bataillon eine klar umrissene Aufgabe. „Wir dagegen sind eine Armee und so diversifiziert, dass wir das nicht noch weitertreiben können. Sonst machen wir viel, aber eines Tages nichts mehr gut.“

„Dat ass och esou eppes…“Eigentlich sollte eine weitere Diversifizierung in einem Militärspital bestehen. Die Idee wurde vor fünf Jahren am Centre hospitalier Emile Mayrisch (Chem) geboren und an die damalige LSAP-Gesundheitsministerin Lydia Mutsch herangetragen, die sie an LSAP-Verteidigungsminister Etienne Schneider weiterreichte. Er fand sie interessant: Innerhalb der Nato sind solche Kapazitäten gefragt. Als das neue Südspidol für Esch geplant wurde, wurde an eine separate Abteilung gedacht, zugänglich über einen Tunnel. Sie hätte sowohl als Militärspital als auch als „Major incident hospital“ dienen sollen, falls in Luxemburg sich ein großer Unfall mit vielen Verletzten auf einmal ereignete oder eine Pandemie.

Eine Frage war jedoch, ob die Luxemburger Klinikmedizin mit ihren überwiegend freiberuflichen Ärzten dafür geeignet wäre. Denn die Ärzte eines Militärspitals müssen auf Befehl einsatzfähig sein. Was schwer denkbar wäre für Mediziner, denen ihr Verband AMMD bei der letzten Reform des Spitalgesetzes 2018 zu mehr Macht gegenüber ihren Klinikdirektionen verholfen hatte.

Viel mehr war um das Projekt nicht geklärt, als François Bausch es von Etienne Schneider erbte. Mit seinem damaligen Chef der Direction de Défense, Gilles Feith, fühlte Bausch bei der AMMD vor. Die meinte, es böte sich eine Zusammenarbeit mit der Uni an; in der Forschung, aber auch in der Roboterchirurgie. Und sie insistierte: Festangestellt sollten die Ärzte am Militärspital nicht sein, damit das „Kräfteverhältnis“ in der Ärzteschaft nicht verschoben würde. Um das Projekt voranzubringen, schloss die Regierung im Sommer 2019 ein Memorandum of Understanding mit dem Chem ab. Doch dann kam Covid und das Vorhaben geriet in die Mühlen der Klinikkonkurrenz. Der damalige Chef der Schuman-Krankenhausstiftung, der frühere CSV-Verteidigungsminister Jean-Louis Schiltz, machte Reklame für ein „Covid-Spital“, das, wenn nötig, auch als Militärspital dienen könnte. Schiltz brachte dafür die Escher Clinique Sainte-Marie ins Spiel. Der Escher CSV-Bürgermeister und Chem-Präsident Georges Mischo war bestürzt: „Das Militärspital ist für uns!“, sagte er dem Land im Sommer 2020. Unterdessen hatte der Verteidigungsminister sich erzählen lassen müssen, dass freiberufliche Ärzte wohl nicht geeignet seien fürs Militärspital und die Nato das Projekt nicht akzeptieren könnte. Die offenen Fragen wollte Bausch in einer Machbarkeitsstudie beantworten lassen. Ein interministerielles Komitee sollte sich darum kümmern, unter Führung des Verteidigungsministeriums, damit das Spital als Nato-Beitrag auf dem Radar bliebe. Auf seiner Pressekonferenz am Montag sagt Bausch auf Nachfrage zum Militärkrankenhaus spontan, „dat ass och esou eppes“, nachdem er darüber referiert hat, wie man Geld „aus der Fënster erausgeheien“ könne. Er fängt sich dann aber. Sagt, „der Ball liegt nun beim Gesundheitsministerium, das uns gesagt hat, die Pandemie habe gezeigt, dass wir etwas machen müssen, das allen Spitälern hilft“. Deutlicher wird er nicht, fügt nur hinzu, dass das Projekt „nicht vom Tisch“ sei. Doch wenn sich nun das Gesundheitsministerium darum kümmert und vielleicht so etwas wie ein Pandemie-Spital plant, ist der Nato-Beitrag Militärspital offenbar vom Tisch.

„Dat ass en Challenge“ „Die zwei Prozent setzen uns unter Druck“, bekennt General Thull, als er in einer großen Halle auf dem Herrenberg vorbei an gepanzerten Fahrzeugen und Aufklärungsdrohnen führt. Das BIP-Ausgabenziel sei aber nicht die einzige „Metrik“, die die Nato 2014 auf dem Gipfel in Wales verabschiedet hat. Eine andere laute, mindestens 20 Prozent der Verteidigungsausgaben für neue Investitionen aufzuwenden. Belgien und Deutschland kämen nur auf zehn Prozent, verrät Thull. Unter anderem deshalb lege die Bundesrepublik nun nach. „Wir dagegen kamen in den letzten Jahren immer auf über 40 Prozent.“ Was die Nato natürlich nicht schlecht finde.

Doch das jüngste, 2020 herausgegebene Blue Book über die Planung von Kapazitäten schreibt Luxemburg unter anderem vor, ein halbes Aufklärungsbataillon zu stellen. Und: Eines mit Einsatzfähigkeit „Medium“ statt „Light“, wie es bisher für die gesamte Luxemburger Armee gilt. „Medium“ meint Aufklärung mit Feindberührung. Aufklärer, die nicht nur beobachten, sondern auch schießen, um zu sehen, von woher und womit die andere Seite zurückschießt. Dass das bedeutet, dass Luxemburger Soldaten gefährlicher leben werden, wurde bisher noch wenig thematisiert. Die andere Hälfte des Bataillons wird Belgien stellen. Darüber unterschrieben beide Regierungen 2021 eine Absichtserklärung. 2023 soll ein Vertrag folgen, bis dahin geklärt sein, welche Ausrüstung das Bataillon braucht und wo es stationiert wird. Rein mechanisch würden damit die Luxemburger Verteidigungsausgaben weiter steigen.

Sicher ist schon jetzt, dass die Luxemburger Armee das Personal noch nicht hat, um ein halbes Bataillon zu stellen. Für zwei von vier Kompanien an Aufklärern hätte sie es wohl. Dagegen müssten für eine Kompanie zum „Support“ 100 bis 120 Militärs zusätzlich rekrutiert werden. Noch schwieriger werde es, einen halben Bataillonsstab zu stellen, heißt es vom Generalstab am Mittwoch. Dazu würden erfahrene Offiziere gebraucht, ab Dienstgrad Capitaine.

Überhaupt ist die Personalfrage den Challenge für die Armee. Thull verspricht sich viel von der Reform des Armeegesetzes, die neue Laufbahnen für Berufssoldaten mit Abitur oder Bachelor-Abschluss einführen soll. Im öffentlichen Dienst gibt es sie seit 2015, bei der Polizei seit 2018. Was die Armee seither Attraktivität kostet. Außerdem soll die Gesetzesänderung den Freiwilligendienst von drei auf vier Jahre verlängern. Das sei nötig, weil einerseits die Ausbildung immer intensiver würde, andererseits Auslandsmissionen mittlerweile drei Jahre dauern können. Am liebsten wäre dem Generalstab, die Armee würde draußen im Land wie ein „Arbeitgeber“ gesehen, der attraktive Jobs bietet. So dass beispielsweise Armee-Freiwillige nach ihren drei oder demnächst vier Jahren eine Berufs-Karriere anschließen. Noch ist das selten. Doch ein ganz normaler Arbeitgeber wird die Armee nie, denn sie ist die Armee. Und unterliegt der dialektischen Spannung als ein Teil des öffentlichen Dienstes. In einigen Eifer redet der General sich, als er erwähnt, dass „eine“ Armeegewerkschaft verlange, ein Äquivalent von vier Wochen Sondereinsatz durch ein Äquivalent von sieben Wochen Urlaub auszugleichen. „Das kann ich nicht zulassen, da machen wir den Betrieb hier dicht!“, erregt der General sich.

Beim „Russ“ werden solche Diskussionen vermutlich nicht geführt.

Peter Feist
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