Verhandlungen der Staats- und Regierungschefs über den mehrjährigen Finanzplan der Europäischen Union unterliegen ihren eigenen Gesetzen. Würde Shakespeare noch leben, hätte er wohl schon längst ein Drama darüber geschrieben. Dieses Mal allerdings gibt es eine Besonderheit. Noch nie war das Interesse bei vielen Beteiligten so groß, dass es zu keiner Einigung kommt.
Denn zum ersten Mal geht es nicht darum auszuhandeln, wie stark das Budget steigt, sondern darum, wie stark es gekürzt wird. Nur noch die Nettozahler, das heißt die Länder, die über die Agrar- und Strukturpolitik mehr zurückbekommen, als sie einzahlen, traten vor dem Gipfel vorsichtig für eine Steigerung des Budgets, zumindest aber gegen jede Kürzung ein. Alle anderen setzten sich, mit unterschiedlicher Entschlossenheit, für Kürzungen ein. Der ursprüngliche Vorschlag der Europäischen Kommission hatte noch eine Steigerung von etwa fünf Prozent vorgesehen, die Ratspräsident Herman Van Rompuy zum letzten Verhandlungsgipfel schon um 73 Milliarden gekürzt hatte, was 22 Milliarden weniger als die Ausgaben von 2007 bis 2013 bedeutet hätte.
Dieser Vorschlag ist am gemeinsamen Widerstand Großbritanniens, Deutschlands, der Niederlande und Schwedens gescheitert. Das Europäische Parlament ist grundsätzlich gegen jede Kürzung. Es muss dem Haushalt aber zustimmen und hat damit, ebenso wie jeder einzelne Mitgliedstaat, ein Vetorecht. Kommt keine fristgerechte Einigung zustande, gilt der alte Haushalt weiter. Das ist genau das Szenario, das dem Europäischen Parlament im Moment das liebste ist. Jedes Verhandlungsergebnis kann nur weniger erbringen.
Am Dienstag sprach der französische Präsident erstmals vor dem Europäischen Parlament in Straßburg. François Hollande bekam für sein Eingreifen in Mali viel Applaus. In der anschließenden Debatte ging es vor allem um die zukünftige Haushaltpolitik. Hollande sprach sich fürs Sparen aus, aber nicht auf Kosten der Wachstumskräfte. Das Parlament bezeichnete er als seinen Verbündeten für die anstehenden Verhandlungen. Es passt ins Bild, dass er kürzlich noch der Meinung war, die Zeit für eine Entscheidung sei noch nicht gekommen. Er möchte den EU-Wahlkampf 2014 zum Ausgangspunkt einer großen europäischen Reformdebatte machen, bei der dann auch Fragen wie die institutionelle Weiterentwicklung, das Recht auf eigene (Steuer-)Mittel für die EU-Kommission und weitere Baustellen auf den Tisch kommen sollen. Beim leidigen Thema Agrarpolitik, auf die immer noch 40 Prozent aller EU-Ausgaben fallen, sprach er sich wieder gegen Kürzungen aus. Allenfalls die Direktzahlungen an die Bauern könnten gekürzt werden, das freiwerdende Geld müsse dann aber in die ländliche Entwicklung fließen. Übersetzt heißt das: etwas weniger subventioniertes Einkommen für die Bauern, mehr Golfplätze für alle.
Vor der Debatte hatten die Fraktionsvorsitzenden der Konservativen, Sozialisten, Liberalen und Grünen in einem gemeinsamen Papier den EU-Haushalt in allen seinen Teilen als Ausdruck der gemeinsamen europäischen Interessen gefeiert. Der gemeinsame Finanzrahmen sei „ ein politischer Akt, ein Ausdruck der europäischen Ambitionen“. Für einige Regionen seien die Strukturfondsausgaben die einzige Möglichkeit für Investitionen. Sie fordern den Europäischen Rat auf, die Ausgaben für Forschung und Innovation nicht zu kürzen, wie es allgemein erwartet wird, weil die Agrar- und Strukturausgaben als unantastbar gelten. Eine Drohung, einen schlechten Kompromiss der Mitgliedstaaten abzulehnen, vermeidet das Papier. Echten Reformvorschlägen für einen EU-Haushalt, der nicht nur der Summe, sondern auch dem Inhalt nach den Herausforderungen der Zeit gerecht wird, gehen aber auch sie konsequent aus dem Weg.
Damit sind die Vorsitzenden der wichtigsten Fraktionen des Europäischen Parlaments mit François Hollande weitgehend einig. Wie er würden auch sie am liebsten alles beim Alten lassen. Nur vom Gleichen dürfte es noch etwas mehr sein. Garniert werden soll der aufgewärmte Eintopf allenfalls mit Eigenmitteln der EU-Kommission. Beides, die Rede Hollandes und das Papier der Fraktionsvorsitzenden, sind voll europäischer Rhetorik und doch gleichzeitig Ausdruck dafür, wie wenig sich in der europapolitischen Debatte wirklich bewegt. Die Bezeichnung des Haushalts als politischer Akt entlarvt mehr als nur eine Plattitüde. Nichts spiegelt die europapolitische Wirklichkeit besser wider als die nackten Zahlen des Unionsbudgets. Was auch immer gestern Nacht beschlossen worden sein mag, ob Vertagung, Kürzung oder Status Quo: Im mehrjährigen Finanzrahmen drückt sich der wahre Zustand der Gemeinschaft aus. Viel Anlass zur Hoffnung auf positive Veränderungen bietet er nicht.