„Wir helfen beim Ausfüllen der Anträge, denn die sind für unsere Klienten oft zu kompliziert“, sagt Charlotte Marx. Die Sozialarbeiterin der Stëmm vun der Strooss betreut Bedürftige, die Hilfe beim Behördengang wünschen: Sei es, um Wohngeld zu beantragen, weil die Miete zu teuer ist, Rechnungen zu reklamieren – oder um einen Anwalt zu organisieren. Bei Menschen mit geringem oder keinem Einkommen übernimmt der Staat die Kosten für den Anwalt. Anfang dieser Woche meldete das Justizministerium, den Tarif der Beratungshilfe um zehn Prozent anzuheben. Und zwar von zuvor 87 Euro auf nunmehr 96 Euro die Stunde. Angehende Rechtsanwälte bekommen einen Stundensatz von 64 statt zuvor 58 Euro.
Die Rechtsanwaltskammer begrüßt die Anhebung: „Die letzte Erhöhung geht auf 2011 zurück“, sagt Vize-Batonnière Valérie Dupong. Die Kammer entscheidet über die Vergabe der Prozesskostenhilfe und hat dafür Personal, das die eingereichten Anträge prüft, allerdings mehr und mehr am Limit arbeitet. Wer eine bestimmte Einkommensgrenze nicht überschreitet, kann Hilfe beantragen. Dies beim Barreau in Luxemburg ebenso wie im Bezirk Diekirch.
„Seit der Reform des Revenu minimum garanti, heute Revis genannt, hat sich der Kreis derjenigen deutlich erweitert, die Anrecht auf Prozesskostenhilfe haben“, erklärt Valérie Dupong weiter. Vor 2019 lag die Schwelle bei einem Erwachsenen bei rund 1 867, heute sind es 2003 Euro. Für einen Erwachsenen mit drei Kindern lag die Schwelle bei 2376 Euro, während sie heute bei 3 363 Euro liegt. Dieser erweiterte Berechtigtenkreis spiegelt sich in den Antrags-Statistiken wieder: Gegenüber 2018 mit 3 776 positiven Bescheiden auf Prozesskostenhilfe beim Barreau Luxemburg-Stadt waren es 2019 bereits 4 744. Dabei ging die Anzahl der abgelehnten Anträge von 474 auf 350 zurück. Im Bezirk Diekirch waren es 657 gebilligte Anträge (160 ablehnt) für 2018, für 2019 dann 610 positive Bescheide, bei 88 abgelehnten. Den Kreis der Berechtigten zu erweitern, war erklärtes Ziel der Regierung gewesen.
Mehr Anträge Inzwischen hat sich die Entwicklung stabilisiert: Vom 1. Januar bis 30. Juni beschied die Rechtsanwaltskammer 1 994 Hilfeanfragen positiv, das Gros mit über zwei Drittel aller Anträge im Bereich des Strafrechts und des Verwaltungsrechts. Weil die Hilfe sich an Menschen mit geringem Einkommen richtet, seien „Flüchtlinge, die Asyl suchen oder Strafgefangene, die ein Urteil anfechten“ darunter, so Dupong. Aber auch Scheidungsfälle oder Mietstreitereien.
Auf 8,3 Millionen Euro bezifferten sich die Ausgaben des Justizministeriums für diese staatliche Hilfe im vergangenen Jahr, gegenüber 6,6 Millionen Euro im Vorjahr 2018. Ein nicht unerheblicher Anstieg, der laut Barreau zum größten Teil eben auf jene neue Rechenweise des Revis zurückgeht. Das Justizministerium bestätigt indirekt diese Leseweise: Der Kumul sei auf Fälle zurückzuführen, die sich bei der Rechtsanwaltskammer angehäuft hätten, schreibt dessen Pressestelle auf Land-Nachfrage. Für dieses Jahr sind sieben Millionen Euro veranschlagt. Der entsprechende Passus im Staatshaushalt sieht zudem eine Projektion für die kommenden Jahre vor: Demnach stabilisieren sich die Ausgaben um die sieben Millionen Euro, mit 7,1 Millionen in 2021, 7,2 Millionen in 2022 und fast 7,4 Millionen für 2023. Auf Nachfrage, ob darin eventuelle Mehrkosten einer geplanten Reform enthalten seien, verneint das Ministerium: Es handele sich um eine „normale Progression“.
Die Höhe der Prozesskostenhilfe ist indes seit Jahren ein schwelender Streitpunkt zwischen der Anwaltskammer und Regierung: Kanzleien, die viele Klient/innen haben, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, um die Anwaltskosten zu bezahlen, klagen, die Hilfe sei zu niedrig angesetzt und würde nicht die reellen Beratungskosten decken. Insbesondere solche Kanzleien, die sich auf Asylrecht oder die Verteidigung komplizierter Kriminalfälle spezialisiert haben, hätten das Nachsehen, weil sie von ihren Klient/innen nicht die üblichen Sätze von 200 Euro und mehr fragen könnten. „Reich wird man damit nicht“, sagt Fränk Wies, Fachanwalt für Asylrecht. Etwa 50 bis 60 kleinere bis mittlere Anwaltskanzleien sind, laut Barreau, erzielen einen Großteil ihrer Einkünfte über die staatliche Prozesskostenhilfe.
Für sie stellt die ab 2. August geltende zehnprozentige Erhöhung eine teilweise Verbesserung dar. 2010 war die Prozesskostenhilfe von der Indexierung ausgenommen und seitdem nicht mehr erhöht worden. „So gesehen, wird sie lediglich an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten der letzten Jahre angepasst“, bemerkt Rechtsanwalt Frank Wies. Unter dem grünen Justizminister Félix Braz war eine Reform der Hilfe angedacht worden. Zum einen sollte der Zugang erleichtert, zum anderen die Hilfe präziser werden. Ein Tarifsystem sollte die aktuelle Berechnung ablösen und helfen, die Kosten für unterschiedlich aufwändige juristische Akte präziser zu erfassen und ergo Anwaltskanzleien gemäß ihrem reellen Aufwand zu entschädigen. Das hätte allerdings Mehrarbeit für die Kammer bedeutet. „Eine Umstellung auf ein System mit mehreren Tarifen wäre sehr kompliziert geworden“, gibt Valérie Dupong zu bedenken. Derzeit existieren Tarife, X Minuten etwa für ein Beratungsgespräch, eine Vorladung oder eine juristische Schlussfolgerung.
Und raus bist Du Parallel wurde in der zuständigen Arbeitsgruppe daher ein anderes System angedacht: Eine gestaffelte assistance judiciaire partielle, die je nach Aufwand unterschiedlich hoch ausfällt. „Eine gestaffelte Beratungshilfe wäre flexibler“, sagt Valérie Dupong. Ein Problem ist mit dem aktuellen System ist, dass durch die starre Einkommensgrenze immer wieder Antragstellende, die knapp darüber lag, von der staatlichen Unterstützung komplett ausgenommen sind, obwohl sie vielleicht trotzdem zu wenig verdienen, um sich einen Rechtsbeistand in einem mehrjährigen Gerichtsverfahren leisten zu können. Das neue, an Belgien angelehnte System würde eine flexiblere Handhabung erlauben und so könnten Haushalte, die leicht über der Einkommensgrenze liegen, trotzdem Hilfe bekommen, nur eben nicht den vollen Satz. „Die letzten Jahre ist es nicht mehr so leicht gewesen, bei Härtefällen Ausnahmen zu machen und ja, ab zwei Euro konnte jemand die Hilfe zuerkannt bekommen oder eben nicht“, erklärt Vize-Batonnière Dupong. Derzeit beraten Vertreter des Barreau zusammen mit dem Justizministerium über die Vorgehensweise. „Die Justizministerin führt mit uns Gespräche“, bestätigt sie. Doch noch steht nicht einmal ein Vorentwurf. Denn es gibt zudem grundsätzliche Bedenken: Die Beratungshilfe, je präziser abgerechnet und aufgeschlüsselt, erlaubt gewissermaßen auch eine Kontrolle der Arbeit einer Kanzlei durch den Staat, obwohl es hier um höchst Vertrauliches geht.
Gleichwohl ist die juristische Beratungshilfe ein unerlässliches Instrument, um den Zugang aller zur Justiz zu gewährleisten. Nicht nur Rechtsanwälte bemängeln Unzulänglichkeiten im geltenden System. Auch Sozialarbeiter, die beim Ausfüllen der Anträge helfen, sehen Probleme. Denn für die Hilfe muss zunächst ein dreiseitiges Formular ausgefüllt werden, das sich die Antragstellenden beim Barreau herunterladen können. Die Bedarfsprüfung ist Voraussetzung, um staatliche Unterstützung bewilligt zu bekommen. Sie ist ziemlich ausführlich und erlaubt den Behörden einen tiefen Einblick in die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Akribisch muss jedes Einkommen aufgeführt werden. Die Personen, die sie anfragen, vereint indes die soziale Randlage: Es sind Menschen mit wenig Geld, Arbeitslose, Alleinerziehende, Flüchtlinge oder auch Strafgefangene.
Gleiches Recht? In Stëmm von der Strooss, wo Sozialarbeiterin Charlotte Marx Hilfesuchende berät, sind es vorrangig Familien oder Alleinerziehende, die sich aus eigener Kraft keinen Anwalt leisten können. Etwa für ein Scheidungs- oder ein Jugendschutzverfahren. Doch freier Zugang zur Justiz meint auch freie Wahl des Rechtsbeistands. In Luxemburg existieren keine derartigen Analysen, aber ausländische Studien haben nachgewiesen, dass Rechtsberatungen und Gerichtsverfahren, die über die Prozesskostenhilfe abgerechnet werden, häufig eher von angehenden Anwält/innen übernommen werden oder von kleineren Kanzleien. Das muss nicht, kann sich aber auf die Qualität der Verteidigung niederschlagen.