Die Zwischenbilanz der Grundschule liegt vor – und schon geht das Gerangel unter den Parteien los, wie diese zu interpretieren sei. Den Anfang machte die CSV mit ihrer neuen bildungspolitischen Sprecherin Tessy Scholtes, die zufällig unmittelbar vor der Veröffentlichung der Reformbilanz im Luxemburger Wort schrieb, sie habe „das Gefühl, durch die Reform (sei) vieles komplizierter, aber nicht unbedingt effizienter geworden“. Und damit statt den sozialistischen Koalitionspartner die Lesart der Lehrergewerkschaften unterstützte.
Die DP zog am Montag nach und forderte ihrerseits, mit dem „Etikettenschwindel“ der Strukturreformen aufzuhören und stattdessen verstärkt den Lehrer in den Mittelpunkt zu rücken. Das Modell, das die Liberalen als Alternative zu den umstrittenen Bilans in der Grundschule präsentierte, entsprach dem, das die Lehrergewerkschaft SNE schon vor Monaten präsentiert hatte.
Beobachtern dürfte klar sein: Es geht bei den Analysen der Parteien in erster Linie darum, sich taktisch von der Schulministerin abzusetzen – und bei den Gewerkschaften zu punkten. Denn, das hat der grüne Abgeordnete Claude Adam richtig erkannt, als er Tessy Scholtes’ jüngsten Schachzug kritisierte: Die Luxemburger Lehrer sind eine wichtige Wählerklientel. So wichtig, dass Adam in seinem Blogbeitrag ebenfalls nur Kritik zur Grundschulreform einfällt. Er teile die Einschätzungen vom „permanent dénivellement vers le bas“, so der Grüne. So klingt sonst die Gewerkschaft Apess.
Was heißt das für die weitere Bildungspolitik? Die geplante Reform der Sekundarschule sollte ja auf der in der Grundschule aufbauen. Es ist bezeichnend, dass noch immer kein parteienübergreifender Konsens darüber besteht, wie und vor allem was Luxemburgs Schulen unterrichten sollen, um unsere Kinder besser auf eine Welt vorzubereiten, in der Informationstechnologien selbstverständlich sind und Flexibilität, Innovation und eine hohe Ausbildung gefragt sind wie nie zuvor. Auch die Frage, was der rasante Bevölkerungswandel der vergangenen 30 Jahre für den Sprachenunterricht bedeutet, harrt noch immer einer – oder mehrerer – Antworten.
Wenn mehr als 40 Prozent der Mädchen und Jungen in diesem Land zuhause kein Luxemburgisch sprechen, dann kann die Politik das nicht ignorieren, ohne zu riskieren, dass der Kitt, der die Luxemburger Gesellschaft noch zusammenhält, immer bröckeliger wird, und große Teile der Bevölkerung zunehmend abgehängt werden. Déi Lénk haben recht, wenn sie sagen, die Debatte über die Zukunft der Schule sei nicht von der über die Gesellschaft zu trennen. Diese darf nicht einseitig von Lehrern oder Eltern, von Gewerkschaften oder Arbeitgebern bestimmt werden, und ihre zentralen Fragen dürfen auch nicht den großen Parteien allein überlassen bleiben.
Nötig ist ein bildungspolitischer Konsens, der von allen Akteuren getragen wird. Und der nicht jedes Mal, wenn Wahlen näher rücken, einer opportunistischen Logik geopfert wird. Andere Länder haben dies erkannt. In Nordrhein-Westfalen beendeten die vier Volksparteien einen jahrzehntelangen, mit viel Polemik geführten ideologischen Streit, als sie 2011 einen schulpolitischen Konsens unterschrieben, der die Grundzüge eines Bildungssystems für die nächsten zwölf Jahre festlegt. Das ist eine Zeitspanne, in der Konzepte und Reformen realistisch umgesetzt werden können.
Ausgerechnet in Luxemburg, das sich sonst so gerne ob seiner angeblichen Kompromisskultur selbst lobt, ist man von dieser Einsicht noch weit entfernt. Dafür bezahlen als allererstes die Kinder. Und später das ganze Land.