In weniger als zehn Jahren schon soll alles gut sein: Bis 2015 soll die Qualität des Trinkwassers „nachhaltig“ abgesichert sein, sämtliche Wasserläufe sollen sich bis dahin in einem „guten ökologischen Zustand“ befinden: das heißt, sämtliche Oberflächengewässer wie Seen, Flüsse und Bäche, aber auch alle Grundwasserläufe. So schreibt es die im Jahr 2000 von der EU verabschiedeteWasser-Rahmenrichtlinie vor. Sie setzt für den „guten ökologischenZustand“ messbare Kriterien über die chemische und die biologische Beschaffenheit der Wasserläufe selbst, aber auch der mit ihnen verbundenen Ökosysteme. Weil die Wasserführung „naturnah“ ausgelegt werden soll, werden Flussläufe, sofern sie nicht für andere Hauptzwecke wie etwa die Binnenschifffahrt „stark verändert“ wurden, umgebaut – renaturiert – werden müssen.
Generell soll, so will es das EU-Recht seit Ablauf der Umsetzungsfrist der Wasser-Rahmenrichtlinie im Jahr 2003, spätestens ab 2010 die gesamte Wasserwirtschaft nach dem Kostendeckungsprinzip funktionieren. Wasser wird von der Richtlinie zum knappen Gut erklärt, dessen Gestehungskosten von den Wasserpreisen zu erfassen sind. Nur noch in Einzelfällen, die der EU-Kommission zu melden sind, sollen öffentliche Subventionen der Wasserwirtschaft möglich sein.
Nachdem vor drei Wochen ein Seminar zur Wasserpreisbildung stattfand und am Dienstagnachmittag die DP-Fraktion der Chamber die Regierung zu ihrer Wasserpolitik befragte, nimmt die öffentliche Diskussion des Themas hier zu Lande allmählich Gestalt an. Bis zum Beginn der Sommerferien will der für Wasserpolitik zuständige Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) den Entwurf für ein Wasser-Rahmengesetz vorlegen. Ein umfangreiches Werk, denn es soll nicht nur endlich die EU-Richtlinie umsetzen – Luxemburg wurde für seine Säumigkeit bereits verwarnt –, es soll sämtliche darüber hinaus noch offenen Fragen bis hin zum Hochwasserschutzklären. Hauptsächlich interessant aber wird die Beantwortungder Fragen sein, wer für welche Aspekte des Wasserschutzes künftig zuständig sein wird; wie ein Wasserpreis beschaffen sein wird, der „kostenwahr“ ist; und welche Vorkehrungen getroffen werden, damit die Wasserversorgung in Luxemburg in öffentlicher Hand bleibt. Letzteres ist bislang erklärtes Regierungsziel, und am Dienstag wandte der Innenminister sich erneut gegen eine„Liberalisierung“ der Wasserversorgung nach dem Vorbild von Strom- und Gaswirtschaft oder dem Güterverkehr auf Straße und Schiene.
Ökologische Gründe für ein wasserpolitisches Umsteuern gibt es viele. Laut dem vom Wasserwirtschaftsamt im Innenministerium geführten Qualitätsinventar befindet sich ein Drittel der Oberflächenwasserläufe „at risk“. Die Risikoliste umfasst nicht nur die Mosel, deren Fischbestände chemisch derart belastet sind, dass das Gesundheitsministerium vom Verzehr abrät. Auch die Alzette ist noch überwiegend rot und orange markiert. Die Niedersauergenügt ab Ettelbrück seit vielen Jahren schon den Badegewässer-Qualitätsanforderungen nicht mehr, und ein für touristische Nutzung an sich interessantes Gewässer wie der Echternacher See gilt durch starke Algenbildung aufgrund hoherPhosphateinträge aus Landwirtschaft und häuslichen Abwässern nach wie vor als „sehr stark belastet“. Der Stausee Obersauer – Lieferant eines Drittels des jährlich verbrauchten Trinkwassers – liegt hart am Limit eines zu starken Algenwachstums.
Darüber hinaus zeichnet sich ab, dass Luxemburg – wie manche Regionen der Nachbarländer auch – hydrologisch dem Klimawandel unterliegt: In den letzten drei Jahren hat es so wenig geregnet, dass die Grundwasserzufuhr über den Luxemburger Sandstein nach unten weist und das Wasserwirtschaftsamt für den kommenden Sommer eine Trinkwasserknappheit an den im Sandstein gelegenen Quellen nicht ausschließt: Zwei Drittel der Jahres-Trinkwassermengekommen von dort.
Verschärft wird dieses Problem allerdings dadurch, dass beim Quellenschutz ein jahrelanger laisser-faire waltete: 1993 trat ein Wasserschutzgesetz in Kraft, das mit Ausnahme einer „Kostenwahrheit“, wie die EU-Richtlinie sie nun vorschreibt, schon wichtige Voraussetzungen zum Trinkwasserschutz schuf. Allerdingsentzog es den Gemeinden die Zuständigkeit, Trinkwasserschutzgebiete um Quellen auszuweisen. Der Bericht des zuständigen Parlamentsauschusses hatte damals festgehalten, dass von 68 Gemeinden, auf deren Territorium sich Trinkwasserquellenbefanden, nur zwei durch Gemeinderatsbeschluss eine solche Quellenschutzverordnung erließen. Für „mehr Dynamik“ sollte künftig der Staat sorgen. Doch die zeichnet sich erst seit der Einrichtung des Wasserwirtschaftsamts vor 22 Monaten ab: Seit letztem Jahr existiert ein Überwachungsnetz für Oberflächen- und Grundwasser, und das neue Wassergesetz soll um Bewirtschaftungspläne für sämtliche Quellen ergänzt werden. Seit 1993 aber wurde noch kein Quellenschutzgebiet eingerichtet; zwischen 2001 und 2004 mussten stattdessen 27 Quellen wegen baulicher und sanitärer Mängel geschlossen werden. Die betreffenden Gemeinden waren nicht zu Investitionen bereit und zogen es vor, die Trinkwasserversorgung ihrer Bürger aus dem Stausee abdecken zu lassen.
Eine Kernfrage der neuen Wassergesetzgebung wird daher die sein, welche Rolle die Gemeinden, Gemeindesyndikate und der Staat künftig bei der Trinkwasserversorgung und der Abwasserbehandlung spielen sollen. Noch liegen die Zuständigkeiten dafür bei den Gemeinden, wurden zum Teil in Syndikaten regruppiert. Der Staat ist bislang die überwachende und strategiebildende Instanz. Alle Äußerungen des Innenministers zu dieser Frage waren bis jetzt so zu verstehen, als sollten einige wenige und starke Syndikate unter Beteiligung des Staates diese Aufgaben übernehmen. Dem Wirtschafts- und Sozialrat geht dieses Szenario nicht weit genug. In einem vor zwei Wochen erstellten Gutachten über die Wasserwirtschaft plädiert er für eine „gestion centralisée du cycle d’eau sous la responsabilité de l’État“, die alle Dienste von Gemeinden und Syndikaten integriert.
Für die Bestimmung der neuen Wasserpreise ist dieses Thema von einiger Bedeutung. Die EU-Wasser-Rahmenrichtlinie schreibt Kostendeckung ab 2010 vor. Nach Schätzungen des Wasserwirtschaftsamts dürften sich die Trinkwasserpreise dann von derzeit im landesweiten Schnitt 1,70 Euro auf 2,20 Euro pro Kubikmeter einpendeln. Die Klärung der Abwässer dagegen ist zurzeit noch hoch subventioniert: im Schnitt zu 75 Prozent. Zwar lässt die Rahmenrichtlinie Subventionsspielraum, der sich etwa zum Bau von Kläranlagen nutzen ließe. Doch insbesondere im Alzettetal mit seinen Kläranlagen aus den Siebzigerjahren wird mit einem erheblichen Finanzierungsbedarfzu rechnen sein.
Insgesamt, so schätzt das Innenministerium, wird die Erreichung des „guten ökologischen Zustands“ der Wasserläufe mittelfristig eine Milliarde Euro kosten, davon der Kläranlagen- und Kanalisationsneubau über 850 Millionen und schon in den nächsten Jahren 500 Millionen.
Eine spannende Frage, die der Gesetzentwurf beantworten muss, ist daher die, wie sich regional erheblich unterschiedliche Abwasserpreise vermeiden lassen. Denn eigentlich soll ein Preissystem gefunden werden, das zum einen dem so genanntenVerursacherprinzip gerecht wird, das diejenigen sanktioniert, die Schadstoffe in die Wasserläufe einbringen. Zum anderen stellt sich die ökologisch nicht unwichtige Frage, inwiefern die neuen Wasserpreise sowohl soziale Härten vermeiden, als auch, inwiefern sie eine „pädagogische“ Komponente enthalten und die Wasserverschwendung eindämmen sollen – immerhin gehört Luxemburg mit einem Pro-Kopf-Wasserverbrauch von 170 Litern täglich zu den Spitzenreitern der EU, und nur der geringste Teil davon wird zum Trinken genutzt.
An der Finanzfrage aber wird sich jedoch ebenfalls entscheiden, wie lange politischer Widerstand gegen eine Liberalisierung der Wasserversorgung Bestand haben kann. Zwar hält die Wasser-Rahmenrichtlinie in ihren Erwägungsgründen gleich zu Beginn fest, dass Wasser „kein Handelsgut“ sei. Verschiedene Überlegungen der EU-Kommission und die im Jahr 2003 veröffentlichten Strategien für den Binnenmarkt: Prioritäten2003-2006 aber zeigen, dass die Kommission dazu neigt, die Wasserversorgung als automatisch den Binnenmarktregeln des EG-Vertrags unterworfen anzusehen. In den größten Mitgliedstaaten ist sie ohnehin weitgehend privatisiert. Und auch zur Tätigkeit von Gemeindesyndikaten im Wasserbereich hat die Komission sich bereits geäußert: Sie unterlägen den Binnenmarktregeln schon deshalb, da die Syndikate ihre Dienstleistungen nicht nur den Bürgern einer einzelnen Gemeinde anbieten.
Dem Vernehmen nach will das Innenministerium weder Gemeinden noch Syndikaten ein Outsourcing ihrer Wasserdienstleistungen untersagen. Das Tätigwerden von Privatanbietern würde damit prinzipiell ermöglicht. Aber vielleicht ist ein längerfristig noch größerer Unsicherheitsfaktor der Staat selbst mit seinenFinanzierungsmöglichkeiten: Noch vermag der Wasserschutzfonds die gesetzlich beschlossenen Investitionen zu decken. Doch wenn in den kommenden Jahren eine halbe Milliarde Euro gebraucht wird, stellt sich die Frage „Woher nehmen?“ Bisher soll die Dotation des Fonds nur um 15 Millionen Euro jährlich wachsen, und am Dienstag schloss Minister Halsdorf Public-private partnerships zum Kläranlagenbau nicht aus. Bleibt abzuwarten, wer die Partnerdes Staates sein könnten.