Kino

Feuer und Wasser

d'Lëtzebuerger Land du 01.11.2019

Ende des 18. Jahrhunderts erhält die Pariser Malerin Marianne (Noémie Merlant) von einer verwitweten Gräfin (Valeria Golino) den Auftrag, das Hochzeitsporträt ihrer Tochter Héloïse (Adèle Haenel) anzufertigen. Das Bild soll die Heirat mit einem Adeligen in die Wege leiten, doch bald entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine tiefe Verbundenheit und eine leidenschaftliche Liebe, die allerdings von den sozialen Konventionen der Zeit überlagert ist ...

Unter dem Schlagwort „male gaze“ ist in der Filmwissenschaft immer wieder diskutiert worden, inwieweit männliche Blicke und männliches Begehren die Filmgeschichte geprägt haben. Wenn man Laura Mulveys einflussreichem und kontroversem Aufsatz (auf den der Begriff zurückgeht) beipflichten will, dann kommt man zum Schluss, dass zumindest der klassische Hollywood-Film keine Möglichkeit einer weiblichen Subjektivität zulässt1. Céline Sciamma, die nach ihren drei Coming-of-Age-Dramen Water Lilies, Tomboy und Bande de filles den Fragen von Gender und weiblicher Identität nachging, greift mit Portrait de la jeune fille en feu diese Diskussion auf und spielt nahezu unterwandernd mit der Frage des Blicks. Gewichtig erscheint mitunter auch das Moment, dass der Kamerablick in der Filmgeschichte – da sie überwiegend von männlichen Filmemachern geschrieben wird – auch ein männlicher ist. Sciammas Film, der in Cannes mit der Queer Palm und dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde, versucht diesen Blick in doppelter Hinsicht außer Kraft zu setzen: Zum einen, da Männer in diesem Film weitgehend abwesend oder nur in kurzen Auftritten zu sehen sind, zum anderen weil Sciamma die Konstellation „aktiver Beobachter – passive Beobachtete“ aufhebt. Die Porträtierte und die Porträtierende schauen sich unentwegt gegenseitig an. Das dominante Stilmittel ist dann auch – kaum – das Schuss-Gegenschuss-Verfahren, bei dem die Blickanschlüsse und so die Kohäsion im filmischen Raum, aber auch die zwischen beiden Heldinnen, gestiftet wird. In diesen Szenen finden Kamerablick und weibliches Begehren zueinander.

Über die Themenkreise Kunst-Liebe-Leidenschaft, verdichtet zu einer ebenso umherschweifenden wie intensiven Suche nach Lebenssinn und Emanzipation, will Sciamma zwei Frauenfiguren zeigen, die die sozialen Rollenbilder ihrer Zeit negieren. Dafür nimmt sie sich in der ersten Filmhälfte besonders viel Zeit, diese entflammende Liebe zu begleiten. Weibliches Begehren manifestiert sich bei Sciamma erst zaghaft, dann bricht es sich offen Bahn. So überwiegen in den Innenraum-Szenen statische Aufnahmen, gleichsam als Verweis auf die Starrheit der Konventionen, wohingegen in Außenaufnahmen eine mitunter entfesselte Kamera dem Gefühlsrausch der Heldinnen Ausdruck verleiht. Mit der Küstenlandschaft der Halbinsel Quiberon in der Bretagne, die als Drehort für den Film diente, hat Sciamma den passenden Ort für diese Liebesgeschichte gefunden und zitiert in langen, meist stillen Einstellungen die gängigen Pathosformeln der Malerei des 18. Jahrhunderts, sodass ihre Bilder beinahe selbst wie Gemälde anmuten. Neben dem Element des Wassers ist auch – und der Filmtitel zielt in diese Richtung – das Feuer von Bedeutung. Sciamma zitiert nahezu leitmotivisch beide Elemente, die nicht zusammen sein können. So gesehen, verhandelt die Filmemacherin über diese metaphorische Ebene die Unmöglichkeit einer homosexuellen Beziehung durch die Gesellschaftsnormen der Zeit.

Bei allen feministischen Lesarten, zu denen dieser Film Anreiz gibt, soll nicht vergessen werden, dass er auch den Akt künstlerischen Schaffens thematisch mitführt. Unter der Prämisse, was Kunst kann und was ein Abbild vermag, erinnert Portrait de la jeune fille en feu an einen anderen französischen Film: La Belle Noiseuse (Jacques Rivette, 1991). Selten hat ein Film den künstlerischen Schaffens-
prozess so klug und so ergreifend befragt. Unter diesem Aspekt überträgt sich der provokative, erotische und beklemmende Ton von La Belle Noiseuse auf Portrait de la jeune fille en feu – ohne die Handschrift Sciammas anzutasten, freilich aber auch ohne diesen zu erreichen.

1 Vgl. Mulvey, Laura: Visual pleasure and narrative cinema. In: Screen 16,3, 1975, S. 6-18.

Marc Trappendreher
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