„Natürlich ist bei uns sofort der Alarm losgegangen.“ Nora Back ist förmlich: „Wir wollen para-staatlich bleiben. Wir werden sehr genau hingucken, wenn die neue Regierung das ASFT-Gesetz unter die Lupe nimmt“, warnt die Zentralsekretärin des Syndikats Gesundheit und Sozialwesen des OGBL. Im sozialen Sektor hätten viele Beschäftigte „die Schnauze voll“, so Back weiter. Die Stimmung sei angespannt.
Marc Pletsch von der Apeg, dem Berufsverband der Sozialpädagogen und Éducateurs gradués, hätte es wohl nicht so wortgewaltig ausgedrückt, aber dass bei der Sozialarbeit vieles im Argen liegt, stellt auch der Präsident der Apeg fest. Ende Januar hatte seine Organisation, gemeinsam mit dem Luxemburger Berufsverband für Soziale Arbeit LBSA, dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer Mars Di Bartolomeo eine Petition mit dem Titel Solidarität mit der Erziehung. Jetzt oder nie! übergeben. Ziel: ein Grundrecht auf eine hochwertige pädagogische Betreuung, wirksame Qualitätskriterien für den sozialen Sektor und vor allem bessere Arbeitsbedingungen. 11 365 Unterstützer unterschrieben innerhalb von drei Monaten bei www.ennerschreiwen.lu oder auf Listen, die Ehrenamtliche auf Wochen- und Weihnachtsmärkten ausliegen hatten, das sind mehr als es Erzieher im Land gibt. Ihre Zahl wird, vorsichtig, auf rund 8 000 Frauen und Männer geschätzt.
Insgesamt umfasst der soziale Sektor aber mehr Beschäftigte. Schätzungen zufolge sind es rund 22 000 Frauen (vor allem) und Männer, die als ausgebildete Erzieher und Sozialpädagogen im Kindergarten und in der Schule, als Sozialarbeiter mit arbeitslosen oder schwierigen Jugendlichen, als Betreuer von älteren Menschen, als Familienberater oder aber als Unterstützer in Behindertenstätten arbeiten. Die Einrichtungen leiten und Konzepte schreiben. Nicht zu vergessen, die vielen Hilfserzieher, die mit 100-Stunden-Crashkursen oft eine ähnliche Betreuungsarbeit verrichten (müssen) wie ihre besser ausgebildeten Kollegen.
So vielfältig die Einsatzfelder sind, so ähnlich sind oft die Arbeitsbedingungen. Dass mit dem Boom der Betreuungsplätze, deren Zahl sich von 2004 bis 2012 auf rund 43 000 verfünffacht hat, und der starken Nachfrage nach flexiblen Betreuungsangeboten sich sukzessive die Arbeitskonditionen des Erziehungspersonals verschlechtert haben, ist nicht neu: Teilzeitarbeit, einige gar nur mit 16-Stunden-Wochen oder befristeten Verträgen, dazu zu Niedriglöhnen haben Stress und Unzufriedenheit in der Branche wachsen lassen. Der vorigen Regierung, und da vor allem Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV), war es wichtiger, schnell Betreuungsangebote aus dem Boden zu stampfen, als von Anfang an Vorkehrungen zu treffen, die eine gewisse pädagogische Qualität gewährleisten.
Vor dieser Entwicklung warnten Gewerkschaften wie der OGBL und Berufsverbände seit Jahren. Trotzdem ist der Zeitpunkt der Unterschriftenaktion insofern bemerkenswert, als erst im vergangenen Jahr, noch unter Schwarz-Rot, ein Umdenken eingesetzt hatte. Die Qualität in der Kinderbetreuung sollte durch neue Regeln verbessert werden, insbesondere die Kleinstkinder besser geschützt werden. Eine entsprechende Verordnung wurde im Sommer verabschiedet. Sie sieht beispielsweise mehr Quadratmeter und eine bessere Betreuung für die Kleinstkinder in Tagesstätten vor. Allerdings ist unklar, für wen die neue Regelung gilt: ob nur für neue Einrichtungen oder auch für bestehende.
Die Bemühungen erkennt Marc Pletsch an: „Die politisch Verantwortlichen sind endlich aufgewacht, es kommt Bewegung in die Sache.“ An der Forderung, Regierung, Arbeitgeber und Arbeitnehmer um einen Tisch zu setzen, um über die Zukunft der Branchezu beraten, hält er fest. Denn in einer weiteren Angelegenheit, die den Berufsvertretungen sehr am Herzen liegt – die Gehälter –, herrscht seit Jahren Stillstand. Seitdem es den Erzieherberuf in Luxemburg gibt, fordern Éducateurs gradués nun schon, dass ihre, aufs Première-Examen aufbauende dreijährige Ausbildung ganz angerechnet werde. Ihnen geht es ähnlich wie dem spezialisierten Krankenpflegepersonal und den diplomierten Erziehern, deren Ausbildungszeit beim Gehalt ebenfalls nicht ganz berücksichtigt wird. Auch wenn beide Berufsgruppen bei der Apeg kaum Erwähnung finden.
Als dann die Grundschullehrer von der CSV-LSAP-Regierung, quasi um ihnen die umstrittene Reform der Grundschule zu versüßen, vor rund vier Jahren ihre drei Jahre Studienzeit anerkannt bekamen und dadurch mehr Lohn erhielten, war der Frust bei den Erziehern und Sozialpädagogen riesig: Schließlich kämpfen sie ebenso lange darum, ihre Ausbildungszeit ganz angerechnet zu bekommen.
Wobei kämpfen ein großes Wort ist. Bisher ist die Apeg eher durch kleinere symbolische Aktionen aufgefallen. „Wir sind eine Berufsverband und arbeiten ehrenamtlich“, versucht Pletsch eine Erklärung. Der Arbeitskampf sei „Aufgabe der Gewerkschaften“, findet er. Obwohl er und auch Nora Back vom OGBL beteuern, die Stimmung in der Branche sei so schlecht wie lange nicht: Bisher war sie offenbar nicht mies genug, um die tausenden Sozialarbeiter auf die Straße zu treiben.
Das liege daran, sagen Apeg und die Gewerkschaften einvernehmlich, dass viele Beschäftigte aus Belgien, Deutschland und Frankreich über die Grenze nach Luxemburg kommen und in verschiedensten Tätigkeitsfeldern arbeiten. „Vor allem kleinere Maisons relais im privaten Sektor haben keine Personalvertretungen“, unterstreicht Back.
Ebenso plausibel ist noch eine andere Erklärung: Für viele Beschäftigte ist das Gehalt, das je nach Ausbildung zwischen 2 300 Euro und über 3 500 Euro netto monatlich betragen kann, recht ordentlich und viel mehr als sie in ihrem Heimatland verdienen würden. Für 87 Prozent des Sozialsektors gilt der SAS-Kollektivvertrag, das ist Spitze auf dem Luxemburger Arbeitsmarkt. Erst im Herbst hatten Arbeitgeber und Gewerkschaften eine neue Vereinbarung unterschrieben, die rückwirkend für 2013 und 2012 eine 1,5-prozentige Prämie bringen soll. Eine Prämie, die die Gewerkschaften gerne als Punktwert fest in der Lohntabelle verankert gesehen hätten, was die Arbeitgeber aber ablehnten. Dass der Abschluss von den Gewerkschaften nicht an die große Glocke gehängt wird, hat damit zu tun, dass er noch nicht gültig ist: Da die meisten sozialen Träger via staatliche Konventionen finanziert werden, ist es am Staat das Geld für die neue Lohnrunde bereitzustellen – die Regierung hat das Abkommen aber noch nicht unterzeichnet.
Eine reine Formsache, sagen die Gewerkschaften. Aber so ganz trauen sie dem momentanen Frieden nicht. Dafür ist vieles zu unklar. Die Sozialpartner rätseln, wohin die Dreierkoalition in der Sozialpolitik konkret steuern will. Dass sie die Konventionen und das ASFT-Branchengesetz überprüfen will, steht im Regierungsprogramm geradeso wie, dass die Finanzierung der Kinderbetreuung über die Chèques service überdacht werden soll. Sollte die Kinderbetreuung eines Tages tatsächlich gratis sein, übernimmt dann der Staat die volle Finanzierung? Was bedeutet das für die Beschäftigten? Und wie passt das zum Versprechen, 1,5 Milliarden Euro Staatsschuld abbauen zu wollen? „Die Signale sind widersprüchlich, wir müssen abwarten, was der neue Minister sagt“, sagt Yves Oestreicher. von der Entente des foyers de jour. Er hat eine Unterredung bei Claude Meisch angefragt und wartet auf eine Antwort, ebenso wie die OGBL-Sektion für Gesundheit und Soziales. Der SEW hat seinen Antrittsbesuch beim zuständigen Minister schon hinter sich. Aber das OGBL-Syndikat Erziehung und Wissenschaft vertritt hauptsächlich Lehrer, entsprechend lagen die Schwerpunkte des Treffens auf schulpolitischen Fragen (d’Land vom 24.1.). Für Erzieher, die bei einer Gemeinde angestellt sind, ist das Syndikat öffentlicher Dienst zuständig.
Die Fragmentierung des Sozialsektors, die diversen Ausbildungswege und Berufsprofile spiegeln sich in gewisser Weise in der gewerkschaftlichen Vertretung wider. Was historisch so gewachsen ist, macht heute immer weniger Sinn – und erschwert die wirksame Bündelung der Kräfte. „Der Bereich Gesundheit vertritt auch das Sozialwesen. Alle Sektionen stimmen sich untereinander ab“, betont Gewerkschafterin Nora Back. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eine Aufspaltung zwischen Erziehern in der Schule und anderen im Sozialwesen Beschäftigten gibt und es für Außenstehende schwierig ist, zu erkennen, wo die Gewerkschaften die Interessen des Sozialsektors vertreten, zumal auf der OGBL-Webseite allgemeine Stellungnahmen zur Sozialpolitik sowie zur Gesundheit und zu den Gesundheitsberufen klar überwiegen.
Trotz der wachsenden Bedeutung des Sozialsektors als Arbeitsmarkt und boomender Dienstleistungsbereich gibt es bis heute keine geschützte Berufsbezeichnung für Sozialpädagogen und Erzieher. 2012 ließen sich die Assistants sociaux mit Unterstützung des damaligen Gesundheitsministers Mars Di Bartolomeo schnell noch ihre neue Ausbildung gesetzlich absichern. Die Alternative wäre gewesen, sich mit anderen Sozialberufen an einen Tisch zu setzen und einen Rahmen für sämtliche sozialarbeiterischen Berufe inklusive Berufskodex aufzustellen. Entsprechende Bestrebungen gibt es an der Universität Luxemburg, bisher konnte sich die Idee aber nicht durchsetzen.
Ausgerechnet die neue Regierung hat angekündigt, diesen Weg prüfen zu wollen. Vielleicht wird das Ansporn für die Beschäftigten sein, sich zusammenzusetzen und gemeinsam die Zukunft ihrer Branche zu planen. Am 20. März lädt der OGBL alle im Sozialwesen beschäftigten Mitglieder zu einer Sitzung ein. „Dort wird das Thema auf der Tagesordnung stehen“, bekräftigt Nora Back. Auch die Ances, die Uni-nahe Vereinigung der Sozialpädagogen, will sich demnächst mit ihren Mitgliedern treffen. Vielleicht stehen Sozialpädagogen, Erzieher und Sozialarbeiter dann Seite an Seite und die Aufwertung der Sozialarbeit bekommt so eine reelle Chance