Spott für Liberale und Grüne, Streicheleinheiten für die Sozialisten: Die programmatischen Unterschiede zwischen DP und CSV seien aber nicht so groß wie die zwischen KPL und CSV, stichelte CSV-Präsident François Biltgen am Dienstag. Zuvor hatte DP-Chef Claude Meisch erklärt, dieser Differenzen wegen bleibe die DP lieber in der Opposition. Den Grünen warf Biltgen vor, angesichts der Krise vor einer Koalitionsperspektive zu kneifen.
Dagegen sprach er nach der Sitzung des CSV-Nationalrats am Dienstagabend so oft die Worte „Respekt“ und „den Koalitionspartner nicht an die Wand drücken“ in die Reportermikrofone, dass noch der Letzte glauben musste, am Wahlabend, als Jean-Claude Juncker in der Elefanteronn von RTL minutenlang die Contenance verlor und gegen eine rot-blau-grüne Euthanasie-Koalition kämpfen zu müssen glaubte, sei keinesfalls die LSAP gemeint gewesen.
Aber schon seit Montagmorgen gilt bei der CSV, die nach den Wahlen geschwächten Sozialisten ganz zart anzufassen. Einerseits, weil Juncker möglichst schnell eine neue Regierung bilden will. Die Koalitionsgespräche sollen am besten noch vor den Sommerferien beendet sein und das neue Parlament schnellstmöglich jene Gesetzesänderungen verabschieden, die die Tripartite vor zehn Tagen auf ihrem „Beschäftigungsgipfel“ beschloss und die vor allem helfen sollen, Schulabgänger in Lohn und Brot zu bringen, wenn sie im September auf Jobsuche gehen. Scharmützel über veränderte parlamentarische Kräfteverhältnisse würden dieses enge Timing nur stören.
Zum anderen aber ruft die Vorstellung, die LSAP könnte nicht für eine Koalition zur Verfügung stehen, bei der CSV viel Unbehagen hervor. Bereits 2004 sprachen für die Christlich-Sozialen strategisch gewichtige Argumente gegen eine Fortsetzung des Regierungsbündnisses mit der DP. Da das schwarz-blaue Kabinett kräftige Steuersenkungen beschlossen hatte, kurz bevor die New Economy kollabierte, schien es nun so, als komme eine Sanierung der Staatsfinanzen, die sich immer mehr der nach den Maastricht-Kriterien gerade noch erlaubten Defizitgrenze näherten, kaum vorbei an sozialen Einschnitten. Zudem hatte die europäische Lissabon-Agenda zum Konkurrenzkampf um das wettbewerbsfähigste Sozialsystem gerufen. Solchen Herausforderungen stellte sich die CSV lieber mit der LSAP als Partner, der überdies dem OGB-L den Ernst der Lage erklären könnte.
In der gegenwärtigen Rezession, in der die Wirtschaft in diesem Jahr wahrscheinlich um vier Prozent schrumpft, nächstes Jahr vielleicht stagniert, die Arbeitslosigkeit wächst und die Staatsfinanzen 2010 aus dem Maastricht-Korridor zu rutschen drohen, wäre eine LSAP-OGB-L-Opposition für die CSV politisch ungleich riskanter als 2004. Deshalb waren die Sozialisten für die CSV selten so wertvoll wie heute, und viele CSV-Spitzenleute erweckten am Sonntagabend den Eindruck, sich über ihren Wahlsieg gar nicht richtig freuen zu können, weil sie alles andere als sicher waren, ob die LSAP nicht dabei war, zu sehr geschwächt und man selber zu sehr gestärkt zu werden.
Schon Anfang vergangener Woche brach unter den CSV-Strategen ziemliche Unruhe aus, weil das Gerücht die Runde machte, die LSAP-Spitze erwäge ernsthaft den Gang in die Opposition, falls die Partei am 7. Juni ein Parlamentsmandat verlieren sollte. Diese Entscheidung war zwar so klar nicht gefallen. Vor allem mit Spitzenkandidat Jean Asselborn nicht, der am Donnerstag vor den Wahlen der CSV in einem ganzseitigen Interview im Luxemburger Wort ein ausführliches Plädoyer für Schwarz-Rot lieferte und meinte, „dass die CSV immer dann ordentliche Regierungsarbeit leistet, wenn wir Sozialisten ihr zur Seite stehen“, und dass „die LSAP als Regierungspartei dafür sorgt, dass der Staat seinem Auftrag als schützende und gerechte Instanz nachkommt“.
Man konnte das als Bekenntnis zu einer nationalen Verantwortung lesen, die über den Parteiinteressen steht. Auf der Grundlage dieser Argumentation stimmte am Montag der erweiterte Nationalvorstand der LSAP auch einstimmig Koalitionsverhandlungen mit der CSV zu – nun, da der worst case des verlorenen Sitzes eingetreten war. Die CSV womöglich gar zur Bildung einer Minderheitsregierung zu zwingen, die sich wechselnde Mehrheiten sucht – das schien, in Krisenzeiten zumal, zu riskant und nach außen kaum vermittelbar. Der Ansicht waren am Ende auch diejenigen, die eine erneute Regierungsbeteiligung eigentlich für einen strategischen Fehler halten und befürchten, die anstehende Politik von Krisenmanagement und Austerität werde den Sozialisten längerfristig viel mehr schaden als der CSV. Und dass die LSAP, die angesichts der erfreulichen Konjunktur der letzten 15 bis 20 Jahre nicht gerade unter Druck stand, die Perspektiven einer Sozialdemokratie für Luxemburg neu zu definieren, dies nur schwer aus der Regierungsposition heraus schaffen könne. Dass obendrein déi Lénk bei den Wahlen einen Abgeordnetensitz errang, sehen manche geradezu als böses Vorzeichen für eine LSAP, die programmatisch ähnlich aufgerieben werden könnte wie die meisten ihrer europäischen Schwesterparteien.
Um solche Bedenken zu entkräften, gilt das von Jean-Claude Juncker selbst erlassene Nettigkeitsgebot gegenüber den Sozialisten nicht nur im Umgang, sondern auch inhaltlich für die anstehenden Koalitionsverhandlungen. Auf keinen Fall will die CSV riskieren, dass ein streitbarer LSAP-Parteitag das Regierungsprogramm ablehnt. Parallel dazu bindet man die LSAP weiter an sich, indem man gezielt die Beziehungen zu DP und Grünen ein wenig belastet: Als Koalitionspartner sind beide für die CSV uninteressant, aber ihre Entwertung kann die LSAP nur im Glauben bestärken, dass an ihr nun mal kein Weg vorbeiführe.
Abzusehen ist freilich, dass die Sozialisten für die nächsten fünf Jahre all jene ihrer gesellschaftspolitischen Reformideen vergessen können, die der CSV zu weit gehen. Dass sie zustimmen wird, im Abtreibungsrecht die geltende Indikationsregelung durch eine Fristenlösung zu ersetzen, wie die LSAP es will, ist unwahrscheinlich.
Das große Entgegenkommen der CSV ist sozialpolitisch zu erwarten, wenngleich es heikle Differenzen in den Wahlprogrammen beider Parteien gibt. Während die LSAP regelmäßige Anpassungen der Steuertabelle an die Inflation versprochen hat, schloss die CSV das für die nächsten drei Jahre unmissverständlich aus. Den Renteneintritt ohne Leistungsabschlag künftig abhängig von 40 Beitragsjahren zu machen, hatten anfangs beide Parteien sich vorgenommen, ehe die sozialistische Basis diesen Passus im Frühjahr wieder aus dem LSAP-Programm heraus stimmte. Und hält die LSAP „an der integralen Wiedereinführung des Indexmechanismus nach 2009 fest“, will die CSV das nur tun, wenn „hohe Inflation und abnehmende Wettbewerbsfähigkeit“ nicht die „Anwendung der Ausnahmebestimmungen der Indexgesetzgebung notwendig“ machen.
Entgegenkommen müssten die CSV und Formateur Juncker den Sozialisten eventuell auch beim Kräfteverhältnis im Kabinett. Dass „wir die neun Leute, die wir in der Regierung haben, auch behalten“ werden, erklärte Juncker bereits in seiner ersten Ansprache an die CSV bei deren Wahlparty in den Kirchberger Messehallen am Sonntagabend. Aber sollte der Formateur die Regierungsmannschaft tatsächlich verkleinern wollen, wie es während des Wahlkampfs hin und wieder kolportiert wurde, würde der Koalitionspartner zwangsläufig geschwächt. Unlogisch wäre es nicht, die Regierung zu verkleinern: Das Juncker-Asselborn-Kabinett war so groß wie keines vor ihm. Die LSAP hat allerdings schon klargestellt, eine Reduzierung ihrer Mandatsträger auf keinen Fall hinzunehmen. Nach den Wahlen vor fünf Jahren habe die CSV auch den Parlamentspräsidenten und die EU-Kommissarin gestellt und sei damals „eigentlich zu gut bedient worden“.
Zu guter Letzt betrifft auch die Vergabe der Ressorts nicht unbedingt Detailfragen, die erst ganz am Ende der Koalitionsverhandlungen beantwortet würden: Dass sie nach zehnjähriger Unterbrechung das Bildungsministerium wieder übernehmen will, ist für die CSV von ebenso strategischer Bedeutung, wie für die LSAP, es zu behalten. Diesem potenziellen Knackpunkt wird nicht so leicht aus dem Weg zu gehen sein wie dem Thema Religions- und Werteunterricht: Dem Vernehmen nach ist schon abgemacht, dass in den Koalitionsgesprächen ganz einfach nicht die Rede davon sein wird. Dadurch erhielte die neue Regierung auch kein Mandat für irgendeine Änderung am Status quo.