Seit Monaten wurde, abseits des Wahltrubels, über die wohl wichtigste Personalie im Jugendhilfebereich spekuliert, jetzt ist es offiziell: Leiter des neuen Office national de l’enfance (ONE) wird Jeff Weitzel, der derzeit noch den Heimträgerdachverband EGCA leitet. Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) tat sich schwer, den Posten zu besetzen. Wohl weil dessen Inhaber riskiert, sich nicht gerade Freunde im Sektor zu machen, hatte sich lange niemand für den Job gemeldet, und auch Weitzel betont, „nie eine Kandidatur“ geschrieben zu haben. Das ONE soll, ähnlich wie das deutsche Jugendamt, die Angebote des Jugendhilfesektors koordinieren und entscheiden, welche Hilfsmaßnahmen in welchen Fällen zu bewilligen sind. Darüber hinaus sieht das noch aus der Feder des Beamten Mill Majerus stammende Gesetz eine sukzessive Umstellung von der Fehlbedarfsfinanzierung auf fallbezogene Leistungspauschalen vor, weshalb der Text erst nach langen Kontroversen die parlamentarische Hürde hatte nehmen können.
Inzwischen kandidiert Mill Majerus für die CSV im Zentrum und sein Nachfolger Nico Meisch arbeitet mit Hochdruck daran, die fehlenden Ausführungsbestimmungen fertig zu stellen. Fünf, aus Beamten des Familienministeriums, Vertretern des Heimsektors und der Uni bestehende Arbeitsgruppen diskutieren derzeit über Finanzen, Diagnostik und Qualität, interne Funktionsweise des ONE, Case Management sowie Prozeduren. Noch liegen nur Entwürfe vor, aber zwei Dinge stehen jetzt schon fest: Der Zeitplan, noch 2009 eine funktionierende Behörde auf die Beine gestellt zu haben, ist nicht realistisch. Insider sprechen nun von einer Probephase und einer Umsetzung bis 2011.
Wichtiger noch: Viel mehr Geld für den Sektor wird es aller Voraussicht nach nicht geben. Im Budget 2009 taucht das ONE nicht auf, und was sich die neue Regierung die Behörde kosten lassen wird, ist noch ungewiss. Mill Majerus betont zwar, in keinem der Wahlprogramme der Parteien Hinweise auf „Sozialabbau“ gefunden zu haben. Doch Budgetminister Luc Frieden (CSV) hatte angesichts der Wirtschaftskrise mehrfach angekündigt, sämtliche Projekte auf ihre Finanzierungsmöglichkeit hin überprüfen zu wollen. Und Jeff Weitzel weist im Gespräch mit dem Land gleich zweimal darauf hin, „mit dem Geld, was da ist“, eine gute Qualität erbringen zu wollen.
Als einen Versuch, eine Kostenschraube zu installieren, an der flexibel gedreht werden kann, lassen sich die Coordinateurs des projets d’interventions (CPI) lesen. Sie sollen Jugendliche in Not und ihre Eltern über Institutionengrenzen hinweg dauerhaft begleiten. Anders als in Deutschland, wo das Jugendamt über eigenes Personal in house verfügt, würden die Fallbetreuer aus den Einrichtungen kommen, wo sie schon beratend tätig sind. „Zwischen 100 bis 150“ sollen in einer probeweise von einem aus zwei bis vier Fachleuten bestehende CPI-Team begleitet werden, so Weitzel, der sich eine „Korrektur“ für den Fall vorstellen kann, das Outsourcing bringe nicht den gewünschten Erfolg. Die Leistung der CPI würde ebenfalls via Pauschale abgerechnet, im Gespräch sind 375 Euro pro Fall monatlich. Auf einer internen Sitzung der EGCA am Donnerstag war von 25 bis 30 Fälle pro Betreuer die Rede. Schwierige Fälle verlangen indes eine hohe diagnostische Kompetenz. Eine Weiterbildung der CPI ist vorgeschrieben, aber reicht das aus, um verlässliche Vordiagnosen beispielsweise für psychiatrische Fälle zu erstellen?
Weitzel ist zwar ausgebildeter Psychologe und hatte als – nicht unumstrittener – Leiter des Kinderheims Kannerschlass seine ersten Sporen verdient, aber das ist rund 20 Jahre her. Umso wichtiger wird der 16-köpfige Oberste Rat, der dem Ministerium in Jugendhilfefragen beratend zur Seite stehen sowie das ONE überwachen soll. Neben Vertretern aus den Ministerien und der Justiz sieht das Gesetz vier aufgrund ihrer „compétence professionnelle dans les domaines psychosocial, socioéducatif, juridique, médical ou de soins“ von der Regierung zu berufende Mitglieder vor. Ein unabhängiger Expertenrat, wie vom Sektor gefordert, sieht anders aus.
Ob die Pläne überhaupt helfen, die überdurchschnittlich hohe Zahl der richterlichen Heimeinweisungen in Luxemburg zu reduzieren und die Institutionenlogik aufzubrechen, wird sich erst zeigen müssen. Zumal neue Interessenskonflikte drohen, wenn Case Manager aus dem Sektor Hilfsmaßnahmen vorschlagen, die sie selbst anbieten. Weitzel beschwichtigt zwar, die CPI-Teams seien dem ONE unterstellt und würden über dessen Budget finanziert. Ganz ausschließen kann er die Konflikte aber nicht. Nicht wenige Heimleiter betrachten die jüngsten Entwicklungen daher sorgenvoll. Mit der Personalie Weitzel habe die Ministerin einen doppelten Coup gelandet, meinen sie: Gerade jetzt, wo der Sektor auf die neue Finanzierungsweise umgestellt werden soll, habe Jacobs einen für seinen pragmatischen Umgang bekannten Technokraten für die Schlüsselposition bei der künftigen Vergabe von Hilfsmaßnahmen gewonnen – und zugleich den Heimträgerverband geschwächt. Andererseits könnte der Führungswechsel die Gelegenheit sein, eine alte Idee endlich umzusetzen. Schon unter Benny Berg als Entente-Präsidenten gab es Bestrebungen, die fünf Dachverbände des Sozialsektors zusammenzuführen oder anzunähern. Im Zuge der Debatte ums Jugendhilfe-Gesetz hatte die EGCA die alte Forderung wieder ausgegraben. Spätestens, wenn die neue Finanzierungsweise auf den gesamten Sektor ausgedehnt wird, brauchen die Anbieter eine starke intakte Interessenvertretung. Ganz egal, was für eine Regierung am Sonntag gewählt wird.