Kennen Sie Boumicht? Wer Schrauben oder Wandfarbe gern in der Batrtinger Niederlassung einer großen deutschen Baumarktkette kauft, muss dorthin: in die Zone d'activité gleich hinter der Abfahrt von der Arloner Autobahn. In eine Landschaft von Flachbauten, die zumeist zu Autohäusern gehören. Aber es gibt noch Platz für mehr. Ein paar Kräne stehen bereit; links neben der Einfahrt zur Aktivitätszone gähnt ein großes Loch. Hier wollte ein Finanzdienstleister ein Bürogebäude für 3 000 Mitarbeiter hochziehen lassen, zog sich aber vor kurzem aus dem Projekt zurück. Für den Bartringer Bürgermeister Paul Geimer (DP) ein Grund mehr, dass in Boumicht "etwas geschehen" muss. Nur zur Hälfte genutzt wird das im Bebauungsplan ausgewiesene Terrain derzeit. Eine zweite Zone d'activité liegt unmittelbar nordwestlich: Hueflach. Flachbauten auch dort, noch bebaubarer Raum ebenfalls. Weiter südlich, in Helfenterbrück, im Umfeld der City Concorde, würde die Gemeinde am liebsten eine dritte Zone d'activité einrichten. Centre urbain Helfent soll sie heißen; mit 345 000 Quadratmetern Bruttonutzfläche würde sie größer als Boumicht und Hueflach mit ihren 293 000 Quadratmetern zusammen. Allerdings ist die Fläche für das Centre urbain im kommunalen Bebauungsplan noch nicht als Gewerbefläche ausgewiesen und genehmigt.
Das Interesse von Gemeinden an Zones d'activité ist verständlich. Zwar führte die ab Anfang der 70-er Jahre gestartete Einrichtung nationaler, regionaler und kommunaler Zonen hauptsächlich in den nationalen Zonen, die unter der Verwaltung des Wirtschaftsministeriums stehen, zur Ansiedlung regelrechter Industriebetriebe. In den anderen Gewerbegebieten hielten Händler Einzug, immer stärker aber werden sie neuerdings für die Errichtung von Bürogebäuden interessant. Der Bürohausmarkt in Luxemburg boomt: Allein Hauptstadt und Randgemeinden brachten es im letzten Jahr auf 1,9 Millionen Quadratmeter Bürofläche, meldete im November 2001 Jones Lang LaSalle in seinem Luxembourg City Report. Während in Luxemburg-Stadt plus Umland die Bürofläche um insgesamt 2,4 Prozent zunahm, war an der Peripherie das Plus mit 16 Prozent fast sieben Mal so groß. Trotzdem, analysierte Jones Lang LaSalle, könnten weitere 175 000 Quadratmeter sofort einen Interessenten finden, wären sie denn vorhanden. Und noch sind die Mietpreise hoch, in Top-Lagen stiegen sie zwischen 2000 und 2001 um 15 Prozent und sind mit jährlich 402 Euro pro Quadratmeter zwar billiger zu haben als in Mailand (489 Euro), aber teurer als in München (387 Euro).
Auch Strassen, Leudelingen und natürlich die Hauptstadt selbst wollen ihre Zones d'activité stärker nutzen oder neue ausweisen. Zwischen 700 000 und eine Million Quadratmeter könnten mit der Erweiterung der Cloche d'or entstehen, in Leudelingen neben der Escher Autobahn 223 000 Quadratmeter, in Strassen um Séiwelescht zwischen Route d'Arlon und A6 rund 100 000 Quadratmeter. Addiert mit den in Bartringen insgesamt denkbaren 638 000 Quadratmetern, könnten im Südwesten der Haupstadt einmal zwischen 1,65 und 1,95 Millionen Quadratmeter Gewerbefläche bebaut sein - rund das Doppelte des heutigen Bestandes der gesamten Haupstadt, inklusive Kirchberg, sowie aller Umlandgemeinden.
Mit Alarmrufen hatte der Mouvement écologique diese Szenarien letzte Woche präsentiert. Versehen mit den Schätzungen, dass bis zum Jahr 2020 durch 23 000 bis 33 000 neue Arbeitsplätze allein auf der Cloche d'Or täglich zwischen 54 000 und 61 000 Autos zusätzlich in den Raum Howald/Gasperich einpendeln würden. Erstellt wurden die Daten in einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Stadt Luxemburg, des Transportministeriums und eines privaten Studienbüros; präsidiert wird die Gruppe von der Straßenbauverwaltung. Zur Verkehrsentlastung könnte eine Straße ab der Landstraße zwischen Leudelingen und Gasperich nach Norden zur Route de Longwy nach Helfenterbrück/Merl verlaufen und als Verlängerung der Rue Nicolas Bové in Merl, die heute nach ein paar hundert Metern in einer Sackgasse neben grünen Wiesen endet, bis zur Arloner Straße in Strassen geführt werden.
"Unfair" sei die Veröffentlichung der Dokumente durch den Méco, findet Bautenministerin Erna Hennicot (CSV). "Das sind Arbeitsdokumente, man wird sich doch noch Gedanken machen, Hypothesen entwickeln und theoretische Straßenverläufe skizzieren können!" Einräumen muss sie allerdings, dass die ihr unterstehende Straßenbauverwaltung den Gemeinden sozusagen bei der Planung von Industriezonen behilflich ist: "Wir haben jahrelang die Feuerwehr gespielt. Industriezonen wurden angelegt, dann uferte der Verkehr aus, und die Gemeinden riefen nach Straßen." Wo das hingeführt hat, könne man an der Cloche d'Or sehen. Künftig will die Straßenbauverwaltung schneller sein. Fragt die Gemeinden, was sie planen, und macht sich im Rahmen der Arbeitsgruppe mobilitéit.lu mit Transportministerium und CFL auch Gedanken über die Anbindung der Industriezonen an den öffentlichen Verkehr. Die in Cessingen und Howald vorgesehenen neuen Bahnhöfe hat Transportminister Henri Grethen schon vor einem Monat vorgestellt (siehe das Konzept mobilitéit.lu), in Leudelingen könnte, geht aus einer vom Méco vorgestellten Karte hervor, nahe der Industriezone ein Bahnhof an der neu zu bauenden Eisenbahnstrecke nach Esch entstehen, und in Bartringen ein zweiter Bahnhof unmittelbar in Höhe von Boumicht.
Es fragt sich zwar, wie "hypothetisch" die Überlegungen der Arbeitsgruppe sind. Die Straße Leudelingen-Cessingen-Strassen zum Beispiel ist jene Umgehungstraße, über die Stadtbürgermeister Paul Helminger vor zwei Wochen mit Cessinger Bürgern diskutierte. Der makroökonomische Ansatz, wonach Verkehrsanbindungen insbesondere dort sinnvoll und rentabel sind, wo Berufspendler werktäglich ein- und ausgehen, ist allerdings nicht neu und Ausdruck davon, wie in Luxemburg der Wirtschaftsentwicklung die Entwicklung von Verkehrswegen hinterherläuft.
Dass anders geplant werden kann, zeigt freilich das Beispiel Belval-Ouest. Im Masterplan zur Neunutzung der Industriebrache - die mit 1,14 Millionen Quadratmetern Bruttonutzfläche erheblich weniger Büroplatz bietet als die Zonen um Bartringen und Cloche d'Or - steht zu lesen, die strikte Trennung von Wohnen, Arbeiten und Erholung sei "autogerechte Stadtplanung des 20. Jahrhunderts", im 21. Jahhrundert müsse es "nachhaltig" zugehen. Funktionen müssten gemischt werden, Quartiers entstehen mit Wohnungen, Gewerben, Schulen, Kindergärten, Restaurants und Kulturstätten. Dadurch ließen sich Wege verkürzen, der Landverbrauch und auch der Verkehr minimieren. Eine solche Bebauung werde "unverwechselbar" (siehe dazu auch unser Dossier Friches industrielles).
Doch während bei der Erschließung der Industriebrachen die Direktion für Landesplanung im Innenministerium federführend und Innenminister Michel Wolter (CSV) selbst stark engagiert ist, wurde sie in die Arbeitsgruppe zum "Zoning" im Südwesten der Hauptstadt nicht gebeten. Muss sie auch nicht: "Das neue Landesplanungsgesetz", sagt Maryse Scholtes, Leiterin der Landesplanungsdirektion, "schreibt nicht vor, dass man uns über alle Planungen informieren muss, sondern kann."
Denn Industriezonen berühren die Gemeindeautonomie, nicht zuletzt, da es um Gewerbesteuereinnahmen geht. Kontroversen zu Autonomiefragen waren auch dem Landesplanungsgetz vorausgegangen, und Innenminister Michel Wolter selbst mochte dem damaligen Minister für Landesplanung Alex Bodry (LSAP) nicht zu viele Kompetenzen einräumen. Seit Herbst letzten Jahres sei man über die Entwicklungen von Bartringen bis zur Cloche d'Or informiert, sagt Maryse Scholtes. Inwiefern eingegriffen wird, ob der Innenminister womöglich von Zwangsmaßnahmen, wie der Verweigerung einer Neuausweisung von Industriezonen oder einer Rückklassierung schon bestätigter durch eine großherzogliche Verordnung Gebrauch machen könnte, sei aber noch nicht entschieden.
Was aber nichts an der Tatsache ändert, dass die Gemeinden die Landesplanung brauchen, soll nicht nach altbewährtem Muster auf immer größeren Flächen eine Gewerbebebauung entstehen, die an amerikanische Vorbilder erinnert. War in Belval noch die Arbed stark an der Projektausarbeitung beteiligt, weil an einer Aufwertung des Geländes interessiert, stehen die Gemeinden allein.
Hinfällig ist mit der CSV-DP-Koalition die Leitlinie, die sich der CSV-LSAP-Regierungsrat am 17. November 1995 gab, wonach prinzipiell die bestehenden Zonen vollständig genutzt und erst dann neue genehmigt werden sollten. Grundlage für die landesplanerische Arbeit ist dennoch das Programme directeur vom Mai 1999, in dem die Gefahr einer gesichtslosen Sub-Urbanisierung durch Industriezonen an den Peripherien der Gemeinden deutlich beschrieben und eine Partnerschaft unter den Gemeinden sowie zwischen Gemeinden und Staat für dringend nötig erklärt wurde; CSV und DP redeten in ihrem Koalitionsprogramm ausdrücklich einer Dezentralisierung das Wort.
Einige Hoffnung der Landesplanungsdirektion ruht auf Hauptstadtbürgemeister Helminger, der sich, so Maryse Scholtes, mit 14 Umlandgemeinden verständigen wolle, damit gemeinsam mit dem Innenministerium ein Regionalplan Zentrum-Süden ausgearbeitet werden kann. Laut Landesplanungsgesetz müssten sich einem solchen Regionalplan auch kommunale Bebauungen unterordnen. Was eventuell erklärt, wieso der Schöffenrat der Hauptstadt noch "unfairer" ist als der Mouvement écologique und unter www.luxembourg-ville.lu nicht nur die auch von den Umweltschützern publizierte Karte mit den geplanten Industriezonen ins Internet stellte, sondern ebenso Daten über Büroflächen und Arbeitskräftezahlen von Cloche d'Or bis Bartringen und Ideenbeispiele, wie von den neu zu schaffenden Bahnhöfen aus Zubringerbusse innerhalb Bartringens, Cessingens und der Zone Cloche d'Or verkehren könnten.
Ob dem Regionalplan auch eine stadtplanerisch interessante Umsetzung folgt, ist eine andere, später zu beantwortende, aber nicht minder wichtige Frage. Wahrscheinlich wird sie jede Gemeinde für sich beantworten müssen. Aber selbst in der Hauptstadt, die landesplanerisch sicher dank des großen Verkehrsaufkommens die Nachbargemeinden mitziehen will, steckt die Ausgestaltung von Zone d'activité noch in den Kinderschuhen. Auf der Cloche d'Or etwa besteht die Mischung urbaner Funktionen bis jetzt allein in der Präsenz eines großen Konditoreigeschäfts neben vielen, vielen Bürogebäuden und Autohäusern.