Philosophie hat in verschiedenen Varianten Hochkonjunktur: Magazine, die Philosophie als „médecine douce“ verkaufen, wie Badiou sich ärgert, erobern in Frankreich und auch hierzulande stapelweise die Kioske. Die Kinder der Nouveaux philosophes, wie Onfray und Precht, spielen in französischen und deutschen Fernsehsendungen die Querdenker. Sloterdijk raunte in Neumünster seine Runen vor ausverkauftem Saal, Paul Kremer ist für RTL der Philosoph in allen Lebenslagen. Mundgerecht abgepackte Geistesblitze von Konfuzius und Schopenhauer müssen als Selbsthilfe-Literatur die kostspieligen Talk therapies ersetzen. Und CSV-Kultusminister François Biltgen beruft sich auf Philosophie als einen Aberglauben unter vielen, um die Trennung von Staat und Kirche für überflüssig zu erklären.
So finden auch die auf triviale Themen wie Kochbücher, Sport und Krimis spezialisierten Anthologien der Walfer Bicherdeeg den Mut, ihre neueste Ausgabe der Freed um Denken. Texter iwwer Philosophie a Philosophesches zu widmen. Sie entstand mit Hilfestellung von Philosophen des Campus Walferdingen, wie der Walferdinger Bürgermeister sich freut.
Sechzehn Philosophielehrer und Schriftsteller, Julie-Suzanne Bausch, Norbert Campagna, Jean-Paul Harpes, Hubert Hausemer, Dietmar H. Heidemann, Frank Hoffmann, André Hoffmann, Lex Jacoby, Sabrina Notka, Jean Portante, Nadia Primc, Paul Rauchs, Lukas K. Sosoe, Robert Theis, Jean-Luc Thill und Cyril Welch, sinnieren über die Philosophie, aber auch die Sprache, die Identität, den Fremdenhass, den Multikulturalismus und selbst den Wein. Raymond Clement hat das Buch mit besinnlichen Fotos über die Natur und den Menschen illustriert, wie sie laut Kurzbiografie auch Rathäuser und Hotels verschönern.
Viele Texte sind von einem schulischen Zugang zur Philosophie geprägt, philosophieren über die Philosophie und berufen sich auf die Klassiker des Fachs. Lebende Philosophen, die etwas zur Gegenwart zu sagen haben, werden kaum als Zeugen aufgerufen. Abwesend ist auch die Philosophiegeschichte eines Landes, das so winzig ist, dass der bekannteste seiner unbekannten Philosophen Solipsist war. Doch am meisten vermisst man wohl die Schönheit eines aus der Reihe tanzenden Gedanken. Für Radikales scheint bis heute der Geheimdienst zuständig, wie dessen Ex-Direktor Charles Hoffmann am Dienstag vor dem Parlament erklärte. Entsprechend wurde auch ein Beitrag des sich peinlicherweise im Alter zunehmend mit Heidegger identifizierenden Paul Kremer abgelehnt.
Jean-Paul Harpes, Mitglied des von der Regierung berufenen Nationalen Ethikrats, beschreibt den Geist der Anthologie vielleicht am besten, wenn er die ganze abendländische Philosophiegeschichte nicht als Freed um Denken, sondern als Angst vor einem Fehltritt zwischen kritischer Distanzierung und dem Abdriften in den Dogmatismus zusammenfasst. So ähnlich lobte Sozialminister Mars Di Bartolomeo vor einem Monat seine Rentenreform, und Jean-Claude Juncker ist deshalb sogar Ehrenpräsident der für Philosophie zuständigen Sektion des Großherzoglichen Instituts.
Catégories: Luxemburgensia
Édition: 18.01.2013