Auf Linkedin hat Pierre Dillenburg 362 Kontakte. Auf Instagram, Twitter oder Tiktok ist der ehemalige Generalsekretär der Abgeordnetenkammer nicht zu finden, auf Facebook scheint er kaum aktiv. Einen Wikipedia-Eintrag hat er auch nicht. Im Sinne der Selbstvermarktung entschied Dillenburg sich demnach für den guten alten Weg des Buches. Rencontres heißt sein kürzlich erschienenes, es versammelt 65 Begegnungen mit eher reichen und nicht nur schönen Menschen, die ihm über die Jahre begegnet sind, etwa in Baden-Baden, St Tropez oder Luxemburg. Die Lockdowns hat er sich zunutze gemacht um in seinen Erinnerungen zu schwelgen und „alles auf dem Smartphone zu schreiben, meistens im Bett oder im Sessel“, wie er kürzlich der Revue erzählte.
Im Buch defilieren, unter anderem und in keiner bestimmten Reihenfolge, Großherzogin Maria Teresa, Großherzogin Charlotte, der frühere Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit, der palästinensische Politiker Jassir Arafat, Ex-Staatschef Jacques Chirac und seine Frau Bernadette, die Verleger-Witwe Friede Springer, die spanische Königin Sofia, die britische Monarchin Elizabeth, der Innendesigner François Catroux und der Modeschöpfer Elie Saab. Von der großherzoglichen Familie abgesehen, beschränkt Dillenburg sich auf ausländische Persönlichkeiten. Das Risiko, andere Luxemburger, etwa Abgeordnete, namentlich zu erwähnen, wolle er nicht eingehen, die „Reaktion darauf nicht erleben“, erklärte er vor Kurzem. Hieran zeigt sich die altbekannte Provinzialität Luxemburgs, die sich hier mit einem air de grande aristocratie aufmöbeln will. Alle Figuren werden in Rencontres wohlbemerkt mit ihrem Vornamen präsentiert, ein Weg, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen.
Ob sich all diese Menschen – jene, die den Styx noch nicht hinuntergeflossen sind – an Pierre Dillenburg, dit Dill, erinnern können? Mit manchen, wie Chirac, saß er lediglich in St-Tropez zum Apéro mal an einem gemeinsamen Tisch, mit anderen mag er tatsächlich anhaltende Bekanntschaft geknüpft haben. Schillernde Anekdoten lesen sich trotzdem anders. Mal erinnert er sich daran, dass Elie Saab im Auto umdrehen wollte, als die Großherzogin Maria Teresa ihre Präsenz für die abendliche Modenschau absagte; mal daran, dass er die andere Großherzogin, Charlotte, am Königssee in bayerischer Tracht und eine Zigarette rauchend mit zwei von ihren Töchtern sah. Dann sinniert er darüber, dass die britische Königin im Stater Theater diskret ihre Schühchen unter ihrem langen Kleid auszog; oder die spanische Monarchin Sofia Dills Ermunterung, eine Kopfbekleidung bei ihrer Staatsvisite zu tragen, Folge leistete. Nach etwa 25 Seiten des Buches, das sich auf 123 Seiten erstreckt, ereilt die Rezensentin urplötzlich der attraktive Wunsch, den eigenen Gewürzschrank neu zu sortieren, oder das Bücherregal vielleicht farblich zu ordnen. Die oberflächliche Belanglosigkeit der aufgelisteten Details dürfte nur die wenigsten Diehard-Fans unterhalten.
Viel „je n’ oublierai jamais“, noch mehr „…je me souviendrai toujours“. Die Genauigkeit der Erinnerungen des vor Kurzem 80 gewordenen Dillenburgs bleibt anzuzweifeln, und sein stets respektvoller, zum Teil auch übertrieben unterwürfiger und kitschiger Schreibstil zu bemängeln. Über die britische Königin Elisabeth: „Femme la plus connue du monde, presque centenaire, elle entrera dans l’histoire comme un monument inébranlable, un monarque adoré, une souveraine respectée, un roc dans la tourmente.“ Weiteres Namedropping, wen Dillenburg bei den illustren Veranstaltungen noch so alles kennengelernt hat (Yves Saint-Laurent, Florian Henckel von Donnersmarck), und fertig ist der Salat. Die eigene Existenz wird in höhere Gefilde gehebt. Nun gut.
Einen ungewöhnlichen Weg hat er allemal hinter sich. Pierre Dillenburg stammt aus eher kleinbürgerlichen Verhältnissen, seine Eltern führten einen Malereibetrieb in Diekirch. Der frühe Verlust seiner Mutter prägte ihn. Nach einem abgebrochenen Studium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, studierte er Recht und Ökonomie in Antwerpen. 1967 wurde er als attaché universitaire im Abgeordnetenhaus angestellt, ein Ort, an dem er 35 Jahre arbeitete, die längste Zeit als stellvertretender Kammerkanzlist, die letzten zwei Jahre als greffier (heute Generalsekretär) und dem er bei der Renovierung des Plenarsaales seinen barocken Interieur-Stempel aufdrückte. Als er 2002 vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden sollte, lamentierte er in einem Schreiben voller Eigenlob über eventuelle Einnahmenseinbußen und forderte eine beratende Funktion für weitere fünf Jahre ein. Das Kammerbüro gab der Forderung statt und beauftragte ihn nach Amtsende mit weiteren protokollarischen Missionen.
Über die Jahre begann er große Veranstaltungen zu organisieren, im pompösen Stil mit großzügigen floralen Arrangements und zahllosen Kerzen. Hervorzuheben sei der venezianische Karneval Ende der 80er-Jahre im Cercle Cité, wo die Schnabelnasen der damaligen oberen Zehntausend sich die Schultern rieben.
Auch wurde er Stammgast in den luxemburgischen Medien, vor allem auf RTL, wo er an Sendungen wie Dillikatessen, den Dill um Dill und Behuel dech mitwirkte, in der Jury von Wanns de eppes kanns saß und das Te Deum mit Präzision kommentierte, hatte er doch mittlerweile großen Gefallen an der Welt der Monarchen, der Adligen und des Jetsets gefunden. Er stilisierte sich zur exzentrischen Persona, stets gut, oft extravagant gekleidet, in bunten Westen mit passenden Einstecktüchern und neben eleganten Katzen. Langsam kam ihm die Rolle des Kommentators der Nation zu, der die Leute daran erinnerte, dass Männer nach 18 Uhr keine braunen Schuhe mehr zu tragen haben. 1994 monierte er, es würden immer mehr Frauen auf der Straße rauchen. 20 Jahre lang schrieb er eine Chronik für den Le Jeudi.
Wahlweise wurde er über die Jahre als „Ästhet mit ausgeprägtem Organisationstalent“ (d’Land, 1985), „Exzentriker“ (Wort, 2017), „Stasi-Offizier der guten Kleidermanieren“ (Guy Rewenig im Land, 2011) oder „homme à la hauteur“ (Femmes magazine, 2017) eingestuft. Seine frühere Chefin Danièle Fonck, ehemalige Generaldirektorin von Editpress, ist voller Lob für den Ex-Kolumnisten, ein „sensibler Mensch mit viel Tiefe, der schöne Aquarelle fertigt“, auch habe er seine Texte mit einer „bemerkenswerter Disziplin“ immer „pile-poil à l’heure“ geschickt. Er könne sehr „sec“ sein, entwaffnend in seiner Direktheit. Seine Nachfolger in der Abgeordnetenkammer, der pensionierte Generalsekretär Claude Frieseisen und der aktuelle, Laurent Scheeck, loben Dillenburgs Energie und seinen Tatendrang, „sein jahrelanges Engagement für die parlamentarische Demokratie“, so Scheeck. Bei der Instandsetzung der Chamber habe Pierre Dillenburg sich kurzzeitig Sorgen gemacht, das Interieur des Plenarsaales könne verändert werden, sagt der derzeitige Generalsekretär. Aus beruflichen Kreisen hört man auch anderes. Dillenburg sei ein schillernder Pfau, ein „Ikonensammler“, der alles horte, was Rang und Namen habe, dabei aber völlig vergessen habe, wo er herkomme und nun auf einer rosa Wolke lebe. Obwohl er sich als Benimm-Papst stilisiere, sei er bei Geburtstagsfeiern selber indiskret und vulgär geworden. Niemand wisse, wer er wirklich sei, alles sei Schein. Doch er habe eine gute Agenda, was auch der Grund sei, warum so viele es sich mit ihm nicht verscherzen wollen.
Seine guten Freundinnen Colette Flesch und Lydie Polfer, wie auch Jean-Claude Juncker, Xavier Bettel und Stéphane Bern, waren jedenfalls dabei, als Dill im Januar 2015 Hochzeit feierte, eine der ersten für homosexuelle Paare hier im Land. Als er seine Karriere in der Chamber Ende der 60er-Jahre begann, war es jedoch deutlich schwieriger mit seiner Homosexualität hausieren zu gehen als heute. Schon damals war er mit seinem Partner Roland Hübsch zusammen, sie kennen sich seit 46 Jahren, Dillenburg ging offen damit um, er habe „nie en Heel doraus gemat oder et verstoppt“, sagte er letztes Jahr dem Lëtzebuerger Journal. Eine Diskriminierung aufgrund seiner Sexualität habe er nie erfahren, sagt er konsequent, wenn er danach gefragt wird. Vielleicht habe man hinter den Kulissen über ihn gesprochen, doch Probleme habe sein Schwulsein ihm nie bereitet. In dem besagten Podcast sprach er sich gegen Gay Prides aus, weil er „das nicht gebraucht habe, um akzeptiert zu werden“, es sei kontraproduktiv. Eine Aussage, die arg solipsistisch daherkommt.
Wahrscheinlich täten die hiesigen Einwohner tatsächlich gut, ein bisschen mehr auf ihren Stil zu achten. Und es kann auch lustig sein, eine gesellschaftliche Figur wie Dillenburg zu haben, die die hiesigen Gromprebaueren und 0815-Bankangestellte zu Klasse ermahnt, und es auf gehobenere Weise tut als andere Royals-Betrachter, etwa Michael Begasse in Deutschland. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Das Interieur von Dillenburgs Wohnung in Bartringen wirkt allerdings in seiner Louis-quatorze Opulenz völlig aus der Zeit gefallen. Was sich wirklich hinter den türkisen Gardinen, steinernen Skulpturen und rötlich-goldenen Sesseln verbirgt, weiß wohl nur Dill.