Die Landwirte suchen die Gründe für ihre Probleme in der Politik und Wirtschaft

„An d’Zaang geholl“

Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 09.02.2024

„Den Trafic riskéiert e Mëttwoch nees an der Géigend vu Schengen méi lues ze goen“, meldete RTL-Radio am Mittwochmorgen. Um 10 Uhr trafen sich im Dreiländereck Vertreter der Luxemburger Jungbauern mit ihren deutschen, belgischen und französischen Kollegen. „Haut geet et net ëm national Problemer, mee et geet ëm dat grousst Ganzt, et geet ëm d’EU“, sagte Charel Ferring, Präsident der hiesigen Jungbauern, im Radio 100,7. Ein europaweites Problem sei beispielsweise der Nachwuchsmangel der Branche. Ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebsleiter in der EU sei älter als 65 und nur elf Prozent jünger als 40. Der Abgeordnete Luc Emering (DP), Landwirt aus Dippach, war mit dem Traktor angereist, um sich mit den Jungbauern zu solidarisieren. Den Weg nach Schengen nahmen auch Claire Delcourt (LSAP), Ben Polidori (Piraten) und Tom Weidig (ADR) auf sich.

Während des EU-Gipfels Anfang Februar fuhren Kolonnen von um die 1300 Traktoren durch Brüssel. Vor dem Parlament zündeten Demonstranten Rauchwolken und verbrannten Paletten. Bilder, denen CSV-Premier Luc Frieden als Gipfelteilnehmer beiwohnte. Seit Ende Dezember wurden darüber hinaus Straßen in Luxemburgs Nachbarländern sowie in Portugal, Polen, Spanien, Italien und Rumänien gesperrt. Im Wesentlichen fordern die Landwirte Steuerentlastungen, Bürokratieabbau, eine Anpassung der GAP an die Inflation und weniger Auflagen. Auf Schildern von wallonischen Bauern las man häufiger „Stopp Mercusor“ und Franzosen sahen sich im Nachteil, weil sie strengere Pestizidauflagen haben als andere EU-Länder.

Um die Stimmung im Landbau abzutasten, veranlasste Premier Frieden mit CSV-Landwirtschaftsministerin Martine Hansen ein Gespräch mit den drei Bauerngewerkschaften für diesen Donnerstag. Es war eine Art Vorgespräch im Hinblick auf den Landwirtschaftstisch Anfang März. Hierfür arbeiten die Baurenallianz, die Bauernzentrale und der Fräie Lëtzebuerger Bauer (FLB) gemeinsam an den Themen Ammoniakreduzierung, Baugenehmigungen in der Grünzone und vereinfachte Datenübermittelungen. „Praxis und Beamtenvorgaben fallen häufig auseinander, da die Landwirtschaft wetterabhängig arbeitet“, bemängelt Christian Wester, Präsident der Bauernzentrale, gegenüber dem Land. Weiter will der Landwirt aus Alzingen nicht vorgreifen – man müsse die Gespräche mit der Landwirtschaftsministerin und dem Umweltminister Serge Wilmes (CSV) abwarten.

Reibungspotenzial beim Ringen um eine gemeinsame Position ist nicht ausgeschlossen. So betrachtet die Bauernzenrale die Eco-Schemes als eine auferlegte Zwangsökologisierung aus Brüssel. Eco-Schemes sind Direktzahlungen aus dem 365 Milliarden Euro umfassenden brüssler GAP-Fonds, die an umweltfreundliche Maßnahmen gebunden sind. Daneben stört die Bauernzentrale, dass die Farm-to-Fork-Strategie eine jährliche Stilllegung von Ackerland von vier Prozent vorsieht (sind die Brachzeiten jedoch zu kurz, fällt die Fruchtbarkeit der Böden unwiederbringlich, so das Argument für die Stilllegung). Die Bauern-Allianz hingegen sieht im Brüssler Green Deal eine Gelegenheit, Ökologie und wirtschaftliche Rentabilität zusammenzudenken. Das Budget für Agrarökomaßnahmen sei allerdings knapp berechnet – diese Botschaft wollte man am Donnerstag an Premier Frieden weitergeben. Auch der FLB spricht sich in punkto Umweltprogrammen für ein größeres Budget aus. Unter seinem Präsidenten Aloyse Marx will er zudem den Akzent auf technische Verfahren legen, die Emissions-Einsparungen erlauben.

Während sich historisch gesehen vor allem die Bauernzentrale und der FLB gegenüberstanden, zeichnet sich also für die kommende Jahren eher eine Trennlinie zwischen der Allianz und der Bauernzentrale ab. Die Allianz zählt viele Biobauern als Mitglieder, die unter anderem über Nischenproduktionen, kurze Vermarktungswege und Wasserschutz diskutieren. In der Bauernzentrale laufen die Argumentationslinien hingegen häufig einseitig darauf hinaus, die Schuld für die Existenzängste der Bauern in der Politik zu suchen. Die politischen Netzwerke der Interessensorganisationen sind zudem leicht anders gelagert. Seit einem halben Jahr präsidiert der Bio-Landwirt und DP-Bürgermeister von Harlingen, Marco Koeune, die Baueren-Allianz. Die Bauernzentrale ist von Beginn an CSV-nah. Der Onkel ihres ersten Generalssekretärs Mathias Berns war CSV-Staatsminister Pierre Dupong, an den die Wochenzeitung De Letzebuerger Bauer bereits in seiner ersten Ausgabe 1944 konkrete Forderungen stellte. Der Bruder von Christian Wester, Guy Wester, ist ein CSV-Lokalpolitiker. Zusammen leiten die beiden einen Aussiedlerhof mit um die 120 Milchkühen.

Diese politische Nähe störte insbesondere den Landwirt Robert Mehlen aus Manternach. Er gründete aufgrund von Zerwürfnissen mit Berns 1982 den FLB und blieb bis 1998 dessen Präsident. In dieser Funktion sinnierte er mehrfach über einen Zusammenhang von Parteispenden an die CSV und Zuwendungen christdemokratischer Politiker an die Bauernzentrale. Zu einem ersten Eklat kam es 1979 zwischen Robert Mehlen und dem Generalsekretär Berns auf einer Luxlait-Generalversammlung. Das Komitee-Mitglied Mehlen warf Berns einen „autoritären Führungsstil” und Intransparenz vor. Mehlen war selber zunächst CSV-Mitglied, wechselte in den 1980-er-Jahren jedoch zur ADR. Mit ihm setzten sich Maria Marx (die Mutter des heutigen FLB-Präsidenten) und der Winzer Roger Weber, ehemaliger Bürgermeister aus Remerschen, für die ADR auf. Eine konsequente Nähe zur ADR kann man dem FLB allerdings nicht nachsagen. Vom Profil her waren die FLB-Landwirte „déi déck Mëllechbauern“, die zunächst an die Milch-Union Hocheifel lieferten, die 2012 mit dem dänischen Konzern Arla fusionierte. Allerdings ist der FLB mit dem Generationswechsel, der seit den 1980-er-Jahren eingetreten ist, weniger stark auf die Milchproduktion ausgerichtet.

Außer den Junglandwirten, die am Mittwoch in Schengen protestierten, blieb es um die Luxemburger Landwirte ruhig. Als erstes verkündete die Bauernzentrale Ende Januar, die Gespräche mit dem Landwirtschaftsministerium nun unter Martine Hansen (CSV) hätten sich „verbessert“. Mitte Januar hätte die Landwirtschaftsministerin bereites bestätigt, dass keine Beihilfen gekürzt würden, begrüßte Luxemburgs größte Bauernorganisation. Diese Woche meldeten sich überdies erstmals die Biolandwirte vermehrt zu Wort. Am Mittwoch zeigte die Präsidentin der Biovereenegung, Daniela Noesen, Verständnis für die Forderung des Bürokratieabbaus. Allerdings sah sie die Probleme des Sektors weniger in der Brüsseler und nationalen Politik situiert, als in der Marktmacht von Agrarkonzernen: „Die konventionelle Landwirtschaft hat sich im vorgelagerten Bereich – Düngemittel, Pestiziden, Saatgut – und im nachgelagerten Bereich, also der Lebensmittelverarbeitung, in Abhängigkeit gebracht.“ Letzteres betreffe zwar auch die Biolandwirtschaft, aber insbesondere auf energieintensive Mittel angewiesene Betriebe „ginn an d’Zaang geholl“. Statt politische Lenkungsinstrumente schlechtzureden, könnten diese eben gerade die Landwirte vor der Verhandlungsmacht der Agrarriesen schützen.

Mit dieser ungleichen Verhandlungsposition sprach Noesen auch den scheinbaren Produktionsparadox in postindustriellen Ländern an: Denn mehr Rohstoffangebote (wie Milch oder Getreide) führen hier nicht dazu, dass die Produzenten mehr verdienen, sondern zu einer Preissenkung. Dabei zahlen die Konsumenten zwar nicht weniger, wenn die Primärproduktion steigt, sondern die Margen der Zwischenhändler wachsen, so die Berechnungen des Schweizer Ökonomen Mathias Binswanger. Für die vielen unterschiedlichen Bauern ist es kaum möglich, bei ihren Abnehmern höhere Preise einzufordern, denn Lebensmittelverarbeiter haben stets die größere Marktmacht. Die Gefahr des Tretmühlenprinzips tritt ein: Bei fallenden Preisen müssen die Landwirte immer mehr produzieren, um weiter bestehen zu können. Hinzu kommt, dass Landwirte mittlerweile mit kapitalkräftigen Investmentfonds und Immobilienunternehmen um Land konkurrieren.

Das Problem der schlechten Verhandlungsposition beschrieb auch Christian Wester letzte Woche im Wort: „Man hat als Bauer immer das Gefühl, dass wenn unsere Produkte am Weltmarkt anziehen, das an den Konsumenten weitergegeben wird. Wenn wir aber dann wieder weniger bekommen, ändert sich auf der anderen Seite nichts. Dazwischen ist da immer jemand, der sich die Taschen vollmacht.“ Gerade Fleisch und Getreide seien den Schwankungen eines liberalen Marktes ausgesetzt: „Da hängt vieles nur von Angebot und Nachfrage ab. Vor allem Getreide kann leicht gelagert und transportiert werden“, so Wester. Insofern war es vielleicht verständlich, dass manche Landwirte letzte Woche die Vertriebszentren von Lebensmittel-Großhändlern blockierten. Anders sah das der Händler Goy Grosbusch. Gegenüber dem Wort urteilte er: „Das ist natürlich absurd, wenn Landwirte die Auslieferung der eigenen Waren verhindern”.

Demeter-Bauer Tom Kass aus Rollingen sprach zu Beginn der Woche einen weiteren Aspekt an, der die Frustration seiner Berufskollegen erkläre: die Isolation. Auf immer größeren Betrieben, falle die Arbeitslast auf wenige Personen. „Ich habe fünf Angestellte, die meine 100 Hektar bearbeiten, aber auf einem konventionellen Bauernhof ackert der Landwirt oft ganz allein auf dieser Fläche. Psychologisch gesehen ist das sicher anstrengend und destabilisierend“, meinte er gegenüber dem Quotidien. Laurent Schüssler, Direktor der Bauernzentrale, sah den Grund für psychologischen Stress woanders. In Rekurs auf den Psychotherapeuten Khashayar Pazooki meinte er, die „Einengung durch die Politik” führe zu Unsicherheit, Ängsten und möglicherweise Depressionen.

“Mir hu rise Konkurrenzproblemer duerch importéiert Wuere vun Drëttlänner an d’EU eran, déi net déi selwecht Standarden hunn“, sagte am Mittwoch ein protestierender Jungbauer im RTL-Radio. In der Revue schloss sich Christian Wester ebenso der Kritik am Mercusor-Abkommen an, bei dem keinesfalls gleichwertige Standards festgelegt wurden. Kommt es zu dem Mercusor-Vertrag, können Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay Fleisch in die EU exportieren. Und zwar nicht zu knapp: Jedes Jahr dürften unter anderem 99 000 Tonnen Rindfleisch und 180 000 Tonnen Geflügel auf den EU-Markt kommen. Voraussichtlich Ende Februar steht die Abstimmung des Abkommens auf der Tagesordnung eines Ministergipfels der Welthandelsorganisation. „Warum hier über Viehreduzierung nachdenken, wenn Fleisch über diese Verträge von Übersee importiert werden darf?“, kritisiert Aloyse Marx vom FLB das Freihandelsgeschäft gegenüber dem Land. Der Vorgängerregierung hielt er, vor falsch zu rechnen, denn „die landwirtschaftliche Erzeugung pauschal zu reduzieren“, hieße nicht, die Umwelt weniger zu belasten. Luxemburg sei ein Gründlandstandort, an dem die Wiederkäuerhaltung Sinn mache. Rückt man hiervon ab, bestehe „die Gefahr, dass die Erzeugung von Lebensmitteln in Regionen des Globus verlagert wird, wo Umweltaspekte weniger berücksichtigt werden und wir abhängiger werden“, schrieb er in einem Wort-Meinungsbeitrag.

Dass man als Vertreter des Primärsektors seinen Markt vor Billigimporten schützen will, ist nachvollziehbar. Inwiefern die EU-Exporte in Drittländer ein Preisdumping verursachen, wird seltener angesprochen.Bartholomäus Grill, ehemaliger Afrika-Korrespondent, beschreibt in seinem gerade erschienenen Buch Bauernsterben, wie Frauen aus Gambia ihre Zwiebeln nicht los werden. Neben ihnen verkauften libanesische Händler aus den Niederlanden importierte Zwiebeln, die aussehen „als kämen sie aus dem 3-D-Drucker“. 50 Cent das Kilo kostet die europäische Überschussware – den Schleuderpreis konnten die lokalen Bäuerinnen nicht unterbieten. Bereits in den 1980-er-Jahren wurden enorme Mengen an subventioniertem Fleisch nach Westafrika exportiert, das den Preis von einheimischen Rindern abstürzen ließ. „Und so vergrößerten sich ihre Herden, was schließlich zur Überweidung der Sahelzone führte – und zur Flucht aus dieser ohnehin ressourcenarmen Region“, schreibt Grill. Alles hängt mit allem zusammen. In der Landwirtschaft sind unintendierte Effekte kaum überschaubar.

Seit ein paar Jahren unterstützt das Landwirtschaftsministerium Initiativen der saisonalen und regionalen Lebensmittelerzeugung, um den nachhaltigen Landbau zu unterstützen – vielleicht auch, um dem Preisdumping auf dem prekären afrikanischen Markt entgegenzuwirken. Appelle an die Konsumenten bleiben dabei nicht aus: „Gerade in heutigen Zeiten, in denen die Abhängigkeit von internationalen Lieferketten offensichtlich wird, sollten Verbraucher die Gelegenheit nutzen, ihr Kaufverhalten zu überdenken“, informiert die Internetseite Regionalsaisonal. Aber wie auch die Konsumenten, schwanken die Produzenten zwischen einem lokalen und globalen Markt. Etwas mehr als 50 Prozent der hier abgemolkenen Milch geht an den Agrarkonzern Arla. Den größten Markt außerhalb Europas bilden für das skandinavische Unternehmen die Länder des Mittleren Ostens und Nordafrikas; zusätzlich unterhält es Fabriken in Bahrain und Riad. Und der Druck auf die Milchkühe steigt stetig. Auch hierzulande werden die meisten von ihnen nie auf eine Weide gelassen. Die Milchspenderinnen verbringen ihr Leben am Kraftfuttertrog.

Den Jungbauern sind die vielfältigen Zusammenhänge in der Landwirtschaft bewusst. Auch der Klimawandel mit seinen Dürreperioden und Starkregen setze den Bauern zu. Die Branche ist aber nicht nur Opfer, Täter sind vor allem die energieintensiven Agrarkonzerne. Derzeit liegen laut IPCC die gesamten anthropogenen Nettotreibhausgasemissionen im globalen Ernährungssystem – Erzeugung, Verarbeitung, Konsum einbegriffen – bei 21-37 Prozent. Man wolle seine Lebensgrundlage schützen, klimafit werden und ein Teil der Lösung sein, verkündeten die Jungbauern in Schengen. „Aber himmelnondidjö, wir können nicht auf unseren Kosten sitzen bleiben“, sagte Charel Ferring gegenüber dem Wort. Statt pauschalem Politikbashing braucht es also mehr öffentlicher Gelder für öffentliche Leistungen – Erhalt der Artenvielfalt, Boden- und Wasserschutz.

Stéphanie Majerus
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