Luxemburgensia

Fast nur für Erwachsene

d'Lëtzebuerger Land vom 02.02.2024

Mit Monster Malya hat Roland Meyer einen neuen Kinder- und Jugendroman „fir erwuesse Leit“ geschrieben. Er folgt der elfjährigen Hauptfigur Malya, einer Grundschülerin, die von ihrer Lehrerin, ihren Mitschülern und Mitschülerinnen oder dem Vater einer Klassenkameradin „Monster Malya“ geschimpft wird. Denn Malya hat Tobsuchtanfälle und Wutausbrüche, bei denen sie um sich schlägt, schreit, Dinge kaputt macht und sogar Gefahr läuft, sich selbst oder andere ernsthaft zu verletzen. Malya passt weder in die Gesellschaft noch in das Schulsystem. Trotz Reittherapie, pädagogischer Betreuung oder vom Gericht angeordneten Besuchen bei ihrer Familie dringt niemand zu ihr durch. Sie will auch gar nicht hineinpassen, sich fügen oder brav sein. Denn genauso wenig wie sie passen auch ihre alleinerziehende Mutter mit ihren wechselnden Partnern und ihre beiden Schwestern zu den Erwartungen einer kleinbürgerlichen und leistungsorientierten Gesellschaft. Und umso mehr fühlt sich Malya für sie verantwortlich. Auf der Flucht vor einer weiteren Eskalation in der Schule, bei der sich ihre Wut und Frustration Bahn gebrochen haben, begibt sie sich an den Fluss, in dem sie ihren ehemaligen Goldfisch ausgesetzt hat. Hier kann sie allein sein und sich ihren Gedanken hingeben ... als auf einmal ein mysteriös leuchtender Mann auftaucht, Albert, der behauptet, ein Engel zu sein. Und in seiner behüteten, gelassenen Gegenwart Malya kommt allmählich zur Ruhe.

Roland Meyer hat Kindertheatertexte und Kinderbücher auf Deutsch und Luxemburgisch geschrieben, darunter auch Bücher über Jugendliche oder Kinder, die von Erwachsenen gelesen werden können. Er mischt Genres, Kurzmitteilungen und verschiedene Zeitebenen zu einem lebendigen, vielstimmigen Roman, der ein gelungenes Panorama der externen Wahrnehmungen der Protagonistin und ihrer Schwierigkeiten abbildet. Der Perspektivenreichtum ist die Stärke des Romans, der abwechselnd Eltern von Malyas Schulkameraden oder Lehrkräfte erzählen lässt, und dazwischen immer wieder zu Malya selbst springt. Dabei bleiben jedoch ihre Mutter und ihr „bester Freund“ Steven auf Distanz; die Mutter kommt nicht zur Sprache, Steven nur in Form von Kurzmittelungen. Die unterschiedlichen Sichtweisen der Gesellschaft und die Erwartungen, die an Malya herangetragen werden, werden mit ihrer eigenen Gefühlswelt konfrontiert – ungebändigt, auf der Flucht und hilflos, sodass ihr nur noch die Wut bleibt. Im Kontrast zur kindlichen Perspektive, die sich der Konsequenzen oder auch der Ursachen ihrer Handlungen nicht bewusst ist, steht die Erwachsenenperspektive, die nur die Konsequenzen sieht, darüber aber vergisst, dass man verschiedene Parameter verändern könnte – sei es das soziale Umfeld, die Möglichkeiten, Reaktionen und Angebote von Außenstehenden, das Selbstwertgefühl – oder all diese Dinge.

Zugleich gibt es einen Hauch Hoffnung in Form der fantastischen Figur Albert. Seine ruhige, gleichmütige und entspannte Art, seine Präsenz und Aufmerksamkeit scheinen Malya zu stärken und tatsächlich zu helfen, wie sich allmählich in leicht traumhaften Szenen abbildet. Das schmerzt, weil es sich um eine erfundene Fantasiegestalt und -begegnung handelt, die es in Wirklichkeit so nicht gibt. Malya erlebt kein Coming of Age in klassischer Romanmanier oder emanzipiert sich selbst, doch das ist vermutlich die ehrlichste Botschaft an alle „erwuesse Leit“, die dieses Buch in die Hände bekommen und ihre Weltsicht hinterfragen könnten.

Claire Schmartz
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