Zum Interviewtermin erscheint Marc Limpach auf einem Motorrad. Stahlblaue Augen, schwarze Schuhe, rote Schnürsenkel, auf seiner Jacke ein Pin mit drei Pfeilen: Antifaschistische Sozialdemokratie aus dem Jahr 1932, um den schlimmsten Anfängen zu wehren. 1975 kam er zur Welt, doch die Geschichte der ersten viereinhalb Dekaden des 20. Jahrhunderts ziehen sich wie ein roter Faden durch sein Leben und Schaffen. Dieses Interesse tritt auf vielerlei Weise zu Tage, wie insgesamt auch alles andere in seinem Leben stark miteinander verstrickt ist.
Als Treffpunkt hat er das Kasemattentheater vorgeschlagen, ein zentraler Ort für ihn, wo sein politisch-künstlerisches Engagement beständig zum Vorschein kommt und wo er eng mit Lex Weyer zusammenarbeitet. Seit 2007 ist er dort als Dramaturg tätig und sitzt in dessen Verwaltungsrat, gemeinsam mit Franz Fayot. Beide sind ebenfalls im Verwaltungsrat der Fondation Robert Krieps, die Marc Limpach präsidiert. Auch Denis Scuto, Vizedirektor des C2DH, ein weiterer enger Freund, ist im Rat der Stiftung. Die strategische Neuaufstellung der LSAP hat Marc Limpach 2014 maßgeblich mitgestaltet, die Gründung des zeitgenössischen Geschichts-
instituts C2DH geht ebenfalls indirekt auf ihn und Ben Fayot zurück. Inoffiziell hat er die nationale Spitzenkandidatin Paulette Lenert bei den vergangenen Kammerwahlen beraten, offiziell seinen Freund und derzeitigen Fraktionschef der Escher LSAP, Steve Faltz, bei den Escher Gemeindewahlen. Bis November letzten Jahres war er Vorsitzender der beratenden Kommission für Künstler im Kulturministerium.
Als der Schauspieler, Jurist und Autor kürzlich den Luxemburger Preis für den besten Schauspieler in Stefan Ruzowitzkys Hinterland gewann – der kurz nach 1918 in Wien spielt – hielt ihm RTL eine Kamera vor die Nase und fragte, ob er sich das erwartet hatte. Er antwortete kurz und bündig: „Absolut nicht. Ich bin total überrascht.“ Es wäre ein Anlass zum Lächeln, doch Marc Limpach lächelt wenig. Dabei ist das nur der jüngste Ausdruck eines erfolgreichen und äußerst produktiven, fast schwindelerregenden Werdegangs.
Bereits während seiner Schulzeit engagiert er sich in der Theatergruppe Namasté des LHCE. Dort führt er gemeinsam mit dem heutigen linken Abgeordneten und Schauspieler Marc Baum Stücke wie Die Weiße Rose über die Geschwister Scholl auf. Nach einem naturwissenschaftlichen Abitur mit Latein – „Sprachen wären zu einfach gewesen“, sagt er –, entscheidet Limpach sich für ein Jurastudium in Paris, Köln, Straßburg und Cambridge. Er habe „Interesse an den Regeln und Richtlinien, die unsere Gesellschaft zusammenhalten“. Zurück in Luxemburg wird er wieder schauspielerisch tätig und mausert sich langsam zu einem Mitglied der (von den Zahlen her winzigen) linken Intelligentsia. Politisiert habe er sich hauptsächlich durch das Lesen von klassischen Texten, Tucholsky, Brecht, Büchner. In die erste Reihe setzt sich Marc Limpach politisch nicht, dabei wäre er aufgrund seines Bekanntheitsgrads gut dafür geeignet. Sich bei Dëppefester unter die Leute zu mischen und davon Selfies zu posten ist nicht sein cup of tea. Er verhilft lieber anderen zum politischen Erfolg – und feuert die kleine Debattenkultur im Hintergrund an.
Tagsüber arbeitet Limpach Im Comité de direction der CSSF, der Aufsichtskommission des Finanzsektors, wo er für „Allgemeine Angelegenheiten“ im Justizbereich zuständig ist. Diese Arbeit findet er „extrem sinnvoll“. Seit 2016 verlegt er außerdem gemeinsam mit Ian de Toffoli und Elise Schmit die Cahiers luxembourgeois, die auch eigene Texte von ihm veröffentlichen; bei Hydre Editions erschien seine Farce En Tiger am Rousegäertchen über Mittals Arcelor-Übernahme. 2010 schrieb er gemeinsam mit Franz Fayot eine Biografie von Robert Krieps. Geforscht hat er außerdem etwa zur Resistenz und zur Besatzung in Luxemburg, unter anderem zu Albert Wingert; zur Einwanderung ins Großherzogtum; zur Geschichte des Theaters und der Justiz; zum hiesigen Literaturbetrieb während der Kriegszeit. Ende 2022 brachte er mit Charles Meder die gesammelten Briefe von Andrée Viénot-„Schnouky“-Mayrisch an ihre Mutter Aline heraus. Im Jahr davor erhielt er den kulturellen Verdienstorden der Gemeinde Sassenheim. Vor zehn Jahren war er kurz im Gespräch, um Direktor der Abtei Neumünster zu werden.
Mit Désirée Nosbusch schrieb er Episoden von Wemseesdet und das Drehbuch von Succès Fox, über Fernand Fox. Für Andy Bauschs Film Streik! über 100 Jahre Gewerkschaften fungierte er als Erzähler, für Claude Lahrs Heim ins Reich schrieb er den Kommentar. Auf der Leinwand war er zuletzt in Hinterland, Maggie Perens Der Passfälscher und Margarethe von Trottas Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste, an der Seite von Robert Krieps’ Enkelin Vicky Krieps, zu sehen. Besonders sympathische Persönlichkeiten sind die Rollen, die er bisher in Filmen bekleidet hat, allerdings nicht. Auch die furchtbarsten Personen hätten eine innere Not, sagt Limpach dazu. Außerdem könne man sich ihnen über die Frage des Humors nähern. „Helden gibt es im richtigen Leben wenige.“ Seine Rollen sucht er vorwiegend nach Relevanz aus: „Wäre ich kokett, würde ich sagen, ich habe zu viel Adorno und Horkheimer gelesen, um Teil der Unterhaltungsindustrie zu sein.“
Limpach versteht sich als „Escher“, auch wenn er heute nicht mehr in der Südstadt lebt. Sein Großvater arbeitete in der Schmelz, der Urgroßvater war Minenarbeiter, sein Vater Mathematiklehrer am LHCE. Vor vier Monaten ist er selbst Vater geworden. Seine Frau, Caroline Huberty, kandidierte im Juni in Differdingen für die LSAP. Während Marc Limpach kaum auf den sozialen Medien aktiv ist, postet sie öfter Bilder von den Erfolgen ihres Mannes, auf den sie sichtlich stolz ist. Sein eigenes Image kontrolliert er hingegen minutiös. Obwohl er spätestens seit 2018, als die deutsch-luxemburgische Serie Bad Banks große Erfolge feierte, einem größeren Publikum bekannt wurde, ist kein Porträt von ihm in den hiesigen Medien zu finden. Ein Zufall ist das nicht. Wenn er interviewt wurde, dann zu Anlässen wie dem Filmpreis, zum Erfolg von Bad Banks, zu Lesungen oder Theaterstücken. Er meldet sich in den Medien gezielt zu Wort, etwa in Kommentaren auf RTL zu diversen Themen wie dem Stellenwert der Demokratie vor den Gemeindewahlen; den Ähnlichkeiten zwischen Thomas Manns Zauberberg und dem Weltwirtschaftsforum in Davos oder Orwells 1984 und dem Mangel an Pressefreiheit in Russland.
Menschen, die ihn kennen und mit ihm zusammengearbeitet haben, schätzen seine hohen Ansprüche, was die künstlerische Arbeit angeht, seine Ambition, sein „aufrechter Gang“. Sein Freund Denis Scuto erklärt, Marc Limpach habe an der Veränderung des Narrativs zum Zweiten Weltkrieg in Luxemburg mitgewirkt. Andere besagen ihm ein großes Selbstbewusstsein mit Hang zur Arroganz; er würde jedenfalls nicht „mit übertriebener Menschlichkeit“ auffallen. Es ergibt sich das Bild eines Menschen, der seine zahlreichen Aufgaben erfüllt, mit Leidenschaft und einer gehörigen Portion Workaholism. Weggefährten bewundern diese Umtriebigkeit, können sie sich aber nicht erklären. Wie passen all diese Tätigkeiten unter einen Hut? Heute morgen habe nicht sein Baby ihn geweckt, sondern sein Wecker, und zwar um viertel nach fünf, sagt er. Dann habe er die ersten Mails geschrieben. Die Urlaubstage, die er hat, verbringt er nicht „am Strand“, sondern an den Sets der zwei bis drei Filme, die er pro Jahr dreht. Für Der Passfälscher waren seine Büroszenen innerhalb von drei Tagen im Kasten. Er braucht wenig Schlaf, sagt er. Zuviel sei ihm das alles nicht.
Über sich selbst redet er nur ungern. Wird ihm das Gespräch zu persönlich, schweift er ab und fängt an zu philosophieren. So etwa, wenn er gefragt wird, wer ihn wirklich kennt. Er lacht und hebt die Arme hoch. Auf diese Frage würden die meisten Menschen wahrscheinlich gute Freunde und Familie erwidern. Marc Limpach fragt sich stattdessen, was es bedeutet, jemanden zu kennen. Zu einem anderen Zeitpunkt im Gespräch sagt er: „Man fühlt sich wohl mit Menschen, die einem kein Loch in den Bauch fragen, sondern die einfach verstehen.“