Gilles Granouillet saß einfach da rum. Im unterkühlten Zuschauerraum des städtischen Kapuzinertheaters. Bei der Vorführung seines Stückes L’incroyable voyage. Im Pressecommuniqué stand geschrieben, dass es die erste Reise des französischen Autors und Intendanten nach Luxemburg sei. In eben jenem Papier, in dem auch eine Begegnung mit den Schauspielern, dem Autor und dem anwesenden Publikum angekündigt wurde. Aber im Kapuzinertheater tickt die Gastfreundschaft und der Service am Kunden etwas anders. Der Gast Granouillet stand nach der Vorführung etwas verloren und vom Publikum gänzlich unbeachtet im Raum herum. Mag sein, die Diskussion fand in kleiner Runde noch am Tresen statt - die Zuschauer waren jedenfalls schon in den Katakomben des Parkhauses verschwunden.
Soweit die „petite histoire“ der Vorstellung des 29. Oktober. Die Geschichte, die uns der Franzose Gilles Granouillet nach Luxemburg brachte, erzählt, durchweg komplex strukturiert, von einem Intrigen- und Machtspiel um eines der Wahrzeichen der türkischen Hauptstadt, die viel befahrene Galata-Brücke von Istanbul. Das besagte Bauwerk soll an ausländische Investoren verschachert werden. Den Türken liegt ein attraktives Angebot der Deutschen vor, die die Brücke nach Hamburg verschiffen und dort zum Restaurant umfunktionieren möchten. Das Stück Granouillets setzt den Fokus auf die französischen Gegenspieler, die mit ungeheurer Skrupellosigkeit das Geschäft an Land ziehen möchten. Allen voran der gewiefte, kaltschnäuzige Geschäftsmann Dux, der mit seinen Gefolgsleuten Bobichon und Boris zum Bosporus reist, um seiner jungen, türkischen Partnerin auf die Sprünge zu helfen. Die Türkin Tilbe Ecer hat einen etwas irren Plan ersonnen, um den entscheidenden Vorteil gegenüber den deutschen Konkurrenten zu erringen: ein armer, türkischer Fischer soll sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit selbst verbrennen – mit der Forderung, dass die zerlegten Teile der Galata-Brücke im Lande bleiben sollen. Somit kämen die Drahtzieher Dux und Ecer zum Zuge, die das Bauwerk, in Souvenirstückchen zerlegt, verhökern wollen. Doch im Angesicht des bemitleidenswerten Fischer - der durch seine verzweifelte Tat die Existenz seiner Familie retten will - bekommt der hartherzige Dux Skrupel und zweifelt an der eigenen Lebensstrategie.
Was an dem 2002 uraufgeführten Stück durchaus zu gefallen weiß, sind die ausgefeilten Dialoge des französischen Autors sowie die Groteske der Erzählung, die von feinem, schwarzen Humor getragen wird. Wirklich schwierig wird das Verständnis der „unglaublichen Reise“ durch die ziemlich atemlose Inszenierung der Marion Poppenburg, die keine klaren Akzente zu setzen vermag und die Schauspieler mitunter in wirrem Geschrei auf der Bühne belässt. Man vermisst leisere Zwischentöne und eine Umsetzung der inneren Entwicklung der verschiedenen Charaktere. Dabei sind die vier Personen durchaus interessant angelegt. Die Schauspieler packen den Zuschauer in der ersten Hälfte mit einigen fulminanten, unerwarteten Auftritten. Denis Jousselin, in der Rolle des André Bobichon, jagt wie ein hyperaktiver Derwisch durch das Szenenbild, während Colette Kieffer die unnahbare Tilbe Ecer mimt. Erstaunlich in der Rolle des rauhbeinigen Dux ist Frédéric Frenay, der mit viel Getöse die Bühne vereinnahmt - leider geht ihm zu Ende die darstellerische Puste aus und der Dux bietet mit seiner Überanstrengung eine nicht mehr ganz so überzeugende Darstellung in der eher flachen Endszene.
Worum geht es dem Autor? L’incroyable voyage stellt Fragen zu den Machtverhältnissen im internationalen Geschäftsgebaren in einer globalisierten Welt, der mit dem Werteverfall der Kulturen einhergeht. Das Stück geht seine Themen von einem ungewöhnlichen Blickwinkel an und lebt von der Originalität der dargebotenen Situationen. Man hätte den Autor natürlich nach seinem Ansinnen fragen können - aber da war auch ich im Parkhaus verschwunden und dass der Autor direkt neben mir gesessen hatte, wurde mir erst später bewusst. Ob er wohl noch ein zweites Mal nach Luxemburg kommt? Nun, der Applaus war höflich und angemessen und Granouillet schmunzelte ein paar Mal während der Vorstellung…
Weitere Vorstellungen von L’incroyable voyage von Gilles Granouillet in der Inszenierung von Marion Poppenborg am 14. und 15. November um 20 Uhr im Kapuzinertheater. Mit Frédéric Frenay, Joël Dessaut, Denis Jousselin und Colette Kieffer; Bühnenbild: Christoph Rasche; Lichtgestaltung: Klaus Zimmermann; Kostüme: von Ulli Kremer. Informationen im Internet unter: www.theatres.lu; Bestellungen über Telefon: 47 08 95-1 oder per Internet bei www.luxembourgticket.lu.