In einer nicht allzu fernen Zukunft würde in Luxemburg deutlich weniger Energie verbraucht als heute. Was verbraucht wird, käme in immer höherem Maß aus erneuerbaren Quellen. Dadurch ginge auch der CO2-Ausstoß zurück. Industriebetriebe erhielten stärkere Anreize zum Energiesparen. Handwerker würden Häuser bauen, in denen kaum noch Energie verbraucht wird, stattdessen Strom und Wärme produziert werden. In der Landwirtschaft würden „natürliche Stoffkreisläufe“ respektiert, der Einsatz von chemischem Dünger gesenkt, organische Abfälle zu Biogas umgewandelt. Die Fortbewegung hierzulande würde viel weniger als heute im Auto erfolgen und mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, per Fahrrad oder zu Fuß.
Ungefähr dieses Bild zeichnet ein Bericht des parlamentarischen Unterausschusses Klima und Energie. Er ist ein „Yes, we can“ aus dem Land mit den höchsten Pro-Kopf-CO2-Emissionen der EU, anderthalb Wochen vor Beginn des Weltklimagipfels in Paris. Der 200 Seiten lange Bericht war am gestrigen Donnerstag Ausgangspunkt einer Parlamentsdebatte über Klima- und Energiepolitik auf längere Sicht. Der Grünen-Abgeordnete Henri Kox, der den Klima-Unterausschuss geleitet und den Bericht verfasst hat, findet, Luxemburg könne damit ebenso „ehrgeizig“ auftreten wie die anderen Industriestaaten das tun müssten, um Vorreiter im Klimaschutz zu sein, der immer dringender werde. Er habe zeigen wollen, dass das auch wirtschaftlich „eine Chance sein kann“. Dazu macht der Bericht 17 Empfehlungen an die Regierung.
Doch so einfach, wie man meinen könnte, liegen die Dinge nicht unbedingt: Als Henri Kox seinen Bericht im Unterausschuss zur Abstimmung stellte, enthielten sich zur allgemeinen Überraschung die CSV-Vertreter. Der Unterausschuss habe es versäumt, den aktuell geltenden Klimaschutz-Aktionsplan zu überprüfen, beschwerte sich der Abgeordnete Marco Schank, der bis 2013 delegierter Nachhaltigkeitsminister war. Und die seit der Regierungsbildung angekündigte „Tanktourismus-Studie“, die die über eine Milliarde Euro im Jahr schweren Steuereinnahmen für den Staat aus dem Tankstellengeschäft ebenso analysieren soll wie den knapp 60 Prozent umfassenden Beitrag des Spritexports zum Luxemburger CO2-Aufkommen, liege immer noch nicht vor.
Zumindest mit Letzterem hat Schank nicht Unrecht. Die große Klimadebatte war ursprünglich für Frühjahr dieses Jahres anberaumt. Der Tanktourismus-Bericht des Kölner Finanzwissenschaftlers Dieter Ewringmann sollte der wichtigste Beitrag zur Politikfindung sein. Doch nicht nur dauerte die Arbeit im Klima-Unterausschuss länger als geplant. Unter anderem um den aktuellen Klimaschutz-Aktionsplan zu analysieren, hielt das Gremium über anderthalb Jahre hinweg 32 Sitzungen ab. Es traf sich mit Ministern, Unternehmerverbänden, NGOs und Energieversorgern, unterhielt sich mit Wissenschaftlern von Uni.lu und dem Luxembourg Institute of Science and Technology. Ein Energie-Expertenbüro aus Deutschland stand ihm als Berater zur Seite.
Die Arbeit des Unterausschusses erwies sich aber auch als nicht mehr so dringend. Als er im Mai 2014 eingesetzt wurde, geschah das aus einer großen Sorge der Regierungskoalition um die Rolle der Luxemburger EU-Präsidentschaft auf dem Pariser Klimagipfel. Man wusste, die EU würde eine Pionierrolle mit einer weitreichenden Einsparverpflichtung bis zum Jahr 2030 übernehmen und Luxemburg die EU-Position vertreten müssen. Doch damals rechneten DP, LSAP und Grüne noch damit, dass bereits vor dem Pariser Gipfel EU-intern ausgehandelt würde, welcher Mitgliedstaat wie viel CO2 einsparen müsste. Für Luxemburg war das keine gute Aussicht. Damals vorliegenden Zahlen nach drohte das Großherzogtum schon seine derzeit geltende Einsparverpflichtung von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 nicht nur zu verfehlen, sondern dann womöglich gar 23 Prozent mehr auszustoßen als im Referenzjahr 2005. Um der Présidence die Glaubwürdigkeit zu sichern, mussten nicht nur schnell Zusatzmaßnahmen bis 2020 beschlossen und eine Einsparstrategie bis 2030 aufgestellt werden, sondern auch ein möglichst breiter politischer Konsens darüber, wenigstens unter Einschluss der CSV.
Heute ist das anders. Nicht nur wird die EU-interne Lastenteilung auf den Pariser Gipfel hin erst Anfang nächsten Jahres ausgehandelt. Luxemburg ist überdies zumindest derzeit nicht jenseits von Gut und Böse in seiner Klimabilanz, sondern „on track“ auf das Einsparziel von 2020 hin. Und 2020 könnte das Ziel nicht um 7,5 Millionen Tonnen, sondern nur um 1,4 Millionen verfehlt werden. Das liegt vor allem am rückläufigen Spritverkauf: 2013 sank er um 4,1 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor, 2014 um 3,3 Prozent. Im ersten Halbjahr 2015 war der Rückgang noch stärker: 6,6 Prozent beim Dieselverkauf, 7,2 Prozent bei dem von Benzin. Die Regierung rechnet damit, dass die Verkäufe weiter sinken. Im Staatshaushalt 2016 plant sie einen Einnahmenrückgang aus den Akzisen auf Mineralölprodukte um zwölf Prozent ein. Worauf genau die sinkenden Verkäufe zurückzuführen sind, soll Dieter Ewringmann anhand der neuen Zahlen bis Anfang 2016 untersuchen. Bisher basiert seine Studie auf Angaben von 2012. Weil die neuen Zahlen wirklich ziemlich neu sind, ist die Verschiebung der Tanktourismus-Studie kaum ein politisches Manöver der Regierung.
Doch da nun keine so große Dringlichkeit mehr zu bestehen scheint, einen großen Klimakonsens zu schmieden, um sich als Nation mit der EU-Präsidentschaft auf dem Klimagipfel nicht zu blamieren, ist die „langfristige Klima- und Energiestrategie“ offener für die Politik daheim. Die CSV, deutet ihre Stimmenthaltung zum Kox-Bericht an, könnte womöglich eine ökologische Opposition zu den Ideen von DP, LSAP und Grünen einnehmen.
Denn geht es nach der Koalition, die hinter Kox’ Bericht steht, würde der Energieverbrauch in jeder Hinsicht „smart“. Luxemburg soll weiter wachsen, und bedenke man, wie hoch der Bevölkerungszuwachs sei und wie stark das BIP zugelegt hat, dann sei die „Entkopplung“ des Wirtschaftswachstums vom Wachstum der CO2-Emissionen sogar schon „relativ“ gelungen, heißt es in Kox’ Bericht. Damit das so weiter geht, empfiehlt der Unterausschuss beispielsweise eine große Initiative zur Altbausanierung. Die Handwerkskammer schätzt diesen Markt auf knapp eine halbe Milliarde Euro und dass bis zu 8 000 neue Arbeitsplätze entstehen könnten.
Offenbar aber ist die Aussicht auf „smartes“ Wachstum so verführerisch, dass auch die CSV sich ihr nicht entziehen kann. Für die Parlamentsdebatte gestern Nachmittag bot die größte Oppositionsfraktion nicht ihren ehemaligen Minister Schank als ersten Redner auf, sondern den früheren Fernsehmoderator Felix Eyschen. Der machte sich nur in einem Halbsatz Gedanken darüber, ob „Luxemburg so viel Wachstum überhaupt verträgt“, und zählte lieber auf, was Kox’ Bericht zu erwähnen vergessen habe. Am liebsten will die CSV nur der bessere Klimaingenieur sein, damit sie nicht alt aussieht.
Dabei haben die vielen Ideen, die der parlamentarische Unterausschuss zusammengetragen hat, vorerst noch den Makel, dass keiner sagen kann, was ihre Realisierung brächte. Sei es die Initiative zur Wärmedämmung von Altbauten auf der Basis eines landesweiten Wärmeschutz-Katasters. Seien es thermische Solaranlangen, die in Warmwassernetze einspeisen, wie man das in Dänemark macht. Oder sei es eine „wissenschaftlicher“ betriebene Landwirtschaft: Das deutsche Expertenbüro, das den Klima-Unterausschuss beriet, schreibt in einem Anhang zu Henri Kox’ Bericht: „Grundsätzlich ist zu konstatieren, dass die Datenlage gegenwärtig keine präzise Aufschlüsselung des Energieverbrauchs auf die (...) Verbrauchssektoren hergibt.“ Leider lässt sich auch noch nicht sagen, was das Mobilitätskonzept Modu aus Tram, Busspuren, Umsteigepolen und P/R-Plätzen, das noch unter CSV-Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler aufgestellt worden war, bringen wird.
Vielleicht liegt es an der Datenlage und dass die Auswirkung eines solchen Schritts sich nicht abschätzen ließe, oder an der noch unentschiedenen Tanktourismus-Frage, oder daran, dass niemand der für 2017 angekündigten Steuerreform vorgreifen wollte: Eine „CO2-Steuer“ erwähnt der Bericht des Unterausschusses nur in einem kleinen Unterpunkt. Die Energieberater aus Deutschland rieten sogar zu einer „generellen CO2-Steuer auf Brennstoffe“. In den Empfehlungen an die Regierung ist dagegen nur von einem CO2-abhängigen Aufschlag auf die Firmenwagenbesteuerung die Rede, einer alten Idee der Grünen, die die Regierung aus Rücksicht auf Autohändler und Leasingfirmen bisher noch nicht durchsetzte.
Aber weil Klimaschutz anscheinend sehr stark als Entfesselung von Technologien verstanden wird, wären neue Steuern vielleicht auch ein Verstoß gegen dieses Prinzip. Und weil, so Henri Kox bei der Parlamentsdebatte, der Unterausschuss „auch ein Wirtschaftsausschuss“ war, hatte er sogar Verständnis für die Sorgen der heimischen Industrie, weil nach Plänen der EU die Gratis-Zuteilung von CO2-Quoten für den europaweiten Emissionshandel beschnitten werden soll. Eine Abwanderung von Betrieben in Länder mit weniger strengen Umweltstandards wolle man ja nicht, meinte Kox. Wenngleich er glaubt, Hauptanlass für Delokalisierungen seien die Lohnkosten. So wird Klimapolitik in Luxemburg sogar in erster Linie zu Wirtschaftspolitik, und diesem pragmatischen Konsens wollte niemand sich entziehen, als am gestrigen Donnerstag Nachmittag die Abgeordnetenkammer über Klima- und Energiepolitik auf längere Sicht diskutierte.