Die DP-Generalsekretärin und Echternacher Bürgermeisterin Carole Hartmann entspricht dem Stereotyp einer liberalen Politikerin. Wo steuert sie hin?

Arbeit und Struktur

Carole Hartmann
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 08.03.2024

Mehr als jeder zweite Wahlberechtigte hat bei den Gemeindewahlen im Juli 2023 ein Kreuz hinter Carole Hartmanns Namen hinterlassen. 1 860 Stimmen erhielt die Juristin und DP-Abgeordnete. Auf der DP-Liste folgt der Zweitgewählte mit fast 1 000 Stimmen weniger. Der Wunsch der Echternacher war klar: Carole Hartmann soll Bürgermeisterin der 5 900-Einwohner-Stadt werden. Den fulminanten Lokalsieg verdankt sie indirekt dem in Echternach verstorbenen Apostel Willibrord (658–739). 2018 war CSV-Bürgermeister Yves Wengler noch der große Wahlgewinner: Er versprach, das ehemalige Hotel-Restaurant Petite Marquise in eine Gewerbe- und Wohnanlage umzuwandeln. Doch bei den Bauarbeiten wurden Überreste aus dem 7. Jahrhundert entdeckt, also aus Willibrords Lebzeiten. Wengler wurde nervös, äußerte sich überstürzt und irritierte zunemend die Einwohner Echternachs. In einem Interview, das RTL mit „E Willibrord dee kee wëll?“ betitelte, zeigte er sich genervt von dem archäologischen Fund: Er wolle das Projekt bald umsetzen und „alles herausreißen“. Unter der zweiten Amtsperiode von Wengler rückte Hartmann für ihren Vater, den ehemaligen Sportlehrer und ebenfalls DP-Politiker, André Hartmann, in den Gemeinderat nach. Die Familie ist in Echternach durch den Tischtennis- und Tennis-Verein bekannt und allgemein „super beléift“, sagt ihr Schulfreund und Grünen-Mitglied Max Pesch. Die 36-Jährige sei trotz nationaler Ambitionen eine „richtige Lokalpolitikerin, die auf keinem Fest fehle“. Zugleich schreitet sie auf nationaler Ebene weiter voran: 2022 wurde die Abgeordnete zur Generalsekretärin der Partei gewählt. In Kommissionssitzungen fällt sie auf – sie arbeitet sich in Dossiers ein und geht überlegt vor. Der DP-Parteipräsident Lex Delles bezeichnet sie gegenüber Reporter als „die Zukunft der Partei“.

Die Anfänge ihrer politischen Karriere liegen in ihrer Kindheit. „Am Abendtisch fanden Gespräche über Lokalpolitik statt“, sagt Hartmann. Zu Besuch waren gelegentlich Personen wie der ehemalige DP-Gesundheitsminister Carlo Wagener (1953–2021), mit dem ihr Vater befreundet war. Später ermutigte sie der Lehrer und Tennisspieler Claude Lamberty (DP) in die JDL einzutreten. Mit 17 Jahren stellt sie mit Joé Nilles (heutiger Bürgermeister von Berdorf) eine lokale Jugendsektion im Osten auf. 2013 ruft Xavier Bettel (DP) an und fragt sie, ob sie sich für die Nationalwahlen bereit fühle: „Er wollte die Partei damals verjüngen und erneuern“. Den Einzug ins Parlament verfehlte sie 2013 um 40 Stimmen. Vor diesem Anruf lag eine Jugend, in der die Nationalspielerin „viel Tischtennis spielte“. Sie war oft unterwegs „op Stagen an Tournoien“. In Nancy absolvierte sie ihr Jurastudium dem Schwerpunkt auf Kriminalwissenschaft. „Zunächst peilte ich eine Karriere bei der Kriminalpolizei an.“ Doch nach einem Praktikum in der Kanzlei von Pol Urbany steigt sie dort ein.

Mittlerweile beherrscht sie die diplomatische Ausdrucksweise einer studierten Juristin und einer Partei-Generalsekretärin – interne Parteikonflikte dürfen nicht nach außen dringen. Als der Quotidien sie vor den Gemeindewahlen 2023 fragte, ob der Klatsch und Tratsch um Lydie Polfer und Corinne Cahen sie ärgere, verneinte sie. „Dass über die Möglichkeit mehrerer Sieger diskutiert wird, zeigt, dass die DP mit erfolgreichen Kandidaten in die Wahlen zieht.“ Gegenüber dem Land bekräftigt sie ihre blockunabhängige Position. Corinne Cahen habe wichtige Reformen in die Wege geleitet, wie die Abwandlung des RMG ins Revis. Lydie Polfer ihrerseits sei eine Frau, die viel erreicht habe. Gegenüber Radio 100,7 verteidigt sie die Bürgermeisterin und das Bettelverbot – sie verstehe, dass man gegen ein Unsicherheitsempfinden in Luxemburg-Stadt ankämpfen müsse. Insbesondere Colette Flesch bewundert sie. Flesch habe „viel gearbeitet“. Und gezeigt, dass es keiner Quoten bedürfe, um als Frau voranzukommen. „Ich möchte ebenfalls keine Quotenfrau sein“, sagt sie gegenüber dem Land. Auch Hartmann arbeitet viel: „Ich habe keine 40 Stunden Wochen.“ Als Jugendliche erledigte sie ihre Hausaufgaben abends nach dem Training. „In gewisser Weise habe ich diese Angewohnheit noch heute – abends, wenn mein Vierjähriges schläft, setze ich mich nochmals hin und gehe Dokumente durch.“

Zu Beginn dieser Woche sitzt sie in ihrem Bürgermeisterbüro am Echternacher Marktplatz. Wie immer ist eine Strähne in der Mitte der Stirn nach hinten gebunden, die restlichen Haaren trägt sie glatt gekämmt offen. Den Schal hat sie – wie Xavier Bettel – als Schlaufe gebunden. In ihrer Art wirken beide jedoch wie Gegensätze: Hartmann tritt unaufgeregt, emotionslos und bedacht auf. Xavier Bettels Reden sind von Pathos, Mimik und Gebärdenspielereien durchzogen. Die Positionen sorgen für eine luxemburgische Liberale für keineÜberraschung: Laut Smartwielen ist sie gegen eine Senkung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnverlust; gegen eine Erhöhung des Mindestlohns um 10 Prozent; gegen eine Erbschaftssteuer in direkter Linie und gegen eine stärkere Besteuerung von hohen Einkommen. In DP-Tradition stellt sie sich konsequent gegen ein konservatives Familienbild: das Adoptionsrecht sollte nicht auf verheiratete Paare beschränkt bleiben und Erziehungsberechtigte, die ihren Beruf aufgeben, um ihre Kinder zu Hause zu erziehen, sollten keine Zulage erhalten. Um dem grünen Punkt im DP-Logo gerecht zu werden, spricht sie sich für die Energiewende und Biolandwirtschaft aus. Gegenüber dem Land bekräftigt sie nochmals ihre wirtschaftsliberale Haltung in der Gesundheitspolitik: „Wir brauchen ein dezentralisiertes System, in dem Freiberufler im Rahmen eines vorgegebenen Gesetzes ihrer Spezialisierung nachgehen können und schwere Fälle dem Spital vorbehalten werden“, so Hartmann. Diese Position vertrat sie auch als die DP mit noch mit der LSAP und den Grünen regierte, und eckte damit bei den Koalitionspartnern an. Vor allem die LSAP befürchtete durch eine Liberalisierung eine finanzielle Überbelastung der CNS und ein Abwandern des Spitalpersonals. Angeregt durch ein persönliches Gespräch begann sie sich in der letzten Amtsperiode zudem mit dem mangelhaften Informationszugang zur Sterbehilfe zu beschäftigen. „Mir ist es wichtig, dass unheilbar Kranke in Würde sterben können“, sagt Hartmann dem Land. Neben dem Gesundheits-Dossier kamen in dieser Amtsperiode weitere Schwerpunkte hinzu, so hat sie jetzt den Vorsitz des parlamentarischen Ausschusses für Wirtschaft, KMUs, Tourismus und Energie inne und fungiert neben Fraktionspräsident Gilles Baum als Vize-Fraktionspräsidentin. Die Abgeordnete Barbara Agostino beschreibt sie in dieser Rolle als „engagiert, loyal, fair a riicht eraus.“ Agostino erlebt sie als ambitioniert und sieht sie auf dem Weg einer „schéiner politescher Karriär“.

In Echternach stolperte Wengler nicht nur über Willibrord. Die Opposition wunderte sich vor den Wahlen 2023 zunehmend über großzügige Verträge mit einer Beratungsfirma, die die Machbarkeit und Umsetzung eines City-Outlets begleitete – mehrere Hunderttausend Euro flossen seit 2017. Das City-Outlet steht noch immer nicht. Jedes fünfte Geschäft der Abteistadt ist leer – das sind 7 000 Quadratmeter ungenutzte Verkaufsfläche. Da sich Echternach als Hauptstadt des Müllerthals vermarkten will, sollen vor allem Outdoor-, Wander- und Sportmarken in der Abteistadt das City-Outlet füllen. Seit einem Monat präsidiert Hartmann das Tourismusamt der Region Müllerthal (ORT). „De Mëllerdall ass eng vun de flottste Regiounen“, am liebsten gehe sie in die Wolfsschlucht wandern, erwähnt Hartmann in einem DP-Werbeclip. Der rund 120 Kilometer lange Müllerthal-Trail konnte mit 214 000 Wanderern letztes Jahr einen neuen Rekord aufstellen. Neuerdings trägt Echternach gar die Auszeichung European Destination of Excellence, weil die Stadt ein hochwertiges Angebot im Bereich des sanften Tourismus anbiete.

Aber Auszeichnungen spülen, wenn dann nur indirekt Geld in die Gemeindekasse. Die Stadtverwaltung schleppt ein Haushaltsdefizit von 80 Millionen Euro mit sich. So sind beim Umbau der Marquise unverhofft bereits 10 Millionen verpufft. Und die Überschwemmung von Juli 2021 hat die halbe Stadt verwüstet: „Das Wasser stand bis zum Marktplatz. Der Kindergarten wurde gänzlich überschwemmt, allein für die provisorischen Container mussten wir 3,5 Millionen Euro ausgeben. Unsere Sportinfrastruktur inklusive Schwimmbecken sind futsch – wir müssen deren Neubau planen.“ Ebenfalls schwer beschädigt wurde der Echternacher Park, in dem sich der ehemalige Klostergarten und ein Rokoko Pavillon aus dem Jahr 1761 befinden. „Ich bin froh, dass uns der Kulturminister in zwei Wochen besucht, dann werden wir unter anderem Lösungen für die Neugestaltung des Parks suchen“, sagt Hartmann. Der Minister, Eric Thill, ist ihr Parteikollege. Vom Staat wurden bisher nur 800 000 Euro Beihilfen überwiesen. Die Echternacher Wähler erhoffen sich von der neuen Bürgermeisterin Carole Hartmann wohl einen engen Draht in höhere Machtkreise. Und sie hat ihr Echternacher Umfeld (noch) nicht enttäuscht. Fragt man sie, warum sie keinen Regierungsposten annahm, antwortet Hartmann: „Anfang 2023 war mein Ziel ganz klar, Bürgermeisterin zu werden.“ Sie wolle das Vertrauen der Echternacher nicht auf’s Spiel setzen.

Stéphanie Majerus
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