Aufrüstung der Armee und Verfassungsreform

Si vis pacem ...

d'Lëtzebuerger Land du 13.12.2001

Statt der versprochenen Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Kriegs scheinen heiße Kriege an der Peripherie der reichsten Staaten zum Alltagsgeschäft zu werden. Und vom Krieg gegen den Irak über den Krieg gegen Jugoslawien bis zum Krieg gegen Afghanistan versuchte innerhalb eines Jahrzehnts auch das kleine Großherzogtum immer wieder, mit Geld, guten Taten oder gar dem Bündnisfall der Nato wie ein vollwertiger Staat mitzumischen, um vom bösen Image des Parasiten loszukommen.

Doch während die Armee mit einem beispiellosen Aufrüstungsprogramm beglückt wird - Schiff und Flugzeug sind geordert, am Montag wurde der Gesetzesentwurf vorgestellt, um EU-Ausländer zuzulassen -, hapert es mit dem rechtlichen Rahmen. Deshalb wird bei der derzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorbereiteten großen Verfassungsrevision auch eine Neuformulierung des letzten Absatzes von Artikel 37 diskutiert, der den Kriegseintritt regelt.

Weder über den Einsatz Luxemburger Soldaten im Irak am Ende des zweiten Golfskriegs 1991 oder im dritten Balkankrieg 1999, noch über den Kriegseintritt im Rahmen des Nato-Bündnisfalls gegen Afghanistan und demnächst vielleicht Irak, Sudan, Jemen... vor zwei Monaten stimmte das Parlament ab. Dabei schreibt die Verfassung seit der Revision vom 25. Oktober vor: "Le Grand-Duc commande la force armée; il déclare la guerre et la cessation de la guerre après y avoir été autorisé par un vote de la Chambre émis dans les conditions de l'article 114, al. 5 de la Constitution", das heißt wie bei Verfassungsänderungen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit bei einer Drei-Viertel-Präsenz.

Der parlamentarische Ausschuss für die Institutionen und Verfassungsrevision schlägt nun vor, diesen Absatz über die Armee und den Krieg aus Artikel 37 über die internationalen Abkommen zu lösen und einen Artikel 37 bis zu schaffen, der besagen soll: "Le Grand-Duc est le chef suprême de l'armée, dont le commandement est réglé par la loi. Le Grand-Duc déclare la guerre et la cessation de la guerre après y avoir été autorisé par un vote de la Chambre émis dans les conditions de l'article 114, alinéa 5 de la Constitution."

Der Großherzog soll also nicht mehr die Armee befehligen dürfen, sondern nur noch ihr oberster Chef sein; die Befehlsgewalt selbst soll durch Gesetz geklärt werden. Dadurch soll der autoritäre Text an die demokratischere Praxis angepasst werden. An der Prozedur zur Kriegserklärung ändert dies aber noch nichts. Kaum mehrheitsfähig dürfte jedoch ein Textvorschlag der grünen Abgeordneten Renée Wagener sein, die das Staatsoberhaupt ganz aus dem Spiel lassen will: "Dans le cas d'une agression venant de l'extérieur, il appartient à la Chambre, par un vote ayant lieu dans les conditions de l'article 114, al. 5 de la Constitution, de déclarer la guerre, l'intervention militaire, l'état de guerre et leur cessation." Vor allem beschränkt der grüne Vorschlag die Möglichkeit, den Krieg zu erklären, auf den Fall eines Angriffs von außen auf das Großherzogtum. Ein Militäreinsatz im Rahmen beispielsweise des Bündnisfalls der Nato würde also auch weiterhin ohne Kriegserklärung geschehen.

Die Luxemburger Beteiligung an den letzten und wohl auch an den nächsten Kriegen besteht aber nicht in Angriffen auf das Großherzogtum, sondern in Auslandseinsätzen der Luxemburger Armee. Und gerade hier setzte sich die Regierung in der Vergangenheit wiederholt über die von der Verfassung vorgesehene Prozedur und das Parlament hinweg. Was auch damit zusammenhängt, dass die Kriegserklärung aus dem internationalen Recht zu verschwinden scheint. Kriege - wie der derzeitige Afghanistankrieg - werden geführt, ohne je erklärt worden zu sein, und werden entsprechend auch nicht beendet, wie der zweite Golfkrieg, der bis heute durch regelmäßige Bombenangriffe auf den Irak und einen Wirtschaftsblokus fortgesetzt wird.

Zudem werden die Militäreinsätze meist, ganz im Trend der Zeit, als humanitäre Eingriffe getarnt. Und das Gesetz vom 27. Juli 1992 über friedenserhaltende Maßnahmen erlaubt Truppenentsendungen ohne Votum des Parlaments, sondern lediglich "aprés consultation des commissions compétentes de la Chambre des députés". Dass das Gesetz friedenserhaltende Maßnahmen nur als solche "avec l'accord des parties directement doncernées" definiert (Art. 1), hat bisher noch nie gestört.

So berät die mit der Verfassungsrevision beschäftigte Kommission zaghaft, ob und wie das Parlament etwas frühzeitiger und effizienter in die Prozedur zum Einsatz Luxemburger Truppen im Ausland eingeschaltet werden kann. Denn die Praxis droht, immer mehr darauf hinauszulaufen, dass die Außenministerin aus Brüssel zurückkehrt und mitteilt, dass die Nato den Bündnisfall oder die WEU einen Truppeneinsatz beschlossen hat, so dass die Kammer nur noch zustimmend nicken kann, der Verfassungsartikel 37 also vollständig unterlaufen wird.

Aber selbst die Regierungsmehrheit scheint in dieser Frage uneinig. In der Ausschusssitzung vom 28. November machte Kommissionspräsident Paul-Henry Meyers (CSV) darauf aufmerksam, dass auch in anderen Staaten bei Truppenentsendungen zumindest eine Informationspflicht gegenüber dem Parlament vorgesehen sei. Er konnte sich sogar vorstellen, dass die Abgeordneten im Kriegsfall aus dem Urlaub zurückgerufen werden könnten, um sich über den Einsatz Luxemburg Soldaten zu informieren. Doch der Berichterstatter Jean-Paul Rippinger (DP) hielt so viel Dialog und Transparenz für gefährlich. Er sah es lieber, wenn die Regierung mehr Bewegungsfreiheit behält, wobei er auch die Unterstützung des ADR-Vertreters erhielt.

Doch worüber soll das Parlament überhaupt informiert werden, wenn der Afghanistankrieg zur Genüge zeigt, dass die USA ihre Partner gar nicht weiter in die Kriegführung einweihten? Und Jean Asselborn (LSAP) war über die Konsequenzen besorgt, wenn das Parlament einen Truppeneinsatz ablehnen würde. Die grüne Abgeordnete Renée Wagener schlug vor, dass die Luxemburger Vertreter in den internationalen Bündnissen sich im Voraus mit dem Parlament absprechen müssten und die Kammer Truppenentsendungen genehmigen müsse.

Deshalb dürfte sich lediglich eine Mehrheit dafür finden, bei einer Kriegsbeteiligung  nicht mehr als eine bescheidene Informationspflicht für das Parlament in die Verfassung zu schreiben.  Irgendeine demokratische Beschlussfassung in voller Kenntnis der Sachverhalte scheint angesichts des Kräfteverhältnisses in den internationalen Bündnissen illusorisch.

Aber einhellige Ablehnung bei den anderen Parteien erntete auch der grüne Vorschlag, Artikel 37 mit der Absichtserklärung zu beginnen: "Le Grand-Duché de Luxembourg s'attache à promouvoir la coexistence pacifique des peuples." Einen ähnlichenen Änderungsvorschlag hatte schon der kommunistische Abgeordnete Arthur Useldinger am 9. Oktober 1956 erfolglos eingebracht; danach sollte der erste Absatz von Artikel 37 lauten: "Le Luxembourg répudie la guerre comme instrument d'atteinte à la liberté des peuples et comme moyen de solution des conflits internationaux."

Doch die Luxemburger Gesetzgeber taten sich schon immer schwer mit dem Krieg. Fast jedesmal, wenn der wehrlose Staat den Kriegsfall in seiner Verfassung behandeln wollte, produziert er eine Fehlleistung. Durch den Putsch von 1856 wurde erstmals das Recht des Großherzogs in die Verfassung aufgenommen, anderen Ländern den Krieg zu erklären. Nach der Krise um Luxemburg musste sich das Großherzogtum in seiner Verfassung von 1868 zur unbewaffneten Neutralität verpflichten - doch gleichzeitig "vergaß" das Parlament, die Möglichkeit der Kriegserklärung aus der Verfassung zu streichen. Das wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg 1919 nachgeholt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg passierte dann das umgekehrte Malheur: die unbewaffnete Neutralität wurde zwar zugunsten des Nato-Beitritts aus der Verfassung gestrichen. Doch dabei "vergaß" das Parlament, auch wieder die Möglichkeit der Kriegserklärung in der Verfassung vorzusehen. Diese Änderung wurde in finsteren Zeiten des Kalten Kriegs 1956 nachgereicht.

Bei der Verfassungsänderung 1956 hatte die Mehrheit auch vorgesehen, nicht nur die Kriegserklärung zu regeln, sondern ebenfalls den sich möglicherweise daraus ergebenden Belagerungszustand. Der Belagerungszustand und die damit verbundene Außerkraftsetzung der verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten im Fall von Krieg oder "Unruhen" war nach dem Putsch 1856 in die Verfassung aufgenommen worden, mit der liberalen Revision 1868 aber wieder abgeschafft worden. 1956 sollte Artikel 37 wieder vorsehen: "La Chambre par l'effet d'une loi votée à la même majorité [zwei Drittel; rh.] peut décréter l'état de siège." Doch der Staatsrat lehnte den Vorschlag ab, weil eine solche Regelung in Artikel 113 gehöre, der damals nicht zur Revision freigegeben war; außerdem sei der Textvorschlag "fehlerhaft".

Artikel 113, der ausdrücklich besagt, dass keine Bestimmung der Verfassung suspendiert werden darf, ist derzeit zur Revision freigegeben. Und es braucht vielleicht nur noch ein oder zwei Attentate, bis sich die EU-Justizminister darauf einigen, den Belagerungszustand flächendeckend in das nationale Recht aufzunehmen. Hierzulande war der Belagerungszustand zuletzt durch einen großherzoglichen Erlass vom 26. Juli 1944 erklärt worden, aber die verfassungsrechtliche Grundlage dazu war mehr als fragwürdig. So wurde ein Zusammenhang mit zwei französischen Dekreten vom 8./10. Juli 1791 und vom 24. Dezember 1811 konstruiert, von denen der Staatsminister und Staatsrechtler Paul Eyschen schon um die Jahrhundertwende entschieden hatte, dass sie nie bzw. nicht mehr luxemburgisches Recht waren.

 

Romain Hilgert
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